Großbritannien wird die Europäische Union am 29. März 2019 verlassen. Bisher sprachen beide Seiten immer davon, dass ein Abkommen bis Oktober fertig sein sollte. Dieser Termin dürfte aber wohl nicht halten, in Brüssel wird nun ein Brexit-Sondergipfel im November nicht mehr ausgeschlossen. Beim Gipfel in Salzburg am Donnerstag könnte klarer werden, ob es dazu wirklich kommt.
In Kraft treten kann der Brexit ohnehin erst nach Absegnung des Austrittsvertrags durch das britische und Europäische Parlament. In Brüssel dürfte es wenig Widerstand geben, wenn die Rechte der europäischen Bürger in Großbritannien geregelt und die Nordirland-Frage gelöst werden. Die Nordirland-Frage könnte mit dem von der britischen Premierministerin Theresa May nach dem Regierungs-Landsitz Chequers benannten Plan gelöst werden. Dieser sieht die Schaffung einer Freihandelszone mit Gütern sowie weiter enge Beziehungen zur EU vor.
Grenzkontrollen auf irischer Insel nicht notwendig
Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland wären nicht nötig und auch die nordirischen Unionisten, die Mays Regierung in London stützen, könnten dem zustimmen. Allerdings wird der Brexit-Chefverhandler der EU, der Franzose Michel Barnier, Mays Ideen wohl nicht so leicht zustimmen. Den bisher war seine Verhandlungsmaxime, dass die vier Grundfreiheiten des Binnenmarkts - freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und freier Kapital- und Zahlungsverkehr - untrennbar seien.
Zweifelsohne gibt es auch die Angst in der EU, dass ein zu großes Entgegenkommen gegenüber Großbritannien die europaskeptischen Kräfte bei den nächsten Wahlen zum EU-Parlament stärken würde. In der EU gibt es auch Befürchtungen, dass die Idee Londons, am freien Markt für Dienstleistungen nicht teilnehmen zu wollen, Begehrlichkeiten für Ausnahmen in anderen EU-Staaten wecken würde.
Ringen um das EU-Budget
Mit Sicherheit müssten die Briten aber weiterhin ins EU-Budget einzahlen, ohne dafür ein Mitspracherecht zu haben, so wie Norwegen und die Schweiz. Bern verhandelt derzeit ein Rahmenabkommen mit Brüssel. An der Frage, wieweit sich die Schweiz der Judikator des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen muss, spießt es sich noch. Gerade die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist aber den Brexiteers immer schon ein Dorn im Auge gewesen.
Die europäische und die britische Wirtschaft fürchten freilich einen harten Brexit, einen "No-Deal", einen Austritt ohne Abkommen. Daher werden die Verhandler wohl alles versuchen, um dies zu vermeiden, denn der wirtschaftliche Schaden wäre auf beiden Seiten hoch, wenn auch auf der britischen Seite des Kanals wohl noch um einiges höher. Gültig wären dann die Regeln der Welthandelsorganisation. Und aus Sicht der EU würden die WTO-Regeln auch Grenzkontrollen zwischen Irland und dem britischen Nordirland unumgänglich machen.
Zerreißprobe in London
In Großbritannien ist das Verhältnis zwischen Gegnern und Befürwortern eines Brexits so verspannt, dass auch die neuesten Umfragewerte, die eine klare Mehrheit gegen den Brexit ergeben, nichts daran ändern werden. Die Regierung in London hat ein zweites Referendum jedenfalls schon ausgeschlossen. Zu einem solchen könnte es allenfalls bei einem Sturz der Regierung May kommen. Allerdings gilt Labour-Chef Jeremy Corbyn als alles andere denn als begeisterter Europäer. Doch selbst wenn May stürzen sollte, gingen sich Neuwahlen und die Bildung einer neuen Regierung wohl nicht bis Ende März 2019 aus.
In Sicherheit kann sich May dennoch nicht wiegen, denn die Tory-Brexiteers, die sich in der "European Research Group" (ERG) versammelt haben, wollen einen weichen Brexit mit allen Mitteln verhindern. Aus Kreisen der ERG heißt es, dass mindestens 80 konservative Parlamentarier gegen den von Premierministerin Theresa May vorgelegten Chequers-Plan stimmen würden.
May vor einem Misstrauensvotum
Unklar ist aber, ob die konservativen Brexiteers es schaffen würden, May zu stürzen. Die für ein Misstrauensvotum notwendigen 48 Stimmen würden sie sicher zusammenbekommen. Um sie abzuwählen, wären aber 158 Stimmen nötig. Scheitert das Misstrauensvotum, verbieten die Parteistatuten ein weiteres Misstrauensvotum innerhalb eines Jahres.
Brexit-Minister Domenic Raab zeigte sich am Freitag nach einem Telefonat mit Barnier zuversichtlich, indem er meinte: "Wir bekräftigten unsere Bereitschaft, uns die notwendige Zeit und Energie zu gewähren, um diese Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende zu bringen."
May kämpft um ihr Amt
May kämpft mit der Warnung vor einem unkontrollierten Brexit um ihr Amt. "Es ist entweder mein Deal oder kein Deal", sagte May am Montag in einem BBC-Interview in Richtung ihrer Kritiker. Medienberichten zufolge diskutieren die "Brexiteers" derzeit, wie sie May stürzen könnten, weil sie einen klareren Schnitt in den Beziehungen mit Brüssel wollen.
"Ich glaube, die Alternative dazu wäre, keinen Deal zu haben", sagte May auf die Frage, was passieren würde, denn das Parlament ihren Vorschlag ablehne. May wünscht, dass Großbritannien weiterhin in einer Freihandelszone mit der EU bleibt, doch müsste London dafür auch weiterhin, aber ohne Mitspracherecht, die als "bürokratisch" kritisierten EU-Rechtsvorschriften einhalten. Ex-Außenminister Boris Johnson verschärfte in einem Gastbeitrag für den "Daily Telegraph" seine Kritik an diesem Plan. "Es ist das erste Mal seit (der Landung der Normannen in Hastings im Jahr) 1066, dass sich unsere Politiker willentlich fremder Herrschaft fügen", schrieb er. Auch Umweltminister Michael Gove ging auf Distanz zur Regierungschefin. Ihr Plan sei "derzeit" der richtige, doch könnte ihr Nachfolger die Beziehungen zwischen London und Brüssel ändern, sagte Gove, der als May bisher als letzter prominenter Brexiteer die Stange gehalten hatte.
Martin Hanser