Im letzten Satz Ihres Sommergesprächs mit dem ORF haben Sie gesagt: Diese Bundesregierung ist die erste, die Europa von innen heraus zerstört, die österreichische EU-Ratspräsidentschaft sei völlig missglückt. Wie haben Sie das gemeint?
PETER PILZ: Wer glaubt, in Zeiten wie diesen, wo es um Klimawandel geht, um Gerechtigkeit, um das Überleben der Europäischen Union als Projekt, könne man nur durch das Setzen auf die Hasskomponente des Flüchtlingsthemas und durch das Bilden einer Achse Budapest – Wien – München, also einer Achse der Visegrad-Trittbrettfahrer gegen eine europäische Solidarität, Europa voranbringen, der irrt. Das sind die Leute, die die Europäische Union zerstören, und die eines nicht kapiert haben: Die lange Phase des Friedens hat ausschließlich mit der Europäischen Union zu tun.
Pilz, die Regierung und die EU
Wobei: Das sagen sie ja nicht so…
PILZ: Doch. Das Visegrad-Trittbrettfahren, diese antieuropäische Haltung, das führt ja dort hin. Wir als Nettozahler zahlen im übrigen drauf, wenn die Visegrad-Staaten ihre Budgets aus den Töpfen der EU finanziert haben wollen und sich gleichzeitig nirgends an solidarischen Lösungen beteiligen. Diesen unverschämten Herrschaften müsste man das gemeinsam mit Deutschland und Frankreich abgewöhnen.
Es gab schon auch die Aussage, dass die Zahlungen an ein Land gestoppt werden müssen, wenn es rechtsstaatliche Grundsätze nicht einhält, Polen zum Beispiel.
PILZ: Das ist eine Position der EU-Kommission. Es kommt mit Sicherheit nicht aus dem Kanzleramt in Wien.
Verantwortlich ist die ÖVP? Oder auch die FPÖ?
PILZ: Das ist eine ÖVP-Alleinregierung unter freiheitlicher Beteiligung. Mit einem Kurwechsel innerhalb der ÖVP von einer proeuropäischen, christdemokratischen Partei hin zu einer halb-orbanisierten Partei. Mit einer sehr autoritären Führung, die versucht, politisches Management durch Meinungssteuerung zu ersetzen. Gestaltung von Politik wird durch professionelle Propaganda ersetzt. Echte Auseinandersetzung wird durch hoch budgetierte Floskelschmieden vermieden. Das hat Viktor Orban aber schon vor zehn Jahren gezeigt, wie das geht.
Wie hätten Sie die Ratspräsidentschaft angelegt?
PILZ: Die Menschen haben ein Recht auf eine vernünftige Ausländerpolitik. Da geht es um das Sichern der Außengrenzen Europas, aber wenn wir gleichzeitig weniger zahlen wollen, bleiben das leere Worte. Das wird nicht ganz billig werden. Und vorher muss ich einen Afrikaplan entwickeln, von der Küstenfischerei bis hin zu den Agrarexporten. Der wird frühestens in 15 Jahren Wirkung zeigen in Bezug auf die Flüchtlingszahlen, aber sonst kommen noch viel mehr. Und ich muss klären: Was ist mit der Hilfe vor Ort? Wir haben ein Bevölkerungsverhältnis zu Deutschland von 1 zu 10, und ein Hilfe-vor-Ort-Verhältnis von 1 zu 500! Und dann geht der Herr Kurz her und sagt, die Hilfe vor Ort ist ihm eines seiner wichtigsten Anliegen? Und steckt in jede Kabinetts-Propagandaaktion ein Vielfaches des Geldes dafür? Die Hilfe vor Ort ist Kurz-Hilfe in Wien, und nicht Flüchtlingshilfe in Syrien!
Worin sehen Sie den Grund für das Scheitern?
PILZ: Wir haben in der Regierung ein Hütchen-Problem: Die Aluhüte auf den Köpfen etlicher freiheitlicher Politiker und die politischen Hütchenspiele des Kanzlers, der in wesentlichen Fragen einfach schwindelt. Der Punkt ist nicht Hilfe vor Ort – Ja oder Nein. Sondern: Das Recht auf Asyl muss unbestritten sein. Über Einwanderung entscheiden wir. Und Außengrenzschutz ist notwendig, aber keine militärische Aufgabe, sondern eine polizeiliche. Und Viertens: Ohne Hilfe vor Ort und Afrika-Plan können wir uns das alles in die Haare schmieren.