Der EU-Rat berät am Donnerstag in Brüssel mit dem Ziel, dort die CO2-Neutralität der EU bis ins Jahr 2050 festzulegen. Die gleichzeitig weiterlaufende UN-Klimakonferenz in Madrid könnten sich als historisch entscheidend für die Lösung der Klimakrise erweisen. In einem APA-Interview nimmt Bundespräsident Alexander Van der Bellen Stellung zu diesen beiden politischen Events.
Eine Einigung in Brüssel wäre ein "starkes und wichtiges Signal" an die internationale Staatengemeinschaft, und eine "große Vision, wie wir in Europa in 30 Jahren leben und wirtschaften werden", sei notwendig, sagte das Staatsoberhaupt. Ein "wichtiger und richtiger Schritt" hierzu sei der Green Deal.
Wie wichtig ist es Ihrer Ansicht nach für die Ergebnisse der COP, dass es der EU während des Gipfels gelingt, sich auf die Klimaneutralität zu einigen?
Van der Bellen: Es ist natürlich ein starkes und wichtiges Signal an die internationale Staatengemeinschaft, wenn sich Europa (beim EU-Rat am 12. und 13. Dezember, Anmerkung) als erster Kontinent verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Wissenschaft ist sich einig, dass wir weltweit die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen bis spätestens 2050 auf netto-null senken müssen, um das sogenannte 1,5 Grad Ziel erreichen zu können und unkontrollierbaren Auswirkungen der Erderhitzung zu verhindern. Die Lösungen dafür liegen am Tisch. Wenn wir jetzt mit Mut und Zuversicht beginnen, kann Europa als Vorreiter auch die großen Chancen nutzen, die sich durch einen klimafreundlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft für uns alle bieten.
Können Sie die Planung nachvollziehen, erst die 2050-Ziele festzulegen und aufgrund dieser danach die 2030-Ziele nachzubessern?
Van der Bellen: Beides ist wichtig. Wir brauchen eine gemeinsame große Vision, wie wir in Europa in 30 Jahren leben und wirtschaften werden. Deswegen ist das 2050-Ziel wichtig, deswegen ist auch der aktuell vorgestellte Plan der neuen EU-Kommissionspräsidentin für einen Green Deal ein wichtiger und richtiger Schritt.
Genauso wichtig ist es, jetzt mit der konkreten Umsetzung wirksamer Maßnahmen zu beginnen. Die nächsten zehn Jahre werden darüber entscheiden, ob es uns gelingen wird, die große Vision eines klimaneutralen Europas bis zur Mitte dieses Jahrhunderts zu erreichen. Ich unterstütze daher den Vorschlag der Kommissionspräsidentin, die EU-Reduktionsziele für klimaschädliche Treibhausgasemissionen bis 2030 auf 50 bis 55 Prozent deutlich nachzubessern.
Die Zeit drängt. Ab dem Jahr 2020 müssen die CO2-Emissionen zu sinken beginnen. Nur so können wir die weitere Erhitzung der Erde mit all ihren dramatischen Folgen für die Menschheit noch aufhalten. Ich bin zuversichtlich, dass wir erfolgreich sein können. Es tut sich etwas. Wir erleben eine positive Dynamik. Mit Ursula von der Leyen haben wir eine neue Kommissionspräsidentin, die Klimaschutz zur Top-Priorität erklärt hat.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres ist ein entschlossener Mahner für mehr Klimaschutz. Die Jugendbewegung, die Kirche und auch immer mehr Unternehmen machen Druck. Die Nachfrage nach nachhaltigen Investments steigt. Die positiven Chancen durch aktiven Klimaschutz, etwa für Wirtschaft und Arbeitsmarkt, rücken immer stärker in den Vordergrund. Natürlich sind noch Hürden zu überwinden. Länder, die einen weiteren Weg zu gehen haben, müssen unterstützt werden. Der Vorschlag von der Leyens, dafür einen Fonds bei der Europäischen Investitionsbank einzurichten ist sinnvoll.
Wie nahmen Sie den Umgang mit der Thematik im Laufe der vergangenen Jahrzehnte war? Inwieweit ist das Wirken von Konzernen wie Exxon hier einzuschätzen, die - das ist ja inzwischen offiziell - aktiv versucht haben, die Auswirkungen von Treibhausgasen herunter zu spielen?
Van der Bellen: Die Ölindustrie verdient Geld damit, nach Öl zu bohren und dieses zu verkaufen. Der aus Sicht des Klimaschutzes unbedingt notwendige Ausstieg aus den fossilen Energien bis Mitte des Jahrhunderts untergräbt aus Sicht dieser Konzerne ihre Geschäftsgrundlage. Es gibt viele Untersuchungen, die offenlegen, dass die Ölindustrie mit viel Geld versucht, die Politik zu beeinflussen, es mit dem Klimaschutz nicht so ernst zu nehmen.
Wenn es jedoch eine klare Vorgabe seitens der Politik gibt, wie dies die neue EU-Kommission gerade plant, dann haben auch Ölkonzerne eine langfristige Planungssicherheit und können und werden beginnen, Geld und Energie in eine Neuorientierung zu investieren, statt weiter zu versuchen, das Rad der Geschichte aufzuhalten. Aus vielen Ölkonzernen werden Sonnenkonzerne, habe ich bei meiner Rede in bei der COP25 Madrid gesagt. Ich bin zuversichtlich, dass diese positive Zukunftsvision Wirklichkeit werden wird.
Das Wording "Klimawandel" verwenden Sie nicht mehr, und dies seit einem Jahr. Wie wichtig ist für Sie das Wording zu diesem Thema. Im Film "Vice" von Adam McKay wird ja ebenfalls auf dieses Detail angespielt, zudem erschien bereits im Jahr 1986 ein "Spiegel"-Artikel mit dem Titel "Klima-Katastrophe".
Van der Bellen: Ich habe den Film gesehen, der übrigens sehr empfehlenswert ist. Es wird klar herausgearbeitet, mit welchem Kalkül damals offensichtlich vorgegangen wurde.
Das Wort "Klimawandel" spiegelt in keiner Weise die Dramatik und den Ernst der Situation wieder. Manche Verantwortungsträger wie Dick Cheney, früherer US-Vizepräsident und zuvor in der Ölindustrie tätig, die das Wort "Wandel" geprägt haben, wollten die Klimakrise damit bewusst verharmlosend darstellen.
Wir befinden uns in einer Klimakrise. Die Erderhitzung kann zur Katastrophe werden, wenn wir nichts tun. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich jetzt etwas bewegt.
Wie übrigens auch in anderen Bereichen, ist es wichtig, bewusst auf Sprache zu achten. Sprache schafft Bewusstsein, Sprache prägt unser Denken und letztlich unser Verhalten.
Andreas Westphal/APA