Im Streit um die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer mehren sich die Forderungen nach einer Neuordnung der Migration. Italiens Außenminister Enzo Moavero Milanesi kündigte an, er wolle der EU am Montag neue Lösungsvorschläge vorlegen. Die Europäische Union brauche einen "strukturierten und stabilen Mechanismus" für die Umverteilung von Migranten, sagte der Minister am Sonntag.
"Wir können nicht weiter von Fall zu Fall entscheiden und jedes Mal nach Notfall-Lösungen suchen", sagte Moavero Milanesi in einem am Sonntag veröffentlichten Interview des "Corriere della Sera". Bei einem Treffen mit EU-Außenministern wolle er die Pläne diskutieren.
Die Weigerung Italiens und Maltas, auf dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge aufzunehmen, hatte in den vergangenen Wochen immer wieder für Konflikte gesorgt. Italien drängt seit längerem auf eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Die Umverteilung stößt jedoch bei einigen EU-Ländern in Ost- und Mitteleuropa auf heftigen Widerstand. Eine sichere Unterbringung für Migranten in Libyen erscheint zurzeit kaum möglich.
Libyen aber, von wo aus die meisten Migranten zu der riskanten Überfahrt über das Mittelmeer starten, ist von einem jahrelangen Bürgerkrieg zerrissen. Dort drohen den Migranten nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen Folter, Sklaverei und schwerste Misshandlungen. Die seit zwei Monaten anhaltenden Kämpfe um die Hauptstadt Tripolis haben die Situation weiter verschlechtert. Nachbarländer lehnten die Einrichtung von Migrantenlagern ab.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas schlug eine Vorreiterrolle Deutschlands und anderer aufnahmewilliger EU-Staaten vor. "Wir brauchen ein Bündnis der Hilfsbereiten für einen verbindlichen Verteilmechanismus", sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Samstag). Deutschland sei bereit zu garantieren, immer ein festes Kontingent an Geretteten zu übernehmen.
Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hielt Maas entgegen: "Die Verteilung von Migranten in Europa ist gescheitert. Wir diskutieren erneut über Ideen aus 2015, die sich hinlänglich als nicht umsetzbar erwiesen haben (....) Wir dürfen keine falschen Signale aussenden und müssen es unbedingt verhindern, dass weitere Menschen ihr Leben bei der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer aufs Spiel setzen."
Das Thema Migration hat wieder an Brisanz gewonnen, nachdem die deutsche Kapitänin Carola Rackete unerlaubt mit Dutzenden Migranten an Bord der "Sea-Watch 3" nach Italien gefahren war. Gegen sie wird in Italien ermittelt. Die Regierung in Rom hat die Häfen des Landes für NGOs mittlerweile komplett gesperrt.
Stattdessen wird das Für und Wider von Seenotrettern auf dem Mittelmeer erbittert diskutiert. Ist allein die Präsenz von NGO-Schiffen - also von Hilfsorganisationen - dafür verantwortlich, dass Migranten die Fahrt von Libyen in Richtung Europa aufnehmen? Gibt es also diesen "Pull-Faktor", diesen Anziehungs-Faktor?
Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini argumentierte erneut, die privaten Rettungsschiffe würden die Migranten erst auf See locken. Unter Bezug auf Rackete sagte er: "Ohne Piratenschiffe der NGOs, ohne deutsche Heldinnen namens Carola, die Gesetze brechen: Wie es der Zufall will, sinken die Abfahrten und es gibt nicht mal mehr eine Ankunft."
Das stimmt jedoch nach mehreren Untersuchungen und Statistiken nicht. Auch ohne zivile Rettungsschiffe auf dem Meer setzen Schlepper Menschen in Libyen auf Boote. Von Jänner bis Juni 2019 hätten pro Tag 32 Migranten in Libyen abgelegt, wenn NGO-Schiffe im Einsatz waren - ohne Einsatz waren es 34 Migranten, wie Matteo Villa vom italienischen Institut für Internationale Politikstudien unter Berufung auf Zahlen der Internationalen Organisation für Migration und des UN-Flüchtlingswerks UNHCR berichtete.
Seit Anfang des Jahres sind nach Angaben der Organisation für Migration im Mittelmeer mindestens 682 Migranten ums Leben gekommen, 426 auf der Route von Libyen nach Europa. Das sind wesentlich weniger als noch im Jahr 2016 mit mehr als 2500 Toten. Darauf weist auch immer wieder Salvini hin.
Für die, die allerdings in Boote steigen, ist die Fahrt mittlerweile wesentlich riskanter: Die Todesrate (Proportion zwischen versuchten Abfahrten und Toten) liegt nun bei 5,2 Prozent - im letzten Jahr waren es 3,2 Prozent. Und viele Unglücke werden gar nicht mehr bekannt, seitdem es weniger Rettungsschiffe gibt.
Daher will die deutsche Hilfsorganisation Sea-Eye mit dem Schiff "Alan Kurdi" schon Ende Juli zu einer neuen Mission aufbrechen. Das nächste Geschachere wird wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen.