Allen Tumulten bei den Tories zum Trotz glaubt Briten-Premier Boris Johnson, seine Partei noch vor Weihnachten zu einem Wahlsieg führen zu können – und früher oder später einen Brexit durchzudrücken auch ohne Vereinbarung mit der EU. Wenn das Unterhaus heute zusammentritt, will er es ein weiteres Mal über Neuwahlen abstimmen lassen.
Dabei mehrten sich am Sonntag die Zeichen dafür, dass Johnsons Konservative Partei über der gegenwärtigen Krise auseinanderbrechen könnte. Der Rücktritt der prominenten Arbeits- und früheren Innenministerin Amber Rudd und ihr Austritt aus der Partei erschütterte Regierung und Fraktion. Rudd erklärte ihren Abgang mit dem vom Premier angeordneten Parteiausschluss von 21 „loyalen, moderaten Abgeordneten“ in der Vorwoche. Dieser Ausschluss stellte ihrer Ansicht nach eine gefährliche „Säuberungsaktion“ und „ein Angriff auf Anstand und Demokratie“ dar. Die Ex-Ministerin warf Johnson außerdem vor, entgegen seinen eigenen Behauptungen keinerlei neue Übereinkunft mit der EU zum Austritt anzustreben, sondern nur an Vorbereitungen für einen No-Deal-Brexit zu arbeiten. Nichts deute darauf hin, dass der Premier „die Partei zusammenhalten will“, fügte Rudd hinzu. Bestraft worden waren die „Rebellen“ dafür, dass sie zusammen mit den Oppositionsparteien die Regie im Unterhaus übernahmen und ein „Verzögerungsgesetz“ auf den Weg brachten. Mit diesem soll Johnson gezwungen werden, die EU am 19. Oktober um einen dreimonatigen Brexit-Aufschub zu bitten, falls beim EU-Gipfel in den zwei Tagen zuvor keine Einigung über einen neuen Austrittsvertrag zustande kommt.
Dieser gesetzlich verankerten Aufforderung will sich Johnson widersetzen. Mittlerweile beteuern dem Premier nahestehende Minister, natürlich wolle niemand gegen geltendes Gesetz verstoßen. Die Regierung „interpretiere“ das erlassene Gesetz nur eben anders als dessen Urheber, meinte Außenminister Dominic Raab gestern.
Dramatische Gerichtsschlacht
Sollte dies der Fall sein, bahnt sich für Ende Oktober eine dramatische Gerichtsschlacht an, bei der die obersten Richter über einen No-Deal-Brexit entscheiden müssten. Selbst bei einer Verzögerung des Brexits um drei Monate glaubt Johnson bei Neuwahlen, die dann für November oder Dezember erwartet werden, gute Chancen für eine Festigung seiner Position zu haben. Johnsons Chefberater Dominic Cummings: „Die meisten Abgeordneten begreifen nicht, wie sehr das Land das Parlament hasst und wie sehr es sich wünscht, dass jemand in diesem Durcheinander Ordnung schafft.“ Letzte Umfragen sehen die Konservativen bei 35 Prozent – mit 14 Prozent Vorsprung vor der Labour Party.
Heute will Johnson das Unterhaus ein zweites Mal auffordern, Neuwahlen für den 15. Oktober zu bewilligen. Dagegen sperrt sich bislang die gesamte Opposition. Eine viel diskutierte Variante wäre, dass der Premier einen Misstrauensantrag gegen die eigene Regierung einbrächte und Oppositionschef Jeremy Corbyn mit der Regierungsbildung beauftragt würde, dieser aber ebenfalls über einen Misstrauensantrag stürzte. Das würde binnen 14 Tagen zu Neuwahlen führen.