"Il Presidente“ erschallte es immer dann im Plenarsaal des Europaparlaments, wenn Präsident Antonio Tajani am Podium erschien. Den Begrüßungsruf kann der Saalsprecher nun gleich beibehalten, denn auch der neue Präsident kommt aus unserem südlichen Nachbarland: David-Maria Sassoli, vor seiner Karriere in der EU-Politik gefeierter Sprecher der abendlichen RAI-Hauptnachrichten im TV, wurde gestern im zweiten Wahlgang mit 345 von 667 gültigen Stimmen zum neuen Präsidenten des EU-Parlaments gewählt.
Sassoli, der selbst erst am Dienstag von dem Plan überrascht wurde, ist damit ungewollt zum Teil jenes Personalpakets geworden, dass sich die Staats- und Regierungschefs am dreitägigen Sondergipfel ausgeschnapst hatten. Sassoli ist im Gegensatz zu seinem EVP-Vorgänger ein Sozialdemokrat – er soll aber nach zweineinhalb Jahren vom gescheiterten EVP-Kandidaten Manfred Weber abgelöst werden. Er sei, sagte er wenig später, zum Schluss gekommen, dass das in Ordnung ist: „Ich bin nicht der Mann des Rats, ich bin der Mann des Parlaments.“ In der Tat ist der aus Florenz stammende Politiker seit zehn Jahren engagiert im EU-Parlament und war zuletzt einer der Vizepräsidenten. Er will nun mehr Kommunikation mit den Bürgern, sieht Klimawandel und Migration als besonders wichtige Themen und spricht auch von eine Reform des Dublin-Asylsystems.
Testballon für das Paket
Seine Wahl könnte man als Testballon für das gesamte Personalpaket des Rats interpretieren. Der Gipfel hatte das vom Parlament favorisierte Modell der Spitzenkandidaten verworfen, die Bewerber um den Posten des Kommissionspräsidenten kamen nicht zum Zug. Stattdessen wurde völlig überraschend die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für die Juncker-Nachfolge nominiert. Wie berichtet, soll der Spanier Josep Borrell EU-Chefdiplomat werden, Christine Lagarde ist für die EZB-Spitze vorgesehen und der belgische Premier Charles Michel wurde als neuer Ratspräsident designiert.
Das Personalproblem ist damit zwar fürs Erste gelöst, am „Hinterzimmerdeal“ gibt es aber weiterhin heftige Kritik – aus den eigenen EVP-Reihen, besonders aber von Grünen und Sozialdemokraten. So sei der demokratische Prozess übergangen, alle Spitzenjobs aus den Kernländern besetzt worden: Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Belgien.
Für Ursula von der Leyen ist das Parlament eine Hürde, denn bei der nächsten Sitzung in zwei Wochen braucht sie dort eine Mehrheit. Deshalb eilte sie gestern nach Straßburg, um zumindest einmal die Skeptiker in der eigenen EVP-Fraktion auf eine gemeinsame Linie einzuschwören. Hinter verschlossenen Türen habe sie versucht, die Abgeordneten zu „bezirzen“, sagte einer von ihnen danach, sie habe betont „Wir sind ein Team“. Der Verlierer im Kampf um den Posten, Manfred Weber, sprach zwar von einem schweren Tag für ihn, stellte sich aber demonstrativ hinter von der Leyen. Diese versprach dem Parlament enge Zusammenarbeit: „Hier schlägt das Herz der europäischen Demokratie.“
Knappe Abstimmung
Bei der Abstimmung in zwei Wochen könnte es knapp werden, Beobachter meinen jedoch, dass sich die nötigen 376 Stimmen ausgehen könnten. „Die hat sie noch lange nicht“, meint hingegen der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold. Ohne Sozialdemokraten und Grüne wird es tatsächlich schwierig. Von der Leyens eigene konservative Europäische Volkspartei (EVP) kommt nur auf 182 Sitze, die Liberalen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der von der Leyen beim Brüsseler Gipfel-Marathon vorgeschlagen hat, auf 108.
ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas, der gestern zum zweiten Mal zu einem der 14 Vizepräsidenten des Parlaments gewählt wurde, sprach von einer Weggabelung. Die liberale Demokratie sei gefährdet, unter anderem durch „Hinterzimmermauscheleien der EU-Staats- und Regierungschefs“. Das führe zu „Enttäuschung und Unbehagen“ im Parlament. Karas’ Stellvertreterin Karoline Edtstadler hält hingegen das Personalpaket für „ausgewogen“.