Die EU-Kommission leitet gegen sieben EU-Länder Strafverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung ein. Die Länder wiesen ein übermäßiges Defizit auf, teilte die für die Einhaltung der EU-Schuldenregeln zuständige Brüsseler Behörde am Mittwoch mit. Neben Frankreich und Italien sind Belgien, Ungarn, Malta, Polen und die Slowakei betroffen, gegen Rumänien ist bereits ein Verfahren anhängig. Die EU-Kommission kritisiert Österreich erneut für die hohe Abhängigkeit von russischem Gas.
Die EU-Kommission beaufsichtigt, ob die EU-Länder die Regeln für Budgetdefizite und Staatsschulden einhalten. Das Regelwerk erlaubt eine Neuverschuldung von höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Defizitverfahren waren wegen der Coronakrise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine zuletzt ausgesetzt. Wird ein Strafverfahren eingeleitet, muss ein Land Gegenmaßnahmen einleiten, um Verschuldung und Defizit zu senken. Damit soll vor allem die Stabilität der Eurozone gesichert werden.
Die Kommission hat sich zwölf EU-Staaten genauer angeschaut. Diese haben die Obergrenze für dieses Defizit im vergangenen Jahr nicht eingehalten oder werden dies laut Prognose in diesem Jahr übertreten. Österreich gehörte nicht zu diesen zwölf Ländern. Laut dem Länderbericht für Österreich wird aber für heuer auch hierzulande ein Budgetdefizit von 3,1 Prozent erwartet.
Auch Kritik an Österreich
In den ebenfalls am Mittwoch vorgelegten Länderberichten werden Bestandsaufnahmen der Budgetlagen vorgenommen und die Fortschritte bei der Umsetzung der Empfehlungen der Vorjahre bewertet. Die EU-Kommission kritisiert für Österreich wie bereits im Vorjahr die hohe Abhängigkeit von russischem Gas und pocht erneut auf einen rascheren Ausbau der erneuerbaren Energien: „Das Fehlen einer klaren Strategie zur Abkopplung von russischem Gas macht Österreichs Energieversorgung verwundbar“, heißt es in die an Wien gerichteten Empfehlungen. Österreich habe zwar „weitere Maßnahmen zur Beschleunigung der Energiewende vorgelegt, aber das überarbeitete Strommarktgesetz und das Gesetz über erneuerbare Gase müssen noch vom Parlament verabschiedet werden“.
Die Gesundheitsreform 2023 wird im Bericht positiv wahrgenommen. Aber das Reformpaket von 2023 enthalte „keine Strukturreformen, die die Finanzierungs- und Ausgabenzuständigkeiten neu ordnen würden, um die Effizienz zu steigern“. Gleichzeitig erforderten die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen und der Wandel der Familienstrukturen eine Stärkung des formalen Betreuungsangebots. Weitere Herausforderungen seien das ungenutzte Potenzial von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die alternde Bevölkerung, die zu einem „Rückgang der wirtschaftlichen Dynamik“ führe.
Auch Österreichs Steuersystem wird als „komplexes System von zwischenstaatlichen Transfers zwischen föderalen und regionalen Behörden“ kritisiert: „Die Reform des Grundsteuersystems könnte dazu dienen, den Steuerföderalismus und das Steuersystem insgesamt zu verbessern.“
Brunner will „Kritik ernstnehmen“
Österreichs Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) reagierte auf die Kritik mit den Worten, er wolle die Vorschläge der Kommission ernst nehmen und „detailliert analysieren“, wie es in einer Aussendung hieß. „Die Finanzmärkte und Ratingagenturen beobachten die budgetären Entwicklungen der Länder genau, das gilt natürlich auch für Österreich“, wird der Minister darin zitiert. „Daher war der Beschluss der neuen EU-Fiskalregeln wichtig.“
Im Jahreszyklus prüft die EU-Kommission die Wirtschafts-, Budget- und Sozialpolitik der Regierungen und erteilt gezielte Ratschläge für Korrekturen. Dieses sogenannte Europäische Semester soll dazu beitragen, die Politik der EU-Staaten zu koordinieren. Zu große Budgetdefizite und Schuldenberge, aber auch Reformstau sollen vermieden werden. Übergeordnetes Ziel ist, die Maastricht-Obergrenzen von maximal drei Prozent Budgetdefizit und 60 Prozent Gesamtverschuldung einzuhalten.
Dass nur gegen sieben Länder neue Verfahren eingeleitet wurden, liegt daran, dass die Kommission verschiedene Faktoren berücksichtigt. Dazu gehört etwa, ob das Übertreten der Defizitgrenze nur sehr gering ist, aufgrund besonderer wirtschaftlicher Umstände als außergewöhnlich gilt oder auch ob mehr Investitionen in Verteidigung getätigt wurden.
Regeln zuletzt reformiert
Nächster Schritt im Verfahren sind nun Stellungnahmen des Wirtschafts- und Finanzausschusses im Europaparlament, die innerhalb von zwei Wochen erfolgen müssen. Danach will die Kommission Stellungnahmen abgeben, um das Bestehen eines übermäßigen Defizits in den betreffenden Ländern zu bestätigen. Dann wird die Kommission im Juli den EU-Finanzministern vorschlagen, Empfehlungen zur Defizitreduzierung für die betroffenen Länder auszusprechen.
Das Regelwerk für Staatsschulden und Defizite, das auch Stabilitäts-und Wachstumspakt genannt wird, wurde jüngst nach jahrelanger Debatte reformiert. Der EU-Abgeordnete der deutschen Grünen, Rasmus Andresen kritisierte die Reform: „Heute zeigt sich, warum die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in dieser Form ein Fehler war“, teilte er per Presseschreiben mit. „Wenn die Länder, gegen die nun ein Verfahren angestoßen wurde, die neuen Vorgaben zur Haushaltskonsolidierung befolgen wollen, dann würden sie erheblich an Wirtschaftskraft verlieren.“ Die neuen Fiskalregeln hemmten „Investitionen massiv“ - dadurch werde „Europa an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.“