Für seinen flammenden Appell für einen "Neubeginn in Europa" hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Berlin und Brüssel viel Lob bekommen. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte am Dienstag, er unterstütze Macrons Äußerungen zu demokratischen Freiheiten "vollkommen". Ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einem "wichtigen Beitrag zur europäischen Debatte".

Kritiker in Frankreich warfen dem einstigen politischen Senkrechtstarter vor, mit dem Vorstoß von den Problemen im eigenen Land ablenken zu wollen.

Macron hatte in einem Gastbeitrag für europäische Tageszeitungen vor nationalistischer Abschottung und der Manipulation wütender Bürger gewarnt. Ein "Neubeginn in Europa" müsse auf den drei Säulen "Freiheit, Schutz und Fortschritt" beruhen, schrieb er in dem Text, der in Österreich von der "Presse" veröffentlicht wurde.

Der französische Präsident sprach sich unter anderem für die Gründung einer "europäischen Agentur zum Schutz der Demokratie" aus. Diese solle in jeden Mitgliedstaat Experten entsenden, um die Wahlen vor Hackerangriffen und Manipulationen zu schützen. Daneben solle die Finanzierung europäischer Parteien durch "fremde Mächte" verboten werden. Auch brauche es "eine gemeinsame Grenzpolizei und eine europäische Asylbehörde".

Juncker: Vieles schon beschlossen

Tusk sagte, angesichts von Versuchen der Beeinflussung von Wahlen durch "antieuropäische Kräfte" in- und außerhalb der EU unterstütze er Macrons Äußerungen zu demokratischen Freiheiten "vollkommen".

Junckers Sprecher verwies allerdings darauf, dass mehrere der von Macron genannten Vorschläge bereits existierten oder sich in der Umsetzung befänden. So stammten die Pläne zur Stärkung der EU-Grenzschutzbehörde Frontex und zur Schaffung einer europäischen Asylbehörde von der Kommission. "Bereits beschlossen" und mit Mitteln versehen sei auch ein europäischer Rat für Innovation.

Auch aus Berlin gab es viel Lob für den Vorstoß des französischen Präsidenten. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz stellte sich hinter Macron: "Ich finde, er hat Recht: Nicht Skepsis, sondern Zuversicht sollte unser Handeln bestimmen." Europa müsse "souverän und stark" sein, "damit wir in der Welt nicht herumgeschubst werden", fügte der Vizekanzler hinzu. Er sehe die deutsche Bundesregierung eng an der Seite von Paris, "wenn es um Reformen für ein handlungsfähiges Europa und einen stabilen Euro geht".

Ein deutscher Regierungssprecher äußerte sich zurückhaltender zu Macrons Vorschläge. "Es ist wichtig, dass die proeuropäischen Kräfte vor der Europawahl ihre Konzeptionen vorstellen", erklärte er in Berlin. "Die Bundesregierung unterstützt die engagierte Diskussion über die Ausrichtung der Europäischen Union."

In Österreich applaudieren die Neos

In Österreich reagierten zunächst nur die NEOS und äußerten Unterstützung für den "progressiven" Ansatz Macrons. Seine Vision von Europa sei "genau das, was die Europäische Union jetzt braucht. Wir dürfen uns nicht länger im Klein-Klein verlieren. Es braucht jetzt große Sprünge der Weiterentwicklung, um Europa handlungsfähig, entscheidungsfähig, überlebensfähig und verteidigungsfähig zu machen", erklärte Claudia Gamon, NEOS-Spitzenkandidatin für die Europawahl, am Dienstag in einer Aussendung.

In Frankreich, wo der Präsident wegen der "Gelbwesten-Krise" immer noch geschwächt ist, stießen seine Vorschläge nicht nur auf Gegenliebe. Es sei viel bequemer, sich in einem permanenten Wahlkampf zu befinden, als ein Land und vor allem einen Kontinent wie Europa zu verwalten, sagte Robin Reda von den konservativen Republikanern dem Sender BFM TV. Die Rechtspartei Rassemblement National von Macrons Dauer-Gegenspielerin Marine LePen fordert angesichts der politischen Lage in Frankreich mehr Bescheidenheit von Macron. Er sei letztlich nur ein "armseliger Verteidiger einer schwindenden EU", heißt es.

Rechtskonservative Politiker in Frankreich werfen dem Präsidenten außerdem vor, in seinem Gastbeitrag Themen wie Migration auszusparen. Linke hingegen sehen einen Widerspruch zwischen seinen Ankündigungen und dem, was er tatsächlich tue. "Emmanuel Macron verspricht ein ehrgeiziges Europa im Bereich des Klimawandels. In Frankreich zieht es sich ständig von unseren Klimazielen und dem Ausstieg aus der Kernenergie zurück", erklärte Manon Aubry, Spitzenkandidatin der Linkspartei La France Insoumise für die Europawahl.

"Europa in großer Gefahr"

Macron schrieb in dem Gastbeitrag: "Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr." Die EU dürfe nicht zulassen, "dass die Nationalisten, die keine Lösungen anzubieten haben, die Wut der Völker ausnutzen. Wir dürfen nicht Schlafwandler in einem erschlafften Europa sein. Wir dürfen nicht weitermachen wie bisher", warnte er.

Die wichtigste Freiheit in Europa sei die "demokratische Freiheit, unsere Volksvertreter zu wählen". Allerdings versuchten "bei jeder Wahl fremde Mächte, unser Wahlverhalten zu beeinflussen", schrieb Macron in dem Beitrag, der auch in den Zeitungen "Die Welt", "The Guardian", "El País" und "Corriere della Sera" erschien.

Macron forderte zudem, den Schengen-Raum neu zu überdenken. Europa sei in den Augen vieler Bürger ein "seelenloser Markt" geworden. "Ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft kann nur entstehen, wenn diese Grenzen hat, die sie beschützt", erklärte er. Er glaube "angesichts der Migration an ein Europa, das sowohl seine Werte als auch seine Grenzen beschützt".

Mit Verweis auf Großbritannien erklärte Macron, der Brexit sei "ein Symbol für die Krise in Europa, das nicht angemessen auf die Schutzbedürfnisse der Völker angesichts der Umwälzungen in der heutigen Welt" reagiert habe. Die "Sackgasse des Brexit" müsse "eine Lehre für uns alle" sein.