Nach dem Ja des Parlaments müssen noch die EU-Staaten zustimmen. Vor der Abstimmung äußerten zahlreiche EU-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier Kritik an dem Paket. So wollten die europäischen Grünen und einige rechtskonservative Parteien Teile davon ablehnen. Von den österreichischen EU-Abgeordneten stimmten ÖVP, SPÖ und NEOS laut eigenen Angaben für das gesamte Paket. Die FPÖ-Abgeordneten waren bis auf eine Regelung dagegen, die Grünen unterstützen den Asyl- und Migrationspakt nicht.
Lautstarke Proteste im Saal
Die Abstimmung im EU-Parlament in Brüssel musste einmal unterbrochen werden, da Demonstrantinnen und Demonstranten im Saal lautstark gegen das Paket protestierten. „Wir haben einen soliden Rechtsrahmen für den Umgang mit Migration und Asyl in der EU geschaffen“, kommentierte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nach der Abstimmung in Kurznachrichtendienst X. Die EU habe „Geschichte gemacht“. Die zuständige EU-Innenkommissarin Ylva Johansson betonte auf X: „Wir werden in der Lage sein, unsere Außengrenzen, die Schutzbedürftigen und die Flüchtlinge besser zu schützen und diejenigen, die kein Bleiberecht haben, rasch zurückzuschicken.“
Das Paket sieht einheitliche Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen vor. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag dürfen die Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden. Abgelehnte Asylbewerber sollen künftig leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden können.
Neuer „Solidaritätsmechanismus“
Die Verteilung der Schutzsuchenden unter den EU-Staaten wird in Zukunft mit einem „Solidaritätsmechanismus“ neu geregelt: Länder, die keine Flüchtlinge (mehr) aufnehmen wollen, müssen ausgleichende Unterstützungen leisten, etwa in Form von Geldzahlungen. Bei der Ankunft besonders vieler Geflüchteter in einem EU-Land soll die „Krisenverordnung“ greifen. Migranten könnten dann länger festgehalten werden.
Die Asylanträge in Europa steigen laut neuesten Eurostat-Daten an: Im Jahr 2023 haben demnach um ein Fünftel mehr Menschen als 2022 Asyl in der Europäischen Union beantragt. Nach einem erheblichen Rückgang im Jahr 2020 (417.100) steigt der Wert der Erstantragsteller EU-weit seit drei Jahren in Folge an, und erreichte 2023 fast die Höchstwerte der Jahre 2015 und 2016 (1.216.900 und 1.166.800) nach dem Krieg in Syrien. Österreich verzeichnete 2023 zwar die zweithöchste Anzahl an Erstanträgen im Verhältnis zur Bevölkerung, aber insgesamt um fast die Hälfte weniger Anträge als 2022.
„Der Beschluss des neuen EU-Asyl-& Migrationspaktes ist ein lang ersehnter Erfolg - und zeigt auch, dass wenn der Wille zur Lösung bei allen vorhanden ist, die EU auch Antworten liefert“, freute sich Noch-ÖVP-Abgeordneter Otmar Karas auf X. Seine Parteikollegen Angelika Winzig und Lukas Mandl hatten den EU-Asyl- und Migrationspakt bereits vor der Abstimmung als „Meilenstein im Kampf gegen die irreguläre Migration“ begrüßt. „Nach Jahren des Stillstands haben wir nun eine Einigung“, betonte SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder.
Kritik von FPÖ und Grünen
Auch NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon hat dem gesamten Paket ihr Ja gegeben. Die FPÖ-Delegation hingegen hat nur der EURODAC-Regelung zugestimmt, die den Abgleich von Fingerabdrücken zur Identifizierung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser zu Strafverfolgungszwecken ermöglichen soll. Alle anderen im Paket enthaltenen Punkte wurden abgelehnt. „Der EU-Migrationspakt wird an der Massenzuwanderung in die EU genau nichts ändern“, so FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky im Vorfeld der Abstimmung.
„Als Grüne/EFA im Europaparlament haben wir uns in den Verhandlungen zum Asyl- und Migrationspakt vehement für ein menschenwürdiges und gerechtes Asylsystem eingesetzt. Unsere Forderungen sind klar: Wir brauchen endlich sichere und legale Flucht- und Migrationswege in die EU und ein solidarisches Aufnahmesystem, keine Festung Europa unter Missachtung der Menschenrechte und auch keine Auslagerung der Verantwortung an dubiose Drittstaaten“, kritisierte die grüne Delegationsleiterin Monika Vana den Kompromiss.
Scharfe Kritik von NGOs
Von humanitären NGOs kam vor und nach der Abstimmung scharfe Kritik am Pakt: „Mit ihrer Asylreform setzt die EU nun noch massiver auf Internierungslager, Zäune und Abschiebungen in unsichere Drittstaaten. Hier wird versucht, Verantwortung um jeden Preis auszulagern“, erklärte Marcus Bachmann, humanitärer Berater bei Ärzte ohne Grenzen Österreich. „Aber ‚Aus den Augen, aus dem Sinn‘ funktioniert nicht, wenn es um Menschenleben geht. Die Menschen zahlen den Preis.“
Karl Kopp, Vertreter der deutschen Organisation Pro Asyl im Europäischen Flüchtlingsrat ECRE (European Council on Refugees and Exiles) bezeichnete den Pakt als „historischen Rückschritt“. Durch ihn werde eine Norm geschaffen, die Asylverfahren und haftähnliche Bedingungen normalisiert, sagte Kopp diese Woche vor Journalisten in Wien. Illegale Praktiken an den EU-Außengrenzen würden dadurch beibehalten und sogar weiter verschärft.
„Wer Kinder inhaftiert, hat sich völlig demaskiert! Der Asyl-Deal ist eine Bankrotterklärung an die europäischen Menschenrechte. Es ist aber auch die Fortsetzung eines chronischen und politisch gewollten Scheiterns, welches ausschließlich jenen nutzen wird, die nach Orbanisierung, Remigration und Demokratieabbau schreien“, kommentierte Petar Rosandić, Obmann der SOS Balkanroute, in einer Aussendung.
„Handlungsfähigkeit“ in schwierigen Zeiten
Die deutsche Regierung begrüßte die Einigung. Außenministerin Annalena Baerbock erklärte, damit „beweist die EU in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit“. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser will sich dafür einsetzen, dass die nun beschlossene Asylreform möglichst schnell Wirkung entfaltet. „Wir haben uns nach jahrelangen harten Verhandlungen auf dieses umfassende Paket geeinigt. Damit haben wir eine tiefe Spaltung Europas überwunden“, sagte Faeser am Mittwoch nach Angaben der deutschen Nachrichtenagentur dpa in Berlin.