Die Quote der Bildungsabbrecher ist in Österreich wesentlich größer als in offiziellen EU-Zahlen ausgewiesen - statt bei rund sieben liegt sie bei knapp 13 Prozent, heißt es in einem "Policy Brief" des Instituts für Höhere Studien (IHS). Je nach politischem Bezirk sind fünf (Zwettl) bis 25 Prozent (Wien-Favoriten) der Jugendlichen betroffen. Bei Migranten schneiden städtische Bezirke besser ab.
Laut EU-Ziel soll die Zahl der frühen Bildungsabbrecher (18- bis 24-Jährige, die sich nicht mehr in Ausbildung befinden und höchstens einen Pflichtschulabschluss haben) zehn Prozent nicht überschreiten. In Österreich liegt diese Zahl derzeit offiziell bei 7,4 Prozent. "Wir haben aber viel bessere und genauere Daten", so IHS-Bildungsforscher Mario Steiner vor Journalisten.
Zahlen nicht falsch, sondern ungenau
Die offiziellen Zahlen seien nicht falsch. Sie beruhen aber auf dem Mikrozensus, für den ein Prozent der Österreicher befragt wird. "Wir haben aber schon Verwaltungsdaten des bildungsbezogenen Erwerbskarrierenmonitorings, in denen 100 Prozent erfasst sind. Das vermeidet die Schwankungsbreite einer Stichprobe und eliminiert die Möglichkeit sozial erwünschter Antworten", so Steiner.
Außerdem könne man in diese Daten "hineinzoomen": Die Abbrecherquote schwankt je nach politischem Bezirk stark und liegt etwa in Zwettl (NÖ), Rohrbach (NÖ), Scheibbs (NÖ), Lienz (T), Murau (St) und Oberpullendorf (B) nur knapp über fünf Prozent. Umgekehrt kommen die fünf Wiener Bezirke Favoriten, Brigittenau, Meidling, Simmering und Hernals auf Werte um die 20 Prozent bzw. darüber, auch Baden (NÖ) und Linz-Stadt (OÖ) liegen nur knapp unter 20 Prozent. Wenig überraschend sind im Ausland geborene Personen stärker vom Bildungsabbruch betroffen als in Österreich geborene.
Migranten schneiden in der Stadt besser ab
Zu einem überraschenden Ergebnis kommt man, wenn man die Bildungsintegration der Migranten in den einzelnen politischen Bezirken betrachtet: Hier zeigt sich, dass städtische Bezirke tendenziell besser abschneiden. Am geringsten ist für Migranten die Gefahr des Bildungsabbruchs in zehn Wiener Bezirken sowie in Graz und Klagenfurt (zwischen 20 und 30 Prozent) am höchsten dagegen in Urfahr-Umgebung (OÖ) und Baden (NÖ) mit Werten über 60 Prozent, knapp gefolgt von Neusiedl am See (B), Deutschlandsberg (St) und Schärding (OÖ) mit je knapp unter 60 Prozent.
"In diesen Bezirken schafft gerade rund einer von drei Migranten einen über die Pflichtschule hinausgehenden Abschluss", so Steiner. "Die Integration funktioniert in der Stadt besser als am Land." In der Stadt laufe diese vor allem über das Angebot diverser Maßnahmen: "Das können die Migranten annehmen. Am Land ist das schwerer - dort gibt es das vielleicht auch, aber erst in der nächsten Bezirkshauptstadt." Außerdem finde am Land Integration eher über die soziale Zugehörigkeit zu diversen Gemeinschaften wie Blasmusik oder Freiwillige Feuerwehr statt. "Wer da nicht dabei ist, ist nicht Teil des sozialen Systems."
Systembedingter Abbruch
Der Grund für die höheren Abbruchsquoten von Migranten sei auch systembedingt, betonte Steiner. "Wir neigen dazu, die Ursache immer beim Individuum zu suchen: 'Hätten's mehr gelernt, wäre es schon gegangen'." Einen Beitrag dazu leiste aber auch die Selektion im Bildungssystem: So sei etwa der Anteil der Migranten an Sonderschulen um 40 Prozent höher als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entsprechen würde - "und dort kriege ich schon automatisch keinen Abschluss, der mich zum Besuch einer weiterführenden Schule berechtigen würde".
Auch hier gebe es regionale Unterschiede: Während in Kärnten, im Burgenland und auch in Wien das Ausmaß der Überrepräsentation von Migranten nicht vorhanden bzw. geringer ist, kommen Tirol, Oberösterreich und die Steiermark sogar auf Werte um die 60 Prozent. Je mehr Sonderschulen, desto mehr frühe Bildungsabbrecher gebe es auch, meinte Steiner.
Auch andere Faktoren wie die Zusammensetzung von Klassen haben Einfluss auf den Bildungsabbruch: "Je mehr segregiert wird, desto höher ist der Anteil früher Bildungsabbrecher", betonte Steiner. Zum Teil würden Direktoren etwa die österreichischen Kinder in einer Klasse zusammenfassen, die Migranten in der anderen. Auch die verbreitete Halbtagsschule führe zu Segregation in jene Schüler, deren Bildungserfolg durch mitlernende Eltern oder zugekaufte Nachhilfe unterstützt werde, und den Rest.