Wir haben einen europa-affinen Kanzler und einen Außenminister, der lange in Brüssel war. Warum brauchen wir eine Europaministerin?
KAROLINE EDTSTADLER: Es gibt kaum Themen, die nicht von der EU auf nationale Ebenen spielen. Man braucht sich nur die Termindichte hier in Brüssel anschauen. Ich bin im BKA angesiedelt, da gibt es eine enge Kooperation mit dem Kanzler. In Brüssel bin ich im Allgemeinen Rat, der trifft die Vorbereitungen für die Gipfel. Den Außenminister kenne ich sehr gut aus der Zeit der Ratspräsidentschaft. Wir stimmen uns eng ab.
Letzte Woche war der Libyen-Gipfel mit gleich drei hochrangigen Teilnehmern aus der EU – und trotzdem hat man das Gefühl, die EU ist in der Zuschauerrolle.
Sie sprechen da etwas an, das ich so definieren würde: Europa muss sich seiner Macht bewusst werden. Voraussetzung ist, dass man innereuropäisch zu schnelleren Entscheidungen kommt, was Außenpolitik betrifft. Wir müssen gerade nach außen mit einer Stimme sprechen.
Österreich macht sich für die Rückführung der Mittelmeerflüchtlinge nach Libyen stark, ein Land im Bürgerkrieg. Können Sie trotzdem ruhig schlafen?
Wir reden von illegaler Migration nach Europa und davon, dass Europa seine Rolle stärker wahrnehmen muss. Natürlich müssen wir diese Staaten dabei unterstützen, zu stabilen politischen Systemen zu kommen. Wir müssen auch bessere Rückführabkommen abschließen. Man muss aber unterscheiden zwischen politischer Instabilität und Kriegssituation.
Aber die Feststellung der Fluchtgründe erfolgt ja erst wieder an einer EU-Grenze.
Das ist ein Teil des Problems. Viele gehen nach Europa, ohne zu wissen, ob es einen Asylgrund gibt, dann ziehen sich die Verfahren hin. Mein Ansatz ist, es wird schon vor Betreten europäischen Bodens festgestellt, ob Asyl gewährt werden kann. Dafür müssen wir Vorkehrungen treffen – mit einem effizienten Außengrenzschutz.
Bei der Seenotrettung haben Sie immer eine sehr harte Linie verfolgt. Warum ist dieses Thema so wichtig bei uns, trotz des Rückgangs bei Mittelmeerflüchtlingen?
Die Europäische Union ist eine Solidar- und Wertegemeinschaft. Wenn Flüchtlinge illegal nach Europa kommen, hat die ganze EU das Problem. Wenn Sie zurückdenken an 2015, 2016 – wir sind nicht an der Außengrenze, aber wir hatten einen der höchsten Anteile an Asylwerbern. Also muss es auch unsere Sorge sein, was mit der Seenotrettung passiert. Natürlich müssen Menschen in Not gerettet werden. Aber derzeit bedeutet das das Ticket nach Europa. Jeder verknüpft damit Hoffnungen und das bedeutet auch, dass das Schleppergeschäft angetrieben wird.
Der berühmte Pull-Faktor?
Mit Sicherheit, auch wenn ich weiß, dass das immer wieder bezweifelt wird.
Manche Untersuchungen widerlegen den Pull-Faktor.
Als ich EU-Abgeordnete war, haben wir das im LIBE-Ausschuss diskutiert, auch mit dem Generaldirektor von Frontex, der diese Dinge bestätigt hat. Es gibt Aufzeichnungen von Booten, die die Flüchtlinge aussetzen und warten, dass sie von NGOs gerettet werden. Auch wenn mir das vorgehalten wird, ich bleibe dabei: Migration muss geordnet abgehen.
Einer dieser Wege ist die Westbalkanroute, dort haben sich die Zahlen zuletzt verdoppelt.
Das ist ein Faktum. Es besteht der Plan, Frontex schon bis 2024 auf 10.000 Mann aufzustocken. Wir müssen alle an einem neuen europäischen Asylsystem arbeiten. Dann kann man schauen, wer entsendet Frontex-Leute, wer macht humanitäre Hilfe, wer unterstützt Nordafrika und wer nimmt Flüchtlinge auf. Ich halte nichts davon, dass wir über alle drüberfahren und die Flüchtlinge aufteilen.
Beim „Green Deal“ halten Länder mit hohem Kohleanteil die Hand auf. Böswillig formuliert könnte man auch sagen, Österreich ohne AKW und mit viel erneuerbarer Energie ist der Dumme, das Geld kriegen die anderen.
Wir sind in einer glücklichen Lage. Es ist unsere Verantwortung, den anderen bei der Umstellung zu helfen. Wir haben nichts davon, wenn ein Atomkraftwerk an unserer Grenze in die Luft fliegt. Dass jemand die Hand aufhält, der keinen Bedarf hat, wird nicht passieren.
Aber laut Plan ist nach Polen Deutschland das Land mit den höchsten Ansprüchen. Ist das nicht ungerecht?
Wir sind beim mehrjährigen Finanzrahmen auf einem guten Weg. Es gibt Länder, die von der Kohäsion stark profitieren, und andere, die nur einzahlen. Wir sind Nettozahler – aber wir sind auch diejenigen, die einen Blick darauf haben, wie das Geld eingesetzt wird. Deshalb halte ich auch nichts von einem prozentuell höheren Beitrag. Wir müssen schauen, dass wir mit dem vorhandenen auskommen, heißt also, wir bleiben bei einem Prozent. In Summe sind das für die ganze EU wegen der steigenden Wirtschaftsleistung auch schon nominell 100 Milliarden mehr.
Letztes Jahr sind Sie häufig als Kandidatin für einen Kommissarsposten genannt worden. Hätte Sie das gereizt?
Ich brenne für die Europäische Union. Ich habe meine Tätigkeit als Abgeordnete im Europäischen Parlament mit viel Herzblut ausgeführt. Und ich habe mich wahnsinnig gefreut, als ich den Anruf bekam, wieder im Team von Sebastian Kurz sein zu dürfen.