Finden Sie es richtig, wenn ein Staat sagt, unsere Autobahnen sind nur für unsere Leute gratis, alle anderen müssen zahlen, wie es Deutschland argumentiert?
Harald Vilimsky: Ich halte die generelle Entwicklung der EU für verfehlt. Wir haben sie ins Leben gerufen, um Frieden, Freiheit und Wohlstand zu generieren. Jetzt sind wir in einem rechtlichen Hickhack auf allen Ebenen. Von Maut über Indexierung der Familienbeihilfe bis zu den Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn und Polen. Man hat den Eindruck, das ist eine rechtliche Hickhackunion, nicht eine Gemeinschaft von Freunden.
Es braucht doch eine Art, Konflikte unter Freunden zu lösen. Was ist denn falsch daran, dafür den Rechtsweg zu haben?
Gute Freunde setzen sich bei Kaffee oder einem Glas Wein zusammen, die zerren sich nicht vor den Gerichtshof. Mit diesen Serienklagen führt man die Idee der EU ad absurdum. Die Union ist nicht gedacht dazu, einander auszutricksen und vor Gericht zu zerren.
Deutschland haben ja wir Österreicher geklagt. Hätte Infrastrukturminister Hofer (FPÖ) also die Klage zurückziehen sollen?
Nein, aber es war von Vornherein eine Provokation der Deutschen, das überhaupt so zu regeln. Österreich macht auch nichts, was die anderen provoziert – inklusive der Indexierung der Familienbeihilfe.
Die osteuropäischen Staaten, deren Bürger betroffen sind, sehen das eventuell anders.
Das europäische System kennt selbst die Indexierung, bei Mitarbeitern des Parlaments oder höchsten Beamten der Union, Gegen ein gerechtes Modell anzulaufen, das anerkennt, dass die Lebenserhaltungskosten in Rumänien andere sind als in Österreich, ist mir unverständlich.
Deutschland behauptet doch genauso, sein neues Mautsystem sei gerecht.
Dann muss man sich zusammensetzen und gemeinsam an den großen Problemen zu arbeiten, statt einander kleiner Zahlen wegen vor den Gerichtshof zu zerren. Bis hin zu Absurditäten wie Artikel 7-Verfahren gegen zwei wichtige Mitgliedsländer zu führen.
Das Artikel 7-Verfahren ist keines vor Gericht, sondern ein politisches – genau das „zusammensetzen“, das Sie sich wünschen.
Die EU-Werte werden da nach Bedarf ausgelegt. Wenn in Rumänien Sozialdemokraten regieren, dort Korruptionsverfahren laufen und es hunderte Verletzte wegen Prügelbefehlen gibt, steckt man den Kopf in den Sand. Bei Orban oder der polnischen PiS setzt man einen anderen Maßstab an.
Wollen Sie also auch ein Artikel 7-Verfahren gegen Rumänien?
Ich würde gegen gar kein Land so ein Verfahren führen. Ich würde Kooperation in der EU neu definieren. Österreich hat sich auf das Modell „weniger Kooperation, aber dort, wo kooperiert wird, tiefere und effizientere Zusammenarbeit“ festgelegt. Diese Reform ist die EU bisher schuldig geblieben.
Welche Aufgaben würden Sie denn gerne zurückholen?
Wir reden gerade von einer EU-Armee. Aus österreichischer Sicht ein totales No-Go. Wir reden von der Familienbeihilfe, von Sozialpolitik, wo die Union immer mehr regeln will. Es kann viel zurück auf die nationale Ebene, die EU soll sich auf große Fragen beschränken.
Sollte es ein gemeinsames europäisches Asylsystem geben?
Ich sehe in Europa eine unglaubliche Dominanz der politischen Linken . . .
Stärkste Partei im Parlament ist die Europäische Volkspartei.
In den Institutionen haben wir eine Dominanz der Linken. So wie Asylpolitik sich momentan gestaltet, wird nicht die Mehrheitsmeinung in Österreich repräsentiert. Wir haben uns auf einen anderen Weg verständigt: Restriktive Asylpolitik, Hilfe vor Ort, Verlust des Asylstatus für Kriminelle – dass Innenminister Kickl dafür eine Abfuhr der Kommission erfahren hat, ist ein Skandal der Sonderklasse. Ich will nicht, dass österreichische Interessen durch die anderer überlagert werden.
Das heißt, auf EU- Ebene soll Hilfe vor Ort koordiniert werden?
Dafür habe ich eine Staatengemeinschaft, um sichere Zonen in Nordafrika oder auf der arabischen Halbinsel zu schaffen.
Wie schaffe ich ohne gemeinsame Armee „sichere Zonen“?
Das ist keine Frage von Armeen, sondern von Verhandlungen. Es gibt genug sichere Zonen in diesem Großraum. Wenn ich es schaffe, dort jene, die Schutz nach der Genfer Konvention brauchen, Sicherheit und Versorgung zukommen zu lassen, dann kann ich um einen Euro das bewerkstelligen, wofür ich in Europa hundert brauche.
Bisher hat sich kein Staat gefunden, der solche Zonen will.
Weil es den politischen Willen nicht gibt, das umzusetzen. Wenn die Ernsthaftigkeit dazu da wäre, dann würde sich auch ein Weg finden. Diese Ernsthaftigkeit stelle ich her über einen Spielerwechsel: Wir brauchen nicht mehr das System Juncker-Tusk-Merkel, sondern Politiker vom Schlage eines Matteo Salvini, Viktor Orban oder Heinz-Christian Strache. Wir brauchen frischen Wind.
Diese Leute, die Sie nennen, sitzen doch schon alle in EU-Regierungen.
Genau da kommt ja der Reformwind, der aber in Brüssel blockiert wird, zum Beispiel Kickl durch die Kommission. Das versteht kein Mensch, dass Österreich, das Hilfsbereitschaft zeigt, Menschen, die mit dem Strafrecht in Konflikt kommen, mit dem Zeigefinger aus Brüssel weiterbetreuen muss.
Interviews mit den EU-Kandidaten
Georg Renner