Europa und der Rest der Welt sehen sich von einem gemeinsamen Feind bedroht, die Reaktionen darauf fallen höchst unterschiedlich aus. Die rigorosen Maßnahmen, die das schwer betroffene Italien mit Verspätung begonnen hat, wurden inzwischen auch in anderen Ländern – wie in Österreich – in aller Konsequenz umgesetzt; Nachbar Deutschland und andere stehen erst davor. Nationen wie Ex-Mitglied Großbritannien lassen diese Art von Krisenmanagement bis dato gar nicht erkennen.
Inmitten dieser Krisensituation ist das Bild eines „vereinten Europa“ nur schwer auszumachen. Stattdessen gibt es, wenn auch verhalten, Dissens über mangelnde Koordination zwischen den Ländern und einzelne Maßnahmen wie den Ausfuhrstopp von Schutzmasken (Deutschland) oder die vielerorts eingeführten Grenzkontrollen.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte am Wochenende kein Hehl daraus, dass sie nicht viel von gesperrten Grenzen innerhalb des Schengen-Raums hält. Die Kommission blieb auch gestern bei dieser Position; Schützenhilfe gibt es vom LIBE-Ausschuss des EU-Parlaments (Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres) oder etwa von der sozialdemokratischen EP-Vizepräsidentin Katarina Barley, die darauf verweisen, dass sich die Ausbreitung des Virus ja so oder so nicht an politisch gezogene Grenzlinien halte – statt dessen werde der dringend nötige Warenverkehr innerhalb der Union beeinträchtigt, weil es zu langen Staus komme. Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, sagte der „Kleinen Zeitung“ dazu: "Es ist wichtig, dass Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 in der EU koordiniert ablaufen und der freie Binnenmarkt in der EU erhalten bleibt. Wir alle sind darauf angewiesen, dass medizinische Hilfsmittel und Lebensmittel barrierefrei innerhalb der EU transportiert werden können. Die Einschränkungen im Personenverkehr müssen evidenzbasiert und verhältnismäßig sein. Die Grenzeinschränkungen dürfen nur temporäre Maßnahmen bleiben. Statt Krisennationalismus brauchen wir eine gemeinsame europäische Antwort und gute Koordination."
Die Kommission verweist darauf, dass solche Grenzmaßnahmen tatsächlich nur kurzfristig zulässig sind (maximal zwei Monate) und regelmäßig notifiziert werden müssen; weitere Einwände dagegen bleiben jedoch aus und es ist anzunehmen, dass es auch bei länger dauernden Sperren so bleibt. Für die betroffenen Länder gehören diese Grenzkontrollen freilich zum Gesamtpaket aller Maßnahmen, von denen jede einzelne wichtig erscheint.
Milliarden-Paket zur Milderung der Folgen
In permanenten Krisensitzungen, mittlerweile hauptsächlich per Videokonferenz, versucht Brüssel zumindest seiner Rolle als Moderator der Katastrophe gerecht zu werden. So wurden als Sofortmaßnahme 37 Milliarden Euro „schlafendes Geld“ eingesetzt, mit denen schwer getroffene Länder wie Italien sowie gezielt kleine und mittlere Unternehmen und der Arbeitsmarkt unterstützt werden sollen. Gleichzeitig wurden die Vorgaben für staatliche Haushaltsdefizite im Stabilitäts- und Wachstumspakt gelockert, bei der Kontrolle von Staatsbeihilfen hat die Kommission besondere Großzügigkeit versprochen. 140 Millionen Euro fließen unmittelbar in die Forschung für neue Medikamente und Impfstoffe, parallel dazu gibt es einen EU-weiten Beschaffungsprozess für Schutzausrüstung (etwa Masken), der zumindest schon in der Angebotsphase ist.
Ursula von der Leyen persönlich sprach Montagnachmittag mit Vertretern des deutschen Pharma-Unternehmens CureVac, das in der Entwicklung eines Impfstoffs schon recht weit ist und sich plötzlich mit einem verwerflichen Angebot Donald Trumps konfrontiert sah: Der US-Präsident bot eine Milliarde Dollar dafür, den Impfstoff exklusiv für die USA zu bekommen. Das Unternehmen hat bereits abgelehnt, die EU will offensichtlich in diesem heiklen Fall weiter Verhandlungs- und Führungsstärke zeigen und den Deutschen für die Solidarität mit dem Rest der Menschheit danken. Versprochen hat die Kommission, innerhalb der Möglichkeiten so rasch wie möglich zu agieren. So wurde etwa ein Ansuchen Dänemarks um Staatshilfen für Veranstalter innerhalb von 24 Stunden genehmigt.
Schengen-Grenzen abdichten
Das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in Stockholm sammelt Daten zum Verlauf der Epidemie und gibt Empfehlungen an die Mitgliedstaaten weiter, durch diese Koordination will man wertvolle Zeit gewinnen. Derzeit läuft, ebenfalls per Video, eine G7-Konferenz. Nach vorliegenden Meldungen wird ernsthaft erwogen, die Schengen-Außengrenze abzudichten und den Personenverkehr weiter dramatisch einzuschränken.
Dennoch bleibt die Erkenntnis: an den Mitgliedsstaaten selbst liegt es, die geeigneten Wege in Zeiten der Krise zu finden.