25. August, 20.00 Uhr - Studien
Die Urlaubszeit ist vorbei, in Brüssel aber noch nicht. Diese Woche läuft noch im gedämpften Ferienmodus. Abseits von Afghanistan und der neu aufflammenden Debatte um das Asylwesen gibt es noch keine Aufreger.
Oder doch? Ein paar Studien hätten Potenzial gehabt, es blieb zunächst aber alles auf kleiner Flamme. Versuch 1: Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Landwirtschaftskammer-Österreich-Präsident Josef Moosbrugger fordern eine Überarbeitung des Green Deals der EU-Kommission. Grund dafür: Eine aktuelle Folgenabschätzung durch den EU-Wissenschaftsdienst habe eine Bedrohung für die europäische Landwirtschaft, insbesondere für österreichische, kleinstrukturierte Familienbetriebe aufgezeigt. Die Erhebung zeige, dass es es zu einem starken Anbauminus in der europäischen Landwirtschaft und einem Preisanstieg der Agrarpreise kommen könnte. In der Simulation wird ein Produktionsrückgang von 15 Prozent bei Getreide und Ölsaaten bzw. Rind- und Schweinefleisch sowie von 10 Prozent bei Milch geschätzt. Die Preise für Getreide könnten um 8 Prozent steigen, für Rindfleisch um plus 24 Prozent, für Schweinefleisch um plus 43 Prozent und für Milch um plus 2 Prozent.
Ein Sturm im Wasserglas, meinen die Grünen. Sie sehen keinen Änderungsbedarf. Die zitierte Studie sei eine Modellierung, bei der nicht alle geplanten Maßnahmen enthalten seien, so die Grüne-Landwirtschaftssprecherin Olga Voglauer. Es handle sich nicht um eine Folgenabschätzung.
Versuch 2: Schon im Juli hatte es gedämpfte Aufregung um eine von der Kommission in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie zur Registrierung von Vermögenswerten gegeben, nun sprang der österreichische Europaabgeordnete Harald Vilimsky (FPÖ) auf das Thema auf und forderte die EU-Kommission auf, die Ausschreibung wieder zurückzuziehen. Kritik übte auch der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber: "Die Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung ist zwar eine wichtige politische Priorität, aber dafür den gläsernen Bürger zu schaffen, geht viel zu weit."
Konkret soll die Machbarkeitsstudie untersuchen, welche Register über Vermögen von privaten Personen und Unternehmen es auf nationaler Ebene bereits gibt und wo relevante Informationen fehlen. Dann soll erforscht werden, wie man die verfügbaren Informationen zum Beispiel in Datenbanken zusammenführen könnte und wie diese aussehen könnten. Laut der Ausschreibung könnten etwa Grundbucheintragungen, Handelsregister oder Informationen über Stiftungen gebündelt werden. Zudem soll untersucht werden, ob auch vorhandene Daten über Vermögen wie Kunstwerke, Kryptowährungen, Gold oder Immobilien einbezogen werden könnten. Das Ergebnis könne "in eine künftige politische Initiative einfließen".
Ein Vermögensregister könnte laut EU-Kommission bei Ermittlungen gegen Korruption, Steuerhinterziehung, Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung sehr nützlich sein. Ein Sprecher der Kommission betonte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur allerdings, dass es noch keine konkrete Planung für ein Register gebe. Es würden nur Möglichkeiten ausgelotet.
25. Mai, 20.30 Uhr - Gipfel
Die Pause hier war jetzt lang, die EU hat inzwischen nicht pausiert. Ganz im Gegenteil, Gipfel gibt es, kommt einem vor, fast schon im Wochentakt. Heute ging wieder einer zu Ende, im Juni um diese Zeit ist schon der nächste. Diesmal ging es eher ruhig und nicht so streiterisch zu wie sonst manchmal, auch der Sozialgipfel in Porto vor zwei Wochen war schon eher ruhig (wenn man davon absieht, dass Ungarn und Polen in letzter Sekunde beinahe die Schlusserklärung verhindert hätten, weil sie darauf bestanden, das Wort "Geschlechtergleichheit" herauszureklamieren.
Heute ging es also unter anderem ums Klima. In der Gipfelerklärung heißt es schwammig, es solle weiter nationale Ziele geben, auch wenn "EU-weite sektorale Maßnahmen" eingezogen werden. Damit lässt man sich eine Tür offen, denn die Ausgangslage ist in den EU-Ländern völlig unterschiedlich. Vor allem die reicheren Länder sind in ihren Bemühungen schon recht weit und fühlen sich ungerecht behandelt, weil eine weitere massive Reduktion der Treibhausgasemissionen ungleich schwieriger (und somit auch teurer) ist als für jene (ärmeren) Länder, die noch weit im Rückstand sind. Die aber führen genau das ins Treffen: dass nämlich das Ziel von minus 55 Prozent für sie einfach nicht zu schaffen sei.
24. März, 19.45 Uhr - Tätowiert
Das Schöne im EU-Betrieb ist unter anderem die Vielzahl der Themen, die einem in Brüssel begegnet. Einmal geht es um Millionen und Milliarden, um Steueroasen und neue Eigenmittel, beim nächsten Mal um Almwirtschaft, die Rettung der Bienen oder - Tätowierfarben.
Die EU sorgt sich sehr um die Gesundheit der Bevölkerung, das zeigt sich in großen, langjährigen Projekten wie dem Aktionsplan gegen Krebs, in einzelnen Vorschriften wie Sicherheitsverpflichtungen für Fahrzeughersteller, manchmal greift die gut gemeinte Hilfestellung aber auch in den Alltag der Menschen ein, und die reagieren manchmal gar nicht erfreut.
So sind in der EU seit Jahresbeginn rund 4000 bedenkliche Substanzen bei Tattoo-Farben und permanentem Make-up beschränkt, weil sie gesundheitlich bedenkliche Folgen haben können. Darunter befinden sich allerdings auch die Farbpigmente Blau 15 und Grün 7 - und die sind in zwei Drittel aller Tätowierfarben enthalten.
Nun wurde im dafür vorgesehenen Parlaments-Ausschuss eine österreichische Petition gegen dieses Verbot der bei den Tätowierungen derart beliebten Farbpigmenten vorgelegt. Sie hat mit mehr als 50.000 Unterschriften die meisten Unterstützer, die je eine Petition im EU-Parlament hatte. Alle Fraktionen hätten das unterstützt, berichtet der ÖVP-EU-Abgeordnete Alexander Bernhuber. "Gesundheit muss immer an oberster Stelle stehen, aber Verbote müssen verhältnismäßig sein und dürfen nicht eine Branche alternativlos zu Fall bringen", sagt Bernhuber.
Zwei Jahre Übergangsfrist hat die Tätowiererzunft jetzt, die derart erfolgreiche Petition muss von der Kommission noch einmal behandelt werden und auch das EU-Parlament beschäftigt sich weiter mit der Sache. Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren; oder es findet sich ein würdiger, genehmigungsfähiger Ersatz für die Farben.
8. März, 19.00 Uhr - Abgeriegelt
In Belgien ist es nicht besonders gut gelaufen; die Pandemie hatte eine relativ hohe Zahl an Todesopfern zur Folge (aktueller Stand: 22.261 - das Land hat knapp elf Millionen Einwohner. Täglich ist man derzeit bei rund 2300 Neuinfektionen). Restaurants und alle Lokale sind seit Monaten geschlossen, die Friseure haben erst Mitte Februar wieder aufgemacht. Dafür durften die Geschäfte offen halten, das funktioniert im Grunde ganz gut.
Was nun aber dennoch verwunderlich ist: Rund um den seit einiger Zeit diskutierten "Grünen Pass", der im EU-Sprech ein "Zertifikat" ist und von dem sich besonders die Tourismusländer viel erhoffen, war es vor allem Belgien (in Person der früheren Premierministerin Sophie Wilmes), das auf Gegenkurs ging. "Für Belgien kommt es nicht infrage, die Impfung mit der Freizügigkeit in Europa zu verknüpfen. Die Achtung des Prinzips der Nichtdiskriminierung ist grundlegender denn je, da die Impfung nicht
obligatorisch ist und der Zugang zum Impfstoff noch nicht allgemein
ist", so Wilmes. Dabei legen EU-Kommission und viele Regierungschefs wie auch Sebastian Kurz Wert auf die Feststellung, dass der Pass/das Zertifikat lediglich Daten gespeichert hat, wonach Inhaber eine Impfung hat (und welche), oder er bereits eine Corona-Erkrankung hinter sich hat oder aber auch das Ergebnis und den Zeitpunkt des jüngsten Tests. Das Dokument soll einen organisatorischen Vorteil bringen, aber nicht jemanden ausschließen, der es nicht hat - für diesen ist es halt bloß etwas aufwendiger, die gewünschten Informationen glaubhaft zu liefern.
Warum nun aber die belgische Haltung fast schon kurios ist: Belgien hat als einziges EU-Land eine extrem strenge Ausreiseregelung: Außerhalb "essenzieller" Gründe darf man das Land nicht verlassen - nicht einmal, um als Ausländer zum Beispiel in sein Heimatland zurückzukehren. Das betrifft Tausende Menschen, die im EU-Betrieb arbeiten, ganz speziell aber zahlreiche Franzosen, die zwischen den Ländern pendeln.
Ein Land als gigantisches Gefängnis - das ist rechtlich nicht darstellbar. Einreise (mit Quarantänebestimmungen) ist eine Sache, Ausreise eine ganz andere. Deshalb hat die EU-Kommission auch ein entsprechendes Schreiben an die belgische Regierung geschickt (an einige andere Länder auch, dort sind die Maßnahmen aber nicht gar so dramatisch). Im Raum stehen rechtliche Konsequenzen - die Antwort der Belgier war eindeutig: Zwar schrieben sie einen Brief zurück, so wie Deutschland und Finnland, letzten Freitag aber verlängerten sie die umstrittene Maßnahme bis 18. April. In der Kommission reagiert man sauer: die Maßnahmen der Länder müssten eine gewisse Verhältnismäßigkeit aufweisen, das sei hier nicht zu sehen. Fortsetzung folgt.
1. März, 13.30 Uhr - Goodbye
Heute ist der erste Tag vom Rest seines Lebens: Der Franzose Michel Barnier hat sich nach mehr als vier Jahren heute vom Team der Brexit-Unterhändler der Europäischen Union verabschiedet. "Mission accomplished", schrieb der 70-Jährige auf Twitter und dankte seinen Mitarbeitern. "Heute ist der erste Tag des Rests unseres Lebens. Viele Herausforderungen warten."
Barnier war nach dem Votum der Briten für den EU-Austritt 2016 zum Chefunterhändler für die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich berufen worden. In schier unendlichen Runden mit den britischen Unterhändlern hatte er zunächst den EU-Austrittsvertrag vereinbart, der 2019 in Kraft trat. Zu Weihnachten 2020 folgte der Handelspakt mit Großbritannien, der seit 1. Jänner vorläufig gilt.
Bereits im Jänner war Barnier zum "Sonderberater" von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen berufen worden. Hintergrund ist auch das Erreichen der offiziellen Altersgrenze zur Beschäftigung in der EU-Kommission mit seinem 70. Geburtstag am 9. Jänner. Für die Umsetzung der Brexit-Verträge ist nun Kommissionsvize Maros Sefcovic zuständig.
Barnier hingegen zieht es zurück in die französische Politik, wie er zu Jahreswechsel offiziell ankündigte - auch in einem Interview mit der Kleinen Zeitung. Der konservative Politiker prüft eine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl in Frankreich 2022 für die Mitte-Rechts-Partei Les Republicains. Barnier war vor seiner Karriere in Brüssel unter anderem französischer Außenminister.
1. März, 12.45 Uhr - Die Impfstoffhersteller
Kurzer Blick zurück, weils fast untergegangen ist. Zur selben Zeit, als letzte Woche gerade der EU-Sondergipfel zum allgemeinen Corona-Gwirks lief, gab es im EU-Parlament einen mehrstündigen und aufschlussreichen Termin mit den Bossen der großen Impfmittelhersteller.
Den mitunter recht harschen Fragen der Abgeordneten stellten sich Pascal Soriot (AstraZeneca), Stephane Bancel (Moderna), Franz-Werner Haas und Antony Blanc (beide CureVac) und Stan Erck (Novavax) sowie Paul Stoffels von Johnson & Johnson sowie Angela Hwang von Pfizer. Das Hearing wurde von Parlament organisiert, eingebunden waren aber auch Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides und Taskforce-Chef Industriekommissar Thierry Breton.
Im Mittelpunkt stand vor allem einer: Pascal Soriot. Rund um Astra Zeneca lief es bisher ja alles andere als rund, es gab (und, muss man selbst nach dem Hearing sagen: gibt) eine Reihe aufklärungsbedürftiger Vorgänge. Etwa der Streit zwischen Großbritannien und der EU um die Impfmittel - vor allem, nachdem die Firma die Zusagen für die Briten durchaus eingehalten hat, jene für die EU aber nicht. Inzwischen ist die Marke ja auch mit einem Imageschaden behaftet, in Deutschland etwa wollen sich viele damit nicht impfen lassen und warten lieber auf Nachlieferungen anderer Hersteller.
Jedenfalls ließ das Hearing immer noch Zweifel zurück; interessant war schon vom Start weg der Eindruck, den die Gäste auf die Abgeordneten und die Zuschauer machten. Während sich die CEOs der anderen Marken im Geschäfts-Outfit aus ihren Büros oder Vorstands-Besprechungsräumen meldeten, saß der am häufigsten angesprochene Soriot im Hemd vor einer weißen Wand (und zwischendurch läutete sein Handy). Respektvoll hat das nicht ausgesehen, aber vielleicht sollte man sich auch von solchen Äußerlichkeiten nicht beirren lassen.
Am Ende des drei Stunden dauernden Hearings waren jedenfalls längst nicht alle wichtigen Fragen beantwortet. Der EU-Abgeordnete Pascal Canfin von den Liberalen, der den Termin geleitet hatte, zeigte sich enttäuscht darüber, dass weiterhin über die tatsächlichen Liefermengen von AstraZeneca in den nächsten Quartalen Unsicherheit herrsche; er geht davon aus, dass dieser Streit mit der EU noch nicht beigelegt ist (wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gesagt hatte).
19. Februar, 20.15 Uhr - Zweifel
Wie wasserdicht sind die Verträge, wer muss sich an welche Zusagen halten, wie viel Geld ist im Spiel und welches Mittel hat welche Wirkung? Nach der Freude darüber, dass Forschung und Pharmaindustrie in einer unfassbar kurzen Zeit ein halbes Dutzend Vakzine entwickelt haben, kommen nun fast täglich ernüchternde Details ans Tageslicht. Die Impfstoffhersteller sind als große Helden moderner Forschung gefeiert worden, aber der Ruf ist mittlerweile etwas ramponiert.
So hat AstraZeneca inzwischen mit einem Imageproblem zu kämpfen. Zum einen wegen der als geringer beziehungsweise nur eingeschränkt beschriebenen Wirksamkeit: Der mit Abstand billigste Impfstoff wird in Österreich, Deutschland und anderswo von einem Teil des medizinischen Personals abgelehnt. Ein verheerendes Signal, zumal Wissenschaftler darauf verweisen, dass die Wirkung vielleicht nicht ganz so gut wie bei anderen Vakzinen ist, aber dennoch ausreicht.
Dazu wurde ja auch noch bekannt, dass entgegen früheren Behauptungen das Unternehmen seinen Vertrag mit Großbritannien erst nach dem mit der EU unterschrieben hat, damit erscheinen die Lieferverzögerungen für die EU-Länder endgültig im schiefen Licht (siehe weiter unten). Umso lauter rief der britische Premier Boris Johnson heute beim G7-Gipfel die Staats- und Regierungschefs auf, gemeinsam gegen die Pandemie vorzugehen. Für das weltweite Impfprogramm für ärmere Länder sagten allein die USA vier Milliarden Dollar zu, Deutschland zahlt 1,5 Milliarden Euro, die EU stockte auf eine Milliarde auf.
Doch auch Biontech-Pfizer ist inzwischen in Erklärungsnot. Die „Süddeutsche Zeitung“ deckte auf, dass der Hersteller von der EU ursprünglich 54,08 Euro pro Impfdosis wollte – 20 Mal so viel wie AstraZeneca. Um die Hälfte der EU-Bevölkerung zu impfen, hätte allein dieser Konzern 27 Milliarden Euro kassiert; und das, obwohl die Entwicklung mit Millionen an öffentlichen Geldern gefördert wurde. Das würde erklären, so ein deutscher Ärztevertreter, warum die EU-Länder bei den Verhandlungen so lange gezögert haben - dieser Preis wäre für manche Länder nicht aufzubringen gewesen. Der letzten Endes vereinbarte Preis ist geheim, er soll bei knapp 16 Euro pro Dosis liegen.
Zum Vergleich: der nach der "alten" Vektor-Methode hergestellte Impfstoff von AstraZeneca soll nach jüngsten Meldungen auf 2,90 Euro pro Dosis kommen. Die EU zahlt demnach 870 Millionen an den britisch-schwedischen Hersteller.
18. Februar, 14.30 Uhr - Der Vertrag
Was haben die Briten, kaum draußen aus der EU, besser gemacht bei der Impfstoffbeschaffung? Die Frage ließ sich bisher grundsätzlich beantworten, doch entscheidende Punkte blieben offen. Fest stand bisher: Großbritannien hat auf volles Risiko gesetzt und die Impfungen per Notfallzulassung begonnen, also ohne korrektes Prüfverfahren; es wurden offensichtlich sehr viele Erstimpfungen durchgezogen im Gegensatz zu anderen Ländern, die jeweils die zweite Dosis schon miteinberechneten. Und sie konnten über die Gesundheitsagentur NHS offensichtlich vom ersten Tag an sehr gut durchorganisieren.
Im Streit um AstraZeneca hatte sich der Groll in der Folge auf die EU entladen. Es sei schlecht verhandelt worden, die Briten seien viel früher dran gewesen und hätten deshalb schneller beginnen können. Als AstraZeneca plötzlich nur noch einen Bruchteil der versprochenen Dosen in die EU lieferte, gleichzeitig aber in Großbritannien alle Zusagen einhielt, war in Brüssel (und in den erbosten Mitgliedsländern) Feuer am Dach. Inzwischen hat sich nicht nur herausgestellt, dass ein Gutteil der im Königreich ausgelieferten Dosen aus EU-Fabrikation stammt, während die in UK hergestellten Vakzine umgekehrt nicht in die EU geliefert wurden, sondern dass offensichtlich auch die Erzählung von der zu spät geleisteten Unterschrift nicht stimmig ist.
Ein Bericht von CNN brachte heute Erstaunliches zutage. Demnach wurde der Vertrag mit Großbritannien am 28. August 2020 unterschrieben - ein Tag nach dem Vertragsabschluss mit der EU! Der Vertrag selbst, der von den Briten (im Gegensatz zur EU) offiziell nicht veröffentlicht wurde, war angeblich nun doch schon seit Monaten auf einer Website abrufbar; bloß wusste das niemand. Auch diese Version ist, so wie die EU-Verträge, zum Teil geschwärzt. Wer ihn sich genauer ansehen will:
Der Vertrag zwischen GB und AstraZeneca
Nicht nur diese Umstände sind mehr als erstaunlich, auch die Details des Vertrages. Die Kollegen von CNN baten einen Rechtsexperten, David Greene, um einen Vergleich. Er kam zum Schluss, dass beide Verträge sehr ähnlich formuliert sind. Und auch für die Briten gibt es die "best effort"-Klausel, für die die Brüsseler Verhandler so geprügelt wurden. Gerade darauf hatte sich der Hersteller in der EU berufen - er habe eh sein Bestes getan, mehr sei nicht möglich gewesen. Für Großbritannien offensichtlich schon...
Die EU hat ja rechtliche Konsequenzen nicht ausgeschlossen, man fühlt sich übervorteilt; doch in der Kommission weiß man genau, dass so ein Verfahren Jahre dauert und im Augenblick die wirklich wichtige Frage ist, wie man möglichst schnell zu noch mehr Impfdosen kommt. Wenn nun die Verträge vergleichbar sind und die Briten demnach erst nach der EU unterschrieben haben - warum haben sie dann tatsächlich so viele Lieferungen bekommen und die EU viel zu wenige? Eine Frage, die man dem britisch-schwedischen Hersteller stellen muss: AstraZeneca.
10. Februar, 18.00 Uhr - Volles Programm
Gestern waren einige Schulen geschlossen, also auch für die, die gerade nicht im Homeschooling sind. Es ist kalt und es hat ein wenig geschneit, das reicht aus. Das Tief, das gerade den Norden Deutschlands halb ins Unglück stürzt, hat auch Südengland und Belgien gestreift. Zwei bis drei Zentimeter Schnee werden es schon sein, dafür minus neun in der Nacht - tiefwinterlich hier.
Das alles hält natürlich das Parlament nicht auf, die aktuelle Plenarsitzung abzuhalten, immer noch in Brüssel statt in Straßburg. Diesmal gibt es wieder ein besonders umfangreiches Programm. Gestern musste Außenbeauftragter Josep Borrell über seinen völlig missglückten Besuch in Moskau Auskunft geben. Er stand schwer unter Kritik, blieb aber dabei, nichts falsch gemacht zu haben. Man müsse doch den Dialog aufrecht erhalten, auch wenn Putin als kleine Aufmerksamkeit gleich einmal drei EU-Diplomaten ausweisen ließ. Mehr als 70 Abgeordnete fordern inzwischen schriftlich den Rücktritt Borrells, aber das lässt er abperlen.
Dass jetzt auf einmal Borrell so unter Beschuss ist, gibt Chefin Ursula von der Leyen eine Verschnaufpause. Sie war heute im Parlament, zusammen mit Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides, und hörte sich vier Stunden lang von mehr als 80 Abgeordneten an, was rund um die Pandemie und die Impfstoffbeschaffung alles schief gelaufen ist. Im Plenum gab sich von der Leyen zerknirscht. Neuerlich bedauerte sie die Gedankenspiele um Impfstoff-Exportkontrollen in Irland und sagte: "Unterm Strich wurden Fehler im Verfahren vor der Entscheidung gemacht. Das bedaure ich tief. Aber am Ende haben wir es richtig gemacht."
Die Kommission versuche, aus den Fehlern zu lernen: so soll die Zulassung von Impfstoffen beschleunigt werden, indem die Arzneimittelagentur EMA schneller die Daten klinischer Tests bekommt. Dazu soll eine neue Koordinierungsstelle gegründet und der Rechtsrahmen optimiert werden. Kommende Woche will man einen Plan zum Umgang mit den neuen Mutationen vorlegen: angepasste Vorschriften, mehr gezielte Tests mit Genom-Sequenzierung und eine Kontaktgruppe zum Informationsaustausch mit dem Parlament sowie mehr Transparenz bei den Verträgen sollen allen das Leben leichter machen.
Die größte Fraktion, die EVP, hat inzwischen vorgeschlagen, zur Förderung der Impfstoffherstellung und -verteilung einen Investitionsplan zu erstellen und zehn Milliarden Euro dafür zu reservieren. Woher das Geld kommen soll, ist noch unklar - am Rande einer Videokonferenz dazu hieß es, es könnten nun die Länder, die sich über die "knausrige" EU bei den bisherigen Verträgen beschwert haben, gerne in so einen Topf einzahlen.
Was sonst noch geschah: Das EU-Parlament sprach sich für eine weitere Verlängerung der "vorläufigen Anwendung" des Brexitvertrages um zwei Monate aus; mit 1. März sollten ja endgültig alle neuen Regeln wirksam sein, auf EU-Seite arbeitet man aber immer noch an der juristisch abgesicherten Übersetzung des 1246-Seiten-Werkes in 24 Amtssprachen und die Abgeordneten wollen sich auch noch mit einigen Details näher beschäftigen, bevor der Vertrag ratifiziert wird.
Zugestimmt wurde dem Aktionsplan der Kommission zur Kreislaufwirtschaft (Abfallvermeidung), dabei sollen unter anderem Abfälle auf ein Minimum reduziert werden, der Zugang zu Ersatzteilen bei Reparaturen erleichtert und Designprozesse gesteuert werden, damit Produkte nicht zu Wegwerfobjekten werden (Stichwort: nicht austauschbare Handy-Akkus).
Die ÖVP-Europaabgeordneten haben sich bis auf Othmar Karas der Stimme enthalten. "Ja zum Klimaschutz und ja zur Abfallvermeidung", teilten Delegationsleiterin Angelika Winzig und Barbara Thaler, Binnenmarktsprecherin im Europaparlament, mit. Doch dürfe gerade in der Krise kein neues Belastungspaket für Unternehmen geschnürt werden: Es brauche "Umsetzbarkeit, Eigenverantwortung" und eine "praxistaugliche Übergangsphase". Das sei in dem Parlamentsbericht "nicht ausreichend berücksichtigt", kritisierten die Abgeordneten. Für den SPÖ-Europaabgeordneten Günther Sidl ist der Aktionsplan ein "zentrales Herzstück des Europäischen Green Deals", die Grünen fordern das "Recht auf Reparatur" und auch Neos-Abgeordnete Claudia Gamon begrüßte den Bericht.
Das Europaparlament hat ein entschiedeneres Vorgehen der Staatengemeinschaft für junge Menschen und den Sportbereich in der Coronakrise gefordert. Jugendarbeit und der Sport seien in der Krise in all ihrer Vielfalt europaweit besonders gefährdet, hieß es in einer Entschließung. Ebenfalls auf der Agenda: die EU soll in Zukunft stärker gegen prekäre Arbeitsverhältnisse vorgehen, also etwa Null-Stunden-Verträge, Beschäftigung nur immer in zeitlicher Befristung oder unfreiwillige Teilzeitarbeit.
Im Kampf gegen den Menschenhandel will das Europaparlament verstärkt gegen Menschen vorgehen, die Dienste von Opfern wissentlich nutzen. Dabei geht es um Dienste, die mit Ausbeutung einhergehen, gemeint ist insbesondere der Bereich der Prostitution. Die Abgeordneten forderten von den Mitgliedstaaten, eine wissentliche Inanspruchnahme ausdrücklich unter Strafe zu stellen.
Quasi "nebenbei" segneten die Abgeordneten auch noch den Corona-Aufbaufonds in Höhe von 672,5 Milliarden Euro ab. Jetzt müssen noch die Mitgliedsstaaten zustimmen, das könnte noch diese Woche erfolgen. Die Aufbau- und Resilienzfazilität ist das Herzstück des Wiederaufbauplans der EU. Mindestens 37 Prozent der Ausgaben je Land sollen dabei in den Klimaschutz gehen, ein Fünftel in die Digitalisierung.
4. Februar, 14.00 Uhr - Verlängerung
Corona dominiert immer noch alles, für Ende Februar hat Ratspräsident Charles Michel einen weiteren Sondergipfel angesetzt - da übersieht man beinahe, dass alles andere ja auch weitergeht. Im Fall Brexit schier endlos. Wir haben ja darüber berichtet, dass am vergangenen Freitag plötzlich eine Lunte am Pulverfass gebrannt hat: im Überschwang der Einführung neuer Exportkontrollen, um das Verschachern von EU-Impfstoff unter Kontrolle zu bringen, wollte die Kommission gar auf Artikel 16 des Irland-Protokolls im Brexit-Vertrag zurückkommen - das ist eine extrem heikle Notfallklausel, die Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland ausgelöst hätte (Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat inzwischen die Verantwortung für diesen Fehler übernommen, der Plan war nach einigen hektischen Stunden in der selben Nacht noch zurückgezogen worden).
In London witterte man aber sofort die Gunst der Stunde und verlangte Verstörendes: die derzeit noch bis Ende Februar laufende Übergangszeit, die den Umstieg auf die neuen Zollformalitäten erleichtern soll, möge doch bitte verlängert werden - nicht um ein paar Wochen, sondern gleich bis 2023!
Das war doch etwas hoch gegriffen. Gestern Abend trafen sich EU-Kommissar Maros Sefcovic und der britische Minister Michael Gove an den Videogeräten und sprachen ernste Worte miteinander. Die EU blieb wieder hart: UK habe genug Zeit gehabt, sich entsprechend den lange ausgehandelten Verträgen auf die neuen Verfahren vorzubereiten, hieß es. Immerhin wollen die beiden Parteien emsig weiter daran arbeiten, die vor allem auf der irischen Insel auftretenden Probleme wie Lieferprobleme bei Nahrungsmitteln so gut wie möglich gemeinsam zu lösen.
Am Ende des Gesprächs gab es nicht eine gemeinsame Presseerklärung, stattdessen veröffentlichte jede der beiden Seiten ihr eigenes Communique - meist ein Zeichen dafür, dass es noch Raum für Interpretationen gibt. Für Feinspitze: Hier ist die EU-Erklärung, hier jene der Briten.
12. Jänner, 16.00 Uhr - Impfstoffverträge
So, langsam geht es wieder los in Brüssel. Heute Vormittag stand die EU-Verhandlungsführerin für die Impfstoffbeschaffung, Sandra Gallina von der EU-Kommission, im EU-Parlament Rede und Antwort. "Wir haben alles gekauft, was man kaufen konnte", wies sie Vorwürfe zurück, wonach die EU zu wenig Impfstoffe vorbestellt habe. Vielmehr hätte man Glück gehabt, weil mittlerweile schon zwei der Firmen, auf die man gesetzt hat, lieferfähig seien.
Zur aktuellen Geschichte um Deutschland, das angeblich Millionen Impfdosen "extra" bestellt hat, sagte Gallina, dass das auf die Beschaffung auf EU-Ebene keine Auswirkungen habe: Zum einen seien Parallelbestellungen aus vertraglichen Gründen nicht möglich, zum anderen haben die EU-Bestellungen immer Vorrang - derzeit sind bereits 760 Millionen Dosen derart abgesichert. Insgesamt belaufen sich die Lieferverträge der EU auf gut 1,3 Milliarden Dosen. Zudem wurden Optionen für 660 Millionen weitere Dosen vereinbart. Deutschland kann aber für die Zeit danach bestellen.
Ärger gibt es vor allem darum, dass die Verträge, die die Kommission mit den Lieferfirmen abgeschlossen hat, einer Geheimhaltung unterliegen. Das sei im Geschäftsleben so üblich, argumentiert die Kommission, hier gehe es um sensible Preisvereinbarungen, die man nicht einfach so veröffentlichen könne. Ein belgisches Regierungsmitglied hatte vor einigen Tagen eine Liste mit Preisvergleichen veröffentlicht, das Papier aber wenig später wieder vom Netz genommen. Demnach ist das Mittel des US-Unternehmens Moderna am teuersten: Es würde 18 Dollar pro Dosis kosten. Der US-Konzern Johnson & Johnson würde 8,50 Dollar verlangen. Die Preise der anderen Anbieter waren in Euro angegeben: Der Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech und seinem US-Partner Pfizer liegt demnach bei zwölf Euro pro Dosis, die Tübinger Firma Curevac verlangt zehn Euro, die Franzosen von Sanofi 7,56 Euro. Mit Abstand am günstigsten wäre das Mittel von Astrazeneca mit nur 1,78 Euro pro Dosis.
Nun bekommen Parlamentarier doch Einsicht in die Unterlagen, sie müssen aber dafür im Parlament anwesend sein (die meisten sind wegen Corona nicht in Brüssel), haben nur ein knappes Zeitfenster und müssen auch das, was sie da sehen, weiterhin geheim halten.
26. Dezember, 18.30 Uhr - Bilanz
Das verrückte Corona-Jahr hat auch in Brüssel alle bis zuletzt in Atem gehalten - schön zu sehen auch an diesem Blog, der schon aktivere Zeiten erlebt hat. Irgendwie haben die Ereignisse begonnen, sich zu überstürzen; und dann hat niemand mehr gewusst, wo die Pausentaste ist.
Im Grunde sind nun aber trotz der Corona-Einschränkungen (alle Lockdowns, die Reisebeschränkungen, die vielen Videokonferenzen) die Hauptthemen des Jahres erledigt. Das langjährige Budget ist abgesegnet, das Wiederaufbauprogramm kann starten, die Rechtsstaatlichkeit ist zumindest einmal als Faktor drinnen und jetzt haben wir einen Brexit-Vertrag auch noch - noch dazu einen, bei dem die EU halbwegs okay aussteigt und die Briten die Hauptlast ihrer eigenen Entscheidung zu tragen haben. Das ist doch allerhand.
Chefverhandler Michel Barnier hatte trotz der extrem anstrengenden Verhandlungen und des enormen Drucks mitunter auch Zeit für ein Scherzchen - etwa hier, als es noch mehr um fairen Wettbewerb (level playing field) als wie zuletzt um die Fische ging:
Wirklich historisch ist dabei einiges. Das Wiederaufbauprogramm ermöglicht nicht nur die wirtschaftliche Genesung Europas, das erstmals eingeführte Konzept einer gemeinsamen Verschuldung (neue, nicht alte Schulden) eröffnet auch für die Zukunft so etwas wie ein neues Universum. So wie diese Woche die Kollegen von der "Zeit", finden auch wir: die Verknüpfung mit der Rechtsstaatlichkeit bietet nicht die simple Variante, mit Strafen zu drohen, vielmehr kann es in Zukunft starke finanzielle Anreize für "schwarze Schafe" geben, doch nicht vom rechten Weg abzukommen.
All das ist nun im grünen Bereich. A propos grün: der "Green Deal" kann jetzt auch starten, nichts eignet sich besser für einen Schwenk in der allgemeinen Ausrichtung als ein Wiederaufbauprogramm.
Die Impfungen haben soeben begonnen, aus dem Pfizer-Werk in Belgien (in der Gemeinde Puurs, die wir vor ein paar Tage deswegen besucht haben - hier ist die Story) rollen die Transporter mit dem Impfmittel in alle EU-Länder und darüber hinaus.
Das neue Jahr kann nur besser werden, als das alte - auch oder besonders in Brüssel.
27. November, 20 Uhr - Die Bots
Wir sind schon das eine oder andere Mal auf die schwierige Lage der Übersetzer zu sprechen gekommen: das blöde Corona-Jahr bringt mit sich, dass unzählige Veranstaltungen, Konferenzen und Meetings, bei denen normalerweise ein Übersetzungsdienst nötig ist, heuer gar nicht oder nur eingeschränkt stattfinden. Das ist die Lage in so gut wie allen EU-Institutionen und das ist verheerend für die vielen Dolmetscher, besonders für jene, die nur Zeitverträge und somit ihre Aufträge verloren haben.
Ungeachtet dessen versuchen manche EU-Einrichtungen, auf diese an sich sehr wichtigen Dienstleistungen ganz zu verzichten. Genauer gesagt: das Dolmetschen von Computerprogrammen erledigen zu lassen. Wer schon mal mit Google translate gearbeitet hat, weiß: das geht eh ganz gut, hat aber im Detail noch ganz schön viele Tücken. Wie das dann in der Praxis ausschaut, konnte man neulich im EU-Parlament erleben, als Präsident David Sassoli über den EU-Gipfel berichtet und das Programm aus Angela Merkel einen "president Mark Hall" macht; Macron wird zu "Danta" und das nächste Mal zu "McOwen" und der portugiesische Ministerpräsident Costa wird zu "EcoStar". Ein Blick in die Zukunft, auf den wir lieber verzichten würden.
Darüber hinaus gibt es rund um die Pandemie auch keine guten Nachrichten aus Belgien. Heute Nachmittag hat die Corona-Kommission zwar eine Erleichterung des Lockdown beschlossen - ab 1. Dezember dürfen Geschäfte wieder aufmachen -, aber gleichzeitig wurde bekannt, dass die an sich rigorosen Maßnahmen grundsätzlich bis Mitte Jänner verlängert werden. So lange werden also Bars, Restaurants, Friseure und vieles andere geschlossen bleiben müssen und die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen bleiben aufrecht.
Belgien will nun auch an den Grenzen noch viel genauer kontrollieren, ob sich Reisende an die Bestimmungen halten. Auf jeden Fall muss ein Onlineformular ausgefüllt werden. Kommt man aus einer roten Zone, muss man in die Quarantäne. Ausdrücklich weisen die Belgier darauf hin, dass das auch und ganz besonders für Schigebiete gilt.
20. November, 18.30 Uhr - Ein Gipfel
Oben am Gipfel ist die Luft dünn. Nur wenige Mächtige sind es, die auf der Welt die großen Weichen stellen können, viele von ihnen treffen sich an diesem Wochenende beim G20-Gipfel.
Wobei, Treffen ist in Zeiten von Corona relativ. Gastgeber ist Saudi Arabien, aber statt in der Wüste unter Palmen sitzen die politisch mächtigsten Menschen der Welt da, wo sie immer sitzen - an ihren Schreibtischen. Es ist ein Videogipfel, das außergewöhnliche Format bringt schon mit sich, dass keine dramatischen Entscheidungen getroffen werden. Hauptthema ist der weltweite Kampf mit Covid und den Folgen der Pandemie, die Reichen werden ihre Strategien austauschen und versuchen, sich besser zu koordinieren. Das ist auf EU-Ebene schon schwierig und wird rund um den ganzen Erdball nicht leichter. Aber man wird sich auch über Entwicklung und Verteilung von Impfstoff austauschen und auch darüber, wie die Weltgemeinschaft den armen Ländern in der Krise helfen kann. Das ist ein Anstoß, der übrigens besonders stark von der EU kommt und damit gewinnt die Union gleich wieder ein paar Pluspunkte, nur so am Rande.
Nach der Geberkonferenz im Mai stehen weltweit mittlerweile 16 Milliarden Euro für die Unterstützung der Impfstoffforschung bereit, eine Art Crowdfunding - 4,6 Milliarden fehlen noch zum Ziel, ein paar Staats- und Regierungschefs werden dieses Wochenende wohl zur titanernen Kreditkarte greifen.
Großes Thema in Brüssel und auch sonst wo ist die Frage, ob Donald Trump am Gipfel teilnimmt. Und so weit es uns hochrangige Diplomaten berichten, lautet die Antwort letzten Endes: Ja. Für Trump wird es der letzte derartige Gipfel sein, was nicht ohne Brisanz ist, denn es geht auch um Klimathemen und um die Reform der Weltgesundheitsorganisation WHO und da ist der abtretende US-Präsident bisher nicht besonders angenehm aufgefallen. Ursula von der Leyen ortet bereits positive Schwingungen aus Washington, die USA sei im Gegensatz zum letzten G20-Treffen bei den Schlussfolgerungen fürs Klima wieder mit an Bord.
Wir unterstellen das jetzt einmal, aber viele warten wohl schon inbrünstig darauf, dass der Vertreter Amerikas nicht mehr Donald, sondern Joe heißt. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass dieses Wochenende eher keine großen Entscheidungen zu erwarten sind. Dafür spricht von der Leyen jetzt schon vom Weltgesundheitsgipfel in Italien im kommenden Frühjahr; allgemein erhofft man sich, dass sich in diesem Kreis auch die Beziehungen zu China wieder etwas unaufgeregter gestalten.
11. November, 14.00 Uhr - Geschützt
Endlich wieder einmal eine positive Nachricht in diesem an Katastrophen nicht gerade armen Jahr: soeben war das steirische Kürbiskernöl Thema im EU-Parlament. Die Abgeordneten stellten die Weichen für das neue EU-China-Abkommen und dabei ging es auch um den gegenseitigen Schutz qualitativ hochwertiger Erzeugnisse aus der Landwirtschaft. Die ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig berichtet nun, dass unter den 100 Produkten, die wechselweise geschützt sind, nur ein einziges aus Österreich ist: das steirische Kürbiskernöl. Wird es in China angeboten, darf es unter dieser Bezeichnung also tatsächlich nur aus der Steiermark kommen.
Nicht dabei in dieser ersten Tranche, die in den kommenden Jahren allerdings noch aktualisiert werden soll, ist somit auch der Tiroler Speck, der bisher meistens das Synonym für schützenswerte Produktbezeichnungen war.
„Steirisches Kürbiskernöl ist ein Teil unserer Tradition und Kultur. Ich begrüße nicht nur, dass es sich auch in China zunehmender Beliebtheit erfreut, sondern vor allem auch, dass sich die Chinesinnen und Chinesen künftig darauf verlassen können, auch in ihrem Heimatland stets das Original erwerben zu können“, freut sich die steirische EU-Abgeordnete Simone Schmiedtbauer.
5. November, 15.00 Uhr - Durchbruch
US-Wahlen, Terror, Covid - diese Woche gibt es so viele Mega-Themen, dass kaum noch jemand nach Brüssel schaut. An sich in Ordnung, es sind Schulferien in Belgien (die wegen Corona gleich einmal um eine Woche verlängert sind) und eine sogenannte "grüne Woche", in der kaum EU-Aktivitäten eingeplant sind.
Es ist eine Woche, in der hinter trotzdem ein Durchbruch gelungen ist.
Heute haben sich die Verhandler von Parlament und Rat auf einen wichtigen Kompromiss für das kommende EU-Budget (und somit auch auf grünes Licht für das 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbauprogramm) geeinigt, und das ist angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit schon sowas wie eine Sensation. Kernsatz: Bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundwerte sollen EU-Gelder gestrichen werden. Die Europaabgeordneten haben erreicht, dass das neue Gesetz nicht nur dann angewendet wird, wenn EU-Gelder direkt missbraucht werden, wie zum Beispiel in Fällen von Korruption oder Betrug. Es soll auch bei systemischen Verstößen gegen die für alle Mitgliedstaaten geltenden EU-Grundwerte angewandt werden. Zu diesen Grundwerten zählen Freiheit, Demokratie, Gleichheit und die Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Minderheiten.
Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sollen ebenfalls als mögliche Verstöße betrachtet werden, indem sowohl Einzelfälle als auch weit verbreitete und wiederkehrende Probleme einbezogen werden können. Ein spezieller Artikel soll garantieren, dass der mögliche Umfang der Verstöße durch die Auflistung von Fallbeispielen verdeutlicht wird, wie die Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz, die ausbleibende Korrektur willkürlicher oder unrechtmäßiger Entscheidungen und die Einschränkung von Rechtsmitteln.
Ein großes Problem hat man zumindest auf dem Papier auch gelöst: Wird ein EU-Land wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit mit dem Entzug von Mitteln "bestraft", würden ja eigentlich jene draufzahlen, für die das Geld gedacht war (die aber nichts dafür können, wenn ihre eigene Regierung ein falsches Spiel spielt). Endbegünstigte können über eine Web-Plattform Beschwerden bei der Europäischen Kommission einreichen, um die ihnen zustehenden Beträge zu erhalten. Die Kommission wird zudem die Möglichkeit haben, EU-Gelder für in Frage kommende Länder zu kürzen.
Und so soll das alles funktionieren: Statt wie ursprünglich innerhalb von 12-13 Monaten, wie vom Rat gefordert, werden nun innerhalb von 7 bis 9 Monaten Sanktionen verhängt. Stellt die Kommission einen Verstoß fest, wird sie vorschlagen, den Konditionalitätsmechanismus gegen eine EU-Regierung anzuwenden. Der Rat muss die vorgeschlagenen Maßnahmen innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit verabschieden, in Ausnahmefällen auch innerhalb von drei Monaten. Um die Frist zu wahren, kann die Europäische Kommission dafür eine Sitzung des Rates einberufen.
Die Praxistauglichkeit muss man sich jetzt noch einmal anschauen, ebenso wie einzelne Punkte; etwa den präventiven Ansatz, wonach der neue Mechanismus auch dann ausgelöst werden kann, wenn ein "ernsthaftes Risiko" besteht, dass sich negative Auswirkungen auf den EU-Haushalt ergeben könnten. Die Frage wird zu klären sein, ob all das ein zahnloses Instrument ist oder doch ein akzeptabler Fortschritt.
„Mit der heutigen Einigung ist es uns gelungen, einen wichtigen Pfeiler der gesamten Konstruktion des mehrjährigen Finanzrahmens der EU zu etablieren“, erklärte Haushaltskommissar Johannes Hahn auf Twitter. Die EU werde über einen wirksamen Mechanismus verfügen, um das Geld der Steuerzahler zu schützen, falls es die rechtsstaatliche Situation in einem Land nicht mehr erlaubt, EU-Gelder nachzuverfolgen.
Die Einigung muss nun formal noch vom Parlament und vom Rat angenommen werden, am Montag wird der Sack zugemacht.
Einen Indikator dafür, dass das Paket durchaus Potenzial hat, ist die Reaktion Ungarns: Die ungarische Regierung hat die Einigung in der EU auf finanzielle Sanktionen gegen Rechtsstaats-Sünder als "inakzeptable Erpressung" zurückgewiesen. Der polnische stellvertretende Minister für Staatsvermögen, Janusz Kowalski, kritisierte den Kompromiss auf Twitter ebenfalls. "Veto oder Tod", schrieb er mit Verweis auf die polnische Souveränität und sprach von "undemokratischen und ideologischen Ambitionen der Eurokraten".
29. Oktober, 13.30 Uhr - Streik
Nicht viele sind derzeit im weitläufigen Gebäude des EU-Parlaments unterwegs. Wer aber eine der zentralen Stellen, die Passerelle zwischen den Haupttrakten, passiert, stößt auf einen Mann: Pierre Larrouturou. Der französische Abgeordnete, der für die kleine linke Partei Nouvelle Donne ins Parlament kam und sich dort der sozialdemokratischen Fraktion S&D angeschlossen hat, ist in den Hungerstreik getreten - um so für die Finanztransaktionssteuer zu kämpfen.
Auf Twitter schrieb er, es sei "obszön zu hören, dass es kein Geld für die Gesundheit, das Klima, die Beschäftigung gibt, während es den Finanzmärkten noch nie so gut ging". Larrouturou ist unter anderem im Haushaltsausschuss, der in diesen Tagen in den letzten, intensiven Verhandlungsrunden mit der Kommission und dem Rat steht, die extrem kräfteraubend sind und sich oft bis tief in die Nacht ziehen. Gestritten wird unter anderem um die Rechtsstaatlichkeit, einen Augenblick lang sah es so aus, als würde sich heute oder morgen eine Einigung ausgehen, dann gab es aber wieder neue Debatten. Es geht dabei um das Gesamtpaket über mehr als 1800 Milliarden Euro.
Larrouturou findet nun, dass es in Europa nur einmal alle sieben Jahre die Chance gebe, Dinge zu verändern. Die Finanztransaktionssteuer sei jetzt ein Gebot der Stunde: "Es ist Zeit, diejenigen zahlen zu lassen, die noch nie bezahlt haben." In den Mitgliedsländern ist die Meinung darüber geteilt, Österreich hatte sich zunächst für so eine Steuer ausgesprochen, zuletzt hatten sich aber der damalige Finanzminister Hartwig Löger und der jetzige Gernot Blümel (ÖVP) kritisch geäußert.
18. Oktober, 14.00 Uhr - Gipfel-Nachwehen
Auch schon wieder zwei Tage her, dass der Herbstgipfel der EU zu Ende ging. Wie es ausschaut, war es für einige Zeit auch wieder der letzte "physische" Gipfel - das China-Treffen im November (Berlin) ist abgesagt, der Dezember-Gipfel wird aller Voraussicht nach ebenfalls wieder per Videoschaltung abgehalten. Inzwischen ist auch die Plenarsitzung des EU-Parlaments, die morgen (Montag) beginnt, ein weiteres Mal von Straßburg nach Brüssel verlegt worden, mit eingeschränktem Programm. Wie immer in letzter Sekunde - die Hotelbuchungen für Tausende Menschen, die gebuchten Flüge und Sonderzüge, all das muss in letzter Sekunde schon wieder storniert werden. Vielleicht kommt ja jemand auf die Idee und schickt die Rechnung nach Frankreich, das beharrlich auf Straßburg als Tagungsort besteht, da ist Corona auf einmal nicht mehr so wichtig.
Sehr wichtig war das Virus hingegen am Gipfel, wir haben berichtet. Jetzt schauen wir aber noch einmal genauer hin, was dort passiert ist und vor allem wer wen vertreten hat. Kurz nach der Eröffnung begab sich ja Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Quarantäne - sie wurde durch niemanden mehr vertreten. Aus dem einfachen Grund, dass die Präsidentin am Gipfel der Staats- und Regierungschefs (aktiver) Gast ist, bei Entscheidungen aber kein Stimmrecht hat. Das selbe gilt für den Außenbeauftragten Josep Borrell, der gar nicht erst gekommen ist (Quarantäne). Bei den Staats- und Regierungschefs gilt die Regel, dass sie ausschließlich durch einen anderen Regierungschef vertreten werden dürfen, also nicht etwa durch ihren eigenen Vize oder gar "nur" einen Minister. So kam es, dass Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki, der ebenfalls wegen seiner Quarantäne gar nicht erst nach Brüssel kam, durch seinen tschechischen Nachbarn Andrej Babis vertreten wurde.
Am zweiten Tag war es dann die Finnin Sanna Marin, die in die Quarantäne rutschte und schon am Vormittag abreiste. Sie wurde von ihrem schwedischen Amtskollegen Stefan Löfven vertreten. Umgekehrt war das beim Sondergipfel vor zwei Wochen so, damals musste Löfven zum Begräbnis seiner Pflegemutter und Marin sprang für ihn ein. Beim Sondergipfel war es auch, als Emmanuel Macron vorzeitig zurück nach Paris musste, er wurde damals von Angela Merkel vertreten - man versteht sich, die deutsch-französische Achse funktioniert.
Für Beobachter tatsächlich erstaunlich war aber ein weiterer Fall: der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte musste den Gipfel ebenfalls vorzeitig verlassen, auch er sollte an einer Beerdigung teilnehmen. Sein Stimmrecht übertrug auch er - überraschender weise - Angela Merkel. Man kann jetzt einräumen, dass es auf diesem Gipfel keine weitreichenden Beschlüsse zu machen gab; aber dass sich Italien durch Deutschland vertreten lässt, hätte es vor wenigen Wochen noch wohl nicht gespielt.
9. Oktober, 17.30 Uhr - Abgebrochen
"Die Weigerung, sich zu bewegen, ist keine Verhandlungsposition." Mit diesen an Deutlichkeit nichts übrig lassenden Worten haben gestern die Verhandler des EU-Parlaments die siebente Runde im Kampf um die kommenden EU-Budgets abgebrochen. Wer sich in den Augen der Abgeordneten nicht bewegt ist vor allem der Rat, also die Mitgliedsländer. Hauptstreitpunkt ist die Implementierung von 15 Flaggschiff-Programmen (ursprünglich war man von 40 ausgegangen) und natürlich wird auch noch heftig über die Sache mit der Rechtsstaatlichkeit debattiert. Fortschritte habe es bisher immerhin bei den Eigenmitteln gegeben, eine wesentliche Komponente bei der Rückzahlung der Corona-Milliardenschulden in der Zukunft.
Aber nicht nur die stockenden bzw. unterbrochenen Verhandlungen sind derzeit ein großes Problem, sondern die Ausbreitung von Covid-19 in den EU-Institutionen. Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendjemand aus den Mitarbeiterstäben erkrankt bzw. in Kontakt mit Erkrankten gerät und damit die Hauptakteure ebenfalls unter Zugzwang bringt; kaum ist jemand aus der freiwilligen Isolation (diese Woche etwa Ursula von der Leyen; heute wurde bekannt, dass der Bruder von Ratspräsident Charles Michel erkrankt ist, die beiden hatten aber keinen Kontakt in jüngster Zeit) zurück, schon muss sich der/die Nächste ins Homeoffice verabschieden. Verhandlungen, die ohnehin schon schwierig sind, strapazieren durch solche Dinge das Nervenkostüm der Beteiligten noch mehr.
A propos Corona: Kommende Woche am Dienstag verhandeln die Europaminister in Luxemburg unter anderem über eine EU-weite Corona-Ampel, die zumindest einheitliche Datengrundlagen für die Zonen bringen soll. Die ganze Geschichte dazu lesen Sie hier. Ein Wunsch der Mitgliedsländer (die aber natürlich auch weiterhin selbstständig entscheiden können, welche Maßnahmen sie mit den Farbkategorien verknüpfen). Heute wurde das in Vorbereitung des Ratstreffens noch einmal auf Botschafterebene abgeklärt - und Österreich war unter jenen Ländern, die dem neuen System nicht ausdrücklich zustimmten, sondern sich enthielten. Dem Vernehmen nach liegt das daran, dass die Grenzwerte für die Zonen (Grün, Orange, Rot und Grau, falls kein passables Datenmaterial vorliegt) angesichts der derzeit überall steigenden Zahlen als zu niedrig angesehen werden. Es wären also relativ schnell relativ viele Zonen rot, egal, ob dort der Wert geringfügig oder massiv überzogen wird. Roter als rot geht aber dann nicht... Jetzt blicken alle mit Spannung nach Luxemburg, worauf sich die Minister der Mitgliedsländer im Detail einigen werden. Am Dienstag wissen wirs.
28. September, 21.00 Uhr - Abgesagt
Alles durcheinander in der EU und es wird nicht besser. Inzwischen hat sich auch Vizepräsident Frans Timmermans in freiwillige Quarantäne begeben, weil es in seiner näheren Umgebung einen Covid-Fall gegeben hat. Er wird nicht der Letzte sein.
Und so gehen halt Sitzungen und Ratstreffen nach wie vor am ehesten über Videokonferenzen weiter, aber nicht einmal das ist eine sichere Sache. Die für heute, Montag, geplanten Beratungen des deutschen Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) und seinen EU-Kollegen sind wegen technischer Probleme verschoben worden. "Das EU-Ratssekretariat konnte leider die technischen Probleme in Brüssel nicht klären", teilte das Verkehrsministerium mit. Besondere Ironie dabei: Minister Scheuer ist, wie auch manche seiner Amtskollegen in anderen Ländern, auch für "Digitale Infrastruktur" zuständig. Na dann.
24. September, 10.30 Uhr - Quarantäne
So. Der September biegt schon in die Zielkurve, das Durcheinander auf der großen Europabühne wird nicht geringer. Wir haben berichtet: Der für heute und morgen geplante EU-Sondergipfel wurde auf nächste Woche verschoben, weil ein Security-Mann, der engen Kontakt mit Ratspräsident Charles Michel hatte, positiv auf Covid-19 getestet wurde. Seither gibt es dazu natürlich jede Menge Gerüchte: eines sagt etwa, man habe fürs Verschieben eine gute Ausrede gebraucht, weil man außenpolitisch (Türkei, Weißrussland) noch auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen sei. Ein anderes nennt als eigentlichen Grund fürs Verschieben die noch ungeklärte Verknüpfung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips mit den kommenden Budgets, hier macht das Parlament Druck bei den derzeit laufenden Verhandlungen Druck und man muss hier auch aus Zeitgründen dringend auf einen Kompromiss kommen.
Michel ist nicht der einzige, dem deutschen Außenminister Heiko Maas geht es derzeit ähnlich (Quarantäne wegen Securitymann) und seit gestern heißt es, auch Kommissionsvize Valdis Dombrovskis sei in freiwilliger Isolation - wir sind gespannt, heute Mittag soll er eigentlich eine Pressekonferenz zum Thema Kapitalmärkte leiten, die Einladung ging vor einer Stunde aktuell noch einmal raus.
Corona hat also alles noch im Griff, in ganz Europa. Die einen schauen zu den anderen, im Augenblick die Deutschen nach Österreich: die derzeit laufende Regierungs-Pressekonferenz zum Wintertourismus wird live ganz oben, an prominentester Stelle, auf der Website der Bild-Zeitung eingespielt. Der Hinweis "Kanzler Kurz verkündet: Apres-Ski-Verbot in Österreich" ist den deutschen Kollegen auch wichtig genug für eine Eilt-Pushmeldung. Mitten in der Stellungnahme des Tiroler Landeshauptmanns Günther Platter bricht der Livestream ab und kann offensichtlich nicht mehr reaktiviert werden. Ein Zeichen, und kein gutes.
8. September, 17.30 Uhr - Absage
Es war eigentlich klar, die Frage war nur, wie lange es bis zur Absage dauern würde: heute Nachmittag kam sie. Sechs Tage vor Beginn der nächsten Plenarsitzung des Europäischen Parlaments teilte Parlamentspräsident David Sassoli mit, dass sie nun doch nicht wie eigentlich vorgesehen in Straßburg stattfinden wird, sondern wie zuletzt auch in Brüssel. Sassoli hatte unmittelbar davor noch einmal mit der Straßburger Bürgermeisterin Jeanne Barseghian telefoniert.
Das Département Bas-Rhin, in dem Straßburg liegt, wird seit dem vergangenen Wochenende von den französischen Behörden wieder als eine rote Zone eingestuft, in der das Coronavirus aktiv zirkuliert. Auch das habe zu der Entscheidung beigetragen, die Sitzung dort abzusagen, erklärte Sassoli. Die Abgeordneten und Mitarbeiter hätten sich nach ihrer Rückkehr nach Brüssel in Quarantäne begeben müssen. Dazu kommt, dass Straßburg an der Grenze zu Deutschland liegt und viele der Sitzungsteilnehmer ihre Quartiere auf der deutschen Seite haben - Deutschland hat aber umgekehrt die Region Brüssel-Stadt auf die rote Liste gesetzt, was ebenfalls eine Quarantäne zur Folge hätte.
Der Absage der Sitzungswoche in Frankreich war bereits eine Debatte darüber vorausgegangen, ob die EU-Abgeordneten und ihre Mitarbeiter angesichts der derzeitigen Entwicklungen in der Coronavirus-Pandemie für die Sitzung überhaupt reisen sollten. Die für kommenden Mittwoch geplante Rede von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zur Lage der Union wird damit die erste ihrer Art, die nicht in Straßburg gehalten wird.
Seit März fanden die Sitzungen des EU-Parlaments in einem kleineren Format online und im Plenarsaal in Brüssel statt. Das Europaparlament hat zwei Sitze. Der Sitz in Straßburg ist in den EU-Verträgen festgelegt - und Frankreich pocht darauf, dass der Ort beibehalten wird und wichtige Entscheidungen nur dort fallen.
8. September, 10.30 Uhr - Entscheidung
Irgendwie war es eh klar: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gerade eben bekannt gegeben, dass sie die Europaabgeordnete Mairead McGuinness als neue irische Kommissarin vorschlagen wird. Gestern hatte sie ja in einer Videokonferenz mit McGuinness und dem männlichen Kandidaten Andrew McDowell gesprochen, da sie in der Kommission aber auf Geschlechterparität achtet, hatte McGuinness von Anfang an die besseren Karten.
Ebenfalls zu erwarten: Sie bekommt nicht das Handelsressort ihres Vorgängers Phil Hogan (er war über die Missachtung von Corona-Regeln gestolpert und musste zurücktreten, siehe unten), sondern soll für Finanzdienstleistungen zuständig sein. Den Handelsbereich soll Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis aus Lettland übernehmen.
Allerdings muss sich Mairead McGuinness nun noch dem Hearing des Parlaments stellen - sie ist als langjährige Abgeordnete und Vizepräsidentin desselben aber bestens bekannt und vor allem anerkannt, mehr als eine Formalität sollte das nicht werden.
Der unerwartete Abgang Phil Hogans hatte auch zu Diskussionen über mögliche Schäden für die Brexit-Verhandlungen geführt. Hogan wäre als Ire und Handelskommissar an vorderster Front gestanden und hätte bei näherer Betrachtung wohl auch eine gewisse Befangenheit ins Spiel gebracht. Jetzt ist wieder alles auf neutralem Boden.
4. September, 20.30 Uhr - Nachfolger
Irland ist heute der Aufforderung nachgekommen, zwei Kandidaten als mögliche Nachfolger für den über eine Golf-Party gestolperten Handelskommissar Phil Hogan (siehe unten) zu nennen. Nominiert wurden die Europa-Abgeordnete Mairead McGuinness und der frühere Vize der Europäischen Investitionsbank, Andrew McDowell.
Wer macht das Rennen? Mairead McGuinness hat schon mal sehr gute Karten, sie ist langjährige EU-Abgeordnete und kennt den Laden in- und auswendig, derzeit ist sie auch eine der Vizepräsidentinnen des EP. McGuinness ist auch in ihrer Parteienfamilie bestens verankert; vielen erinnerlich ist noch, wie sie beim EVP-Parteitag vor der EU-Wahl in Helsinki jenen Abend moderierte, an dem sich Alexander Stubb und Manfred Weber um den Platz des Spitzenkandidaten duellierten (Weber setzte sich damals durch, das angestrebte Amt des Kommissionspräsidenten war ihm bekanntlich trotzdem nicht beschieden).
Und: Mairead McGuinness hat in diesem Fall den Bonus, eine Frau zu sein - im Sinne der Geschlechterparität hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausdrücklich darum gebeten, einen Mann und eine Frau zu nominieren.
Doch Konkurrent McDowell hat unlängst seine vierjährige Amtszeit als einer der acht Vize-Präsidenten der Europäischen Investitionsbank (EIB) beendet. Seit Hogans Rücktritt hat Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis das Amt des Handelskommissars vorübergehend inne. Mehrere EU-Diplomaten sagten in Brüssel, es gebe einen wachsenden Konsens, dass Irland nicht wieder den Handelskommissar stellen solle.
Hogans Rücktritt könnte also eine größere Umbildung der EU-Kommission nach sich ziehen. Als ein möglicher neuer Handelskommissar wurde der Belgier Didier Reynders genannt, der derzeit das Justizressort leitet. Denkbar sei auch, dass Dombrovskis endgültig das Themenfeld Handel übernimmt, wenn ihm andere Aufgaben abgenommen werden. Zu seinen Aufgaben gehören auch Fragen der Finanzregulierung, des Bankwesens, der Kapitalmärkte und der Eurozone - was wiederum McDowell in die Hände spielen würde.
McGuinness oder McDowell - so oder so muss der ausgewählte Kandidat noch durchs Parlaments-Hearing.
27. August, 14.30 Uhr - Coronaopfer
Der Sommer hat sich verabschiedet aus Brüssel, seit Tagen ziehen graue Wolken über die Stadt, es regnet, es windet, wenigstens ist es nicht auch noch so kalt, wie es ausschaut. Im Parlament haben heute die Trilog-Verhandlungen ums Budget begonnen, das wird noch eine "schwere Partie", ist aber für die Öffentlichkeit nicht gerade eine aufregende Sache. Die aktuellen Ratstreffen (gestern Verteidigungsminister, heute Außenminister) finden im Ratsvorsitzland Deutschland (in Berlin) statt, also bleibt es vorerst ruhig in der belgischen Hauptstadt.
Getöse gab es trotzdem, wir haben berichtet: Handelskommissar Phil Hogan war in den Ferien in seiner irischen Heimat ein bisserl Golfspielen - und jetzt ist seine EU-Karriere im Eimer, er musste gestern Abend zurücktreten. Irland hat besonders strenge Corona-Regeln und gerade ein EU-Kommissar, an den besonders hohe ethische Ansprüche zu stellen sind, kann sich nicht einfach über alles hinwegsetzen. Der Besuch des Dinners im noblen Golfclub (mit 80 Gästen - sechs wären erlaubt gewesen), das mehrfache Ignorieren des Lockdowns in einem Ort, in dem der Kommissar eine Wohnung hat, das Nichteinhalten der 14-tägigen Quarantäne steht auch jemandem nicht zu, der sich auf Diplomatenstatus berufen kann. In Irland selbst waren ja davor schon mehrere Teilnehmer des feinen Dinners (das noch dazu vom Parlaments-Golfclub veranstaltet worden war) zurückgetreten, darunter auch der Landwirtschaftsminister, der erst seit fünf Wochen im Amt war. Hier sind die Details. Letzten Endes war der Druck vor allem aus Irland selbst so groß, dass Brüssel das nicht übergehen konnte. So schnell kann`s gehen.
Hogan ist also Geschichte (falls es jemand interessiert: Hier findet man sein entsprechendes Schreiben und hier ist die etwas kühle Antwort von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach dem Motto: Alles Gute auf dem weiteren Lebensweg) und hat der Kommission damit eine ziemliche Baustelle hinterlassen. Er war mittendrin in komplizierten Verhandlungen mit den USA und sollte auch an vorderster Stelle sein, wenn es um die künftige Zusammenarbeit mit Großbritannien geht. Irland ist jetzt zwar aufgefordert, rasch einen Ersatzkandidaten zu finden (noch besser: eine Kandidatin), aber erstens muss diese Person auch einmal das Parlaments-Hearing bestehen und zweitens ist klar, dass ein Neuling nicht gleich das wichtige Handelsdossier übernehmen kann.
Von der Leyen wird also nicht darum herumkommen, ihr Team auf gröbere Art umzustellen. Allerdings dürfte sie sich schon im Juni mit dem Gedanken befasst haben: da war Hogan nämlich als möglicher Generaldirektor der Welthandelsorganisation WTO im Gespräch, daraus wurde aber nichts. Vorerst übernimmt Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis die Zuständigkeit für das Ressort Handel, aber der Herbst wird noch so manche Überraschung bringen.
Damit es zu keinen Verwechslungen kommt: Es geht um Phil Hogan. Und nicht um Hulk Hogan (das ist der Wrestler aus den USA) und auch nicht, wie manche Nachrichtenagentur bereits schrieb, um Paul Hogan (das wär dann nämlich der australische Schauspieler, den jeder nur als "Crocodile Dundee" kennt).
24. Juli, 18.30 Uhr - Nachhall
Langsam verzieht sich der Rauch in Brüssel. Nach dem historischen Marathon-Gipfel, der von vergangenem Freitag bis Dienstag Früh gedauert hat, normalisiert sich alles wieder. Das EU-Parlament hat nicht lange gefackelt und in einer Resolution kräftige Nachverhandlungen verlangt - immerhin muss der Deal der Staats- und Regierungschefs, das Ding mit den 1800 Milliarden Euro, auch von den Volksvertretern abgesegnet werden. Und die sind zwar in letzter Konsequenz oft (zu) milde, aber zumindest in einigen Punkten wollen sie jetzt Änderungen:
Beim Budget habe es "massive Kürzungen" gegeben. Diese Einschnitte bei Gesundheits-, Forschungs- und Bildungsprogrammen, beim Klimaschutz und der Digitalisierung sowie in der Außen- und Migrationspolitik liefen den gemeinschaftlichen Interessen zuwider.In der Entschließung wenden sich die Abgeordneten auch gegen die Rabatte, die einigen Nettozahlerländern auf ihre EU-Beiträge gewährt werden. Parlament und Kommission fordern schon lange die Abschaffung dieser "Korrekturmechanismen". Beim EU-Gipfel hatten die "sparsamen Vier" - Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden - aber sogar höhere Nachlässe für sich ausgehandelt. Auch die heikle Frage der Rechtsstaatlichkeit wurde dem Parlament zufolge nicht gelöst. Wie auch die EU-Kommission wollen die Abgeordneten, dass EU-Ländern in Fällen von Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien die Mittel aus Brüssel gekürzt werden können. Die Gipfeleinigung sieht diese Möglichkeit grundsätzlich vor, auf Druck von Polen und Ungarn wurden die Details des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus aber nicht verabschiedet.
Jedenfalls wurde die Resolution mit großer Mehrheit verabschiedet, mit 465 Ja-Stimmen (gegen 150 Nein-Stimmen und 67 Enthaltungen). Interessanterweise stimmten alle ÖVP-Europaabgeordneten gegen die Resolution - mit Ausnahme von Othmar Karas. Die sechs ÖVP-Mandatare stellten sich damit gegen die überwältigende Mehrheit der Europäischen Volkspartei (EVP), die die Resolution unterstützte. Insgesamt stimmten nur 29 weitere EVP-Abgeordnete mit Nein; sie befinden sich damit auf der gleichen Linie wie die FPÖ und den rechtskonservativen und rechtspopulistischen Parteien wie Vlaams Belang, der französischen Rassemblement National oder der polnischen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit).
Alle Abgeordneten von SPÖ, Grünen und Neos stimmten der Resolution ebenfalls zu - Othmar Karas, der auch Vizepräsident des Europaparlaments ist, erweitert ihren Kreis mit klarer Botschaft. Er übte scharfe Kritik an der Gipfeleinigung und meinte in Anspielung unter anderem auf Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), es würden "diejenigen gefeiert, die sich für weniger Zuschüsse, weniger Zukunftsinvestitionen und weniger Rechtsstaatlichkeit eingesetzt haben".
Erklärung gibt es von den ÖVP-Abgeordneten auch: Delegationsleiterin Angelika Winzig hatte ihre Nein-Stimme öffentlich angekündigt und sie unter anderem mit der Ablehnung der Beitragsrabatte durch das Europaparlament begründet und damit, dass "der Text die Einigung der Mitgliedsstaaten insgesamt eher negativ bewertet".
23. Juli, 20.30 Uhr - Kommission
An sich ist das Kommissionsgebäude für die Öffentlichkeit und damit auch für Journalisten immer noch gesperrt, dennoch kommt man auf besondere Einladung natürlich hinein. Gleich dreimal in den letzten Wochen, an interessanten Schauplätzen. Eine kleine Rückschau:
Zuerst gewährte der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ein Interview, in seinem neuen Büro im 8. Stock.
Am Tag vor dem Gipfel hatte der Schreiber dieser Zeilen die Ehre, zu einem speziellen off-the-record-briefing eingeladen zu sein, dass vom Kabinettchef von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und seiner Stellvertreterin abgehalten wurde. Solche Treffen gibt es immer wieder, um Medienvertreter in kleiner Runde auf den letzten Stand zu bringen und zum Meinungsaustausch - schließlich sind auch die EU-Institutionen daran interessiert, was die Journalisten denken. Und warum.
Während des Gipfels ist die Ständige Vertretung Österreichs zwischendurch eine willkommene Herberge. Diesmal war ja das Ratsgebäude abgeriegelt, das Pressezentrum außer Funktion. In der "Perm Rep" versuchte auch Bundeskanzler Sebastian Kurz, zumindest einmal am Tag alle über die Entwicklungen zu informieren.
Heute war wieder ein Termin im Kommissionsgebäude, Budgetkommissar Johannes Hahn lud eine Handvoll deutscher und österreichischer Journalisten zum Nach-Gipfel-Briefing. Man traf sich im Saal "Walter Hallstein" - der wird gerade wegen seiner passenden Dimensionen für die regelmäßigen Sitzungen der Kommissare genutzt. Auf wessen Platz unsereiner Platz nahm, blieb im Verborgenen.
17. Juli, 21.30 Uhr - Ein Gipfel wie nie
Streiflichter von einem EU-Sondergipfel, der seinem Namen zur Ehre gereicht: Vieles ist hier besonders, alles eigentlich. Aber schauen wir einmal:
- Es ist der erste "richtige" Gipfel seit Monaten, in Zeiten der Pandemie entsprechend einzigartig. Die Staats- und Regierungschefs laufen mit Masken herum, sie dürfen nur kleine Delegationen mitbringen, das Ratsgebäude ist quasi menschenleer und wird permanent desinfiziert, penibel wird auf Abstände geachtet. Die "Bild"-Zeitung macht ein Ranking der feschesten Masken - es siegte der Italiener Giuseppe Conte mit einer dunkelblauen Maske, die perfekt zum Designeranzug passt.
- Es gibt, trotz der Streitereien, viel zu feiern auf dem Gipfel. Heute, Freitag, feiern gleich zwei der Staatenlenker, Angela Merkel und der portugiesische Regierungschef Antonio Costa, Geburtstag. Merkel ist 66, Costa 59 geworden. Gratuliert wird auch der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, sie hat am Mittwoch (nach mehreren Anläufen) geheiratet. Emmanuel Macron überreichte Merkel mehrere Flaschen Burgunder-Weißwein. Von Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow erhielt sie ein silbernes Fläschchen bulgarisches Rosenwasser und der belgische EU-Ratspräsident Charles Michel schenkte der Kanzlerin Schokolade aus seinem Heimatland. Merkel bedachte Costa mit einem Faksimile eines Stadtplans der indischen Stadt Goa aus dem 17. Jahrhundert, aus der Costas Vorfahren stammten. Costa wiederum brachte für seine 26 Kollegen personalisierte Sets mit Designer-Schutzmasken.
- Erwähnenswert noch die Anreise von Kanzler Sebastian Kurz. Dieser hatte sich in Kärnten ein paar Urlaubstage gegönnt und war infolge räumlicher Nähe zur slowenischen Grenze quasi per Anhalter in der Maschine des slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa nach Brüssel gekommen. Der postete schon in der Früh ein Foto und schrieb dazu: "Gemeinsamer Flug mit 'frugalem' Flugzeug nach Brüssel".
- Falls der Sondergipfel doch länger als bis Samstag dauert (das könnte leicht bis Sonntag oder auch Montag weitergehen), so ist Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel jedenfalls gewappnet. Der Nachrichtenagentur AFP verriet er, dass ihm bei früheren, unerwartet langen Treffen schon mal die saubere Wäsche ausgegangen sei. "Es ist mir schon passiert, kein sauberes Hemd und keine Unterhose mehr zu haben", sagte der 47-jährige Bettel, der seit 2013 Luxemburgs Premier ist. "Dann habe ich mir mit dem Shampoo in meinem Zimmer behelfen müssen, um doch noch saubere Kleidung zu bekommen."
7. Juli, 16.00 Uhr - Produktsicherheit
Ungewöhnliches ging heute im Gebäude der EU-Kommission vor. Vor die Kameras trat Justizkommissar Didier Reynders - und hatte eine kleine Batterie Kuscheltiere mit dabei.
Bevor sich jemand fragt, ob man gleich einen Arzt (oder die Polizei) gerufen hat - nein, war nicht nötig. Ernster Hintergrund des wunderlichen Auftritts: Eine Bilanz über "gefährliche Produkte"; also Waren, die man in jedem Haushalt finden kann, die aber zur Gefahrenquelle werden können. Die EU hat da ein Auge drauf, es gibt eine eigene Website für solche Sachen (hier ist der Link dazu, die Startseite ist auf englisch, es geht aber dann auch in deutsch weiter).
Die Zahl der gemeldeten gefährlichen Produkte in der EU ist im Vorjahr leicht zurückgegangen. Insgesamt wurden EU-weit 2.243 Warnmeldungen ausgegeben, davon 17 in Österreich. EU-weit waren im Vorjahr die drei gefährlichsten Produktkategorien Spielzeug (29 Prozent), Kraftfahrzeuge (23 Prozent) sowie Bekleidung, Textilien und Modeartikel (8 Prozent). Die häufigsten Gefahren bestanden in Form von Verletzungen (27 Prozent), Chemikalien (23 Prozent) und Ersticken (13 Prozent). Lebensmittel werden von dem Warnsystem nicht erfasst.
In Österreich nahmen Spielzeuge mit 41 Prozent einen noch größeren Anteil ein, gefolgt von Kosmetika und Kraftfahrzeugen (jeweils 12 Prozent). Das chemische Risiko war hierzulande die größte Gefahr (24 Prozent), dahinter stehen Feuer und Verletzungen (zu jeweils 18 Prozent).
In etwa der Hälfte aller Warnmeldungen, die in den vergangenen Jahren auf dem EU-System "Safety Gate" veröffentlicht wurden, war als Ursprungsland des gefährlichen Produkts China angegeben. Mit deutlichem Abstand folgten Produkte aus Deutschland, unbekannter Herkunft sowie aus den USA und Frankreich.
So. Da wir eingangs von sonderbaren Szenen gesprochen haben - hier sind ein paar Fotobeweise:
2. Juli, 14.20 Uhr - Ein Urteil
So, nachdem es in Europa drunter und drüber geht kann man vielleicht wenigstens die Mundwinkel zu einem kleinen Lächeln verziehen, wenn man sich das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg ansieht.
Es lautet sinngemäß so: Auch verlassene Ruhestätten von geschützten Tierarten wie dem Feldhamster dürfen gemäß EU-Recht nicht beschädigt oder vernichtet werden, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Tiere dorthin zurückkehren. Ein Gericht müsse prüfen lassen, ob die Wahrscheinlichkeit hinreichend gegeben ist.
Was war passiert? In Wien hatte ein Dienstnehmer eines Bauunternehmens eine Strafe vom Magistrat ausgefasst, weil er im Rahmen eines Bauprojekts die Ruhe- oder Fortpflanzungsstätten des Feldhamsters beschädigt oder vernichtet haben soll. Er wird sich gedacht haben: Herr oder Frau Hamster ist eh nicht daheim oder schon längst woanders hingezogen.
Nutzt alles nichts, wie der EuGH in Bezug auf die entsprechende Habitatrichtlinie 92/43/EWG feststellte. Gemäß dieser haben die EU-Länder die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um ein strenges Schutzsystem für die geschützten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen, darunter solche, die jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten verbieten. Dadurch soll der Lebensraum von geschützten Tierarten erhalten bleiben.
18. Juni, 18.00 Uhr - Faktor Zeit
Gerade eben geht ein erster Teil des EU-Gipfels zu Ende, der eigentlich im zweitägigen Gipfel als wichtiger Auftakt vorgesehen war; da alles aber nach wie vor per Videokonferenz abläuft und der eigentliche Gipfel auf einen Tag (Freitag) konzentriert ist, bleibt die Konferenz der Staats- und Regierungschefs zur "östlichen Partnerschaft" eine Randerscheinung. Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen berichten über die Unterstützung für Länder wie Ukraine, Georgien oder Moldawien. In Form von Geld (etwa eine Milliarde für Coronafolgen) oder Sachwerten wie medizinische Güter. Der Osten ist wichtig; Platz 10 im Ranking der Handelsbilanzen (umgekehrt ist die EU für einen Teil von ihnen Nummer eins).
Morgen, am Freitag, geht es jedenfalls hauptsächlich ums Geld, also um die 750 Milliarden des Wiederaufbauplans für die Wirtschaft und alle Details - wie genau das Geld auf dem Kapitalmarkt aufgenommen wird, wie und unter welchen Bedingungen es verteilt wird (immer die zentrale Frage: wer bekommt wie viel) und vor allem: wer muss was zurückzahlen? Das EU-Parlament, das bei diesen Dingen auf den ersten Blick im Hintergrund agiert, aber ein gewichtiges Wort mitzureden hat, hat sich grundsätzlich schon einmal für das Paket ausgesprochen, man wartet nun auch darauf, was sich die Staats- und Regierungschefs aushandeln.
Um schon mal alles klarzustellen, haben nun die Präsidenten von fünf Fraktionen (EVP, S&D, Renew, Grüne und Linke) einen gemeinsamen Brief an die Staats- und Regierungschefs geschrieben. "Wir sind fast am Ziel" zeigen sie sich optimistisch. Es gehe aber auch um Vertrauen und Solidarität; schließlich sei die Einführung neuer Eigenmittel unabdingbar, um die Finanzlast in Zukunft tragen zu können. Der wichtigste Faktor sei freilich die Zeit. Ein wenig nach dem Motto: wer schnell hilft, hilft doppelt. Wer sich für das Schreiben interessiert (an dem wie fast immer in solchen Fällen die rechten Parteien nicht beteiligt sind) findet es hier.
6. Juni, 19.00 Uhr - Vierte Runde
Heute ging die vierte Brexit-Verhandlungsrunde zu Ende und EU-Chefverhandler Michel Barnier schaut immer grantiger drein. Tatsache ist: Es. Geht. Nichts. Weiter.
Ganz im Gegenteil, wie Barnier anhand von Beispielen erläuterte. Großbritannien weiche Schritt für Schritt von dem ab, was gemeinsam verhandelt worden war. So habe sich Johnson verpflichtet, Standards gegen Handelsverzerrungen und unfairen Wettbewerb aufrecht zu halten. "Wir sind heute sehr weit von diesem Ziel entfernt", sagte Barnier. Auch von nuklearen Sicherheitsstandards und Anti-Geldwäsche-Regeln sei man weit entfernt, obwohl diese in der Erklärung genannt seien. Kaum Fortschritte gebe es auch bei der Fischerei. Großbritannien knüpfe den Zugang zu seinen Gewässern an jährliche Quoten der EU. Auch bei der geplante Justiz- und Polizeikooperation sei man weit von einem Abkommen entfernt, sagte Barnier - dabei schwenkte er das Papier in der Hand und sagte sehr deutlich: "Das ist die einzige gültige Referenz. Es ist von Boris Johnson unterschrieben und nicht schwer zu lesen." Nachsatz: "Das gibt es in allen Sprachen. Auch in englisch."
Bei der Fischerei, einem der Hauptthemen, scheint der Zug ohnehin schon abgefahren zu sein, hier gibt es eine Deadline am 1. Juli. Aber auch alles andere ist schon mehr als knapp: Um einen "Deal" überhaupt noch über die Bühne zu bringen, müssten alle Punkte mit Ende Oktober abgeschlossen sein - das sind gerade einmal noch fünf Monate.
Nun liegen die Hoffnungen in zwei Dingen: Erstens soll es noch im Lauf des Juni zu einer nächsten Verhandlungsrunde kommen, die diesmal wieder "in echt", also nicht bloß als Videokonferenz, stattfinden soll. Davon erhofft sich Barnier eine Art menschliche Dynamik, die auf den kalten Monitoren völlig fehlt. Und zweitens soll es, ebenfalls noch im Juni zu einem Treffen auf Chefebene kommen: Boris Johnson, Ursula von der Leyen, Charles Michel. Vielleicht bringt ja das den verfahrenen Karren wieder in Gang. Allerdings: Wer sich anschaut, wie die Briten derzeit agieren, kann nicht viel Hoffnung haben.
A propos EU-Kommission. Letzte Woche der erste "richtige" Termin im Kommissionsgebäude, Budgetkommissar Johannes Hahn hat Journalisten aus Österreich und Deutschland zur Nachbesprechung des 750-Milliarden-Euro-Wirtschaftspakets der EU geladen. Es hat gut getan, nach fast drei Monaten wieder einmal Kollegen zu treffen. Das Kommissionsgebäude selbst hat sich kaum verändert. Die Baustelle am Eingang ist noch in aller Pracht und Herrlichkeit da - so wie der neue Eingangsbereich später selbst einmal sein soll.
27. Mai, 22.00 Uhr - Historischer Tag
Ein langer Tag geht zur Neige, ein Tag, den manche im EU-Betrieb als historischen bezeichnen. Ursula von der Leyen hat ihren 750-Milliarden-Mega-Aufbauplan vorgestellt und bekam dafür viel Zustimmung. Vielleicht ist es auch der Tag, der eine "neue" EU begründet haben wird, mit einer Wiedererstarkung des Solidaritätsgedankens. Wir werden sehen.
Einige Beobachtungen: Werner Kogler, österreichischer Vizekanzler, hat einen Brief an die EU-Grünen geschrieben. Das war ein wenig sonderbar, das Schreiben (in englisch gehalten) wurde wenige Stunden vor der Präsentation des Wiederaufbau-Plans verbreitet. Es trägt (zumindest in der uns vorliegenden Kopie) kein Datum und keinen Briefkopf, ist an die Fraktionschefs Ska Keller und Philippe Lamberts gerichtet und bleibt ein wenig vage.
"Wir brauchen einen gemeinsamen Erholungs- und Krisenfestigkeitsplan, dessen Hauptantriebskraft von öffentlichen Investitionen kommt", schreibt Kogler. Damit dieser Erfolg habe, müsse er "solidarisch finanziert und zurückgezahlt" werden, "um die Staatsverschuldung einzelner Mitgliedstaaten nicht zu verschlechtern". Kogler wünscht sich darin einen Vorschlag, der über jenem von Merkel und Macron liegt - was ihm die Kommission wenig später auch prompt erfüllte.
Im Pressegespräch wurden Keller und Lamberts auf die "sparsamen Vier" mit Sebastian Kurz an der Spitze angesprochen. In Dänemark sei nicht viel zu machen, so Lamberts, da sind die Grünen abgeschlagen. In Schweden und den Niederlanden schaue es schon besser aus und in Österreich seien sie ja sogar in der Regierung, um gegen die Knausrigen anzukämpfen. Hat man jetzt so auch wieder nicht gemerkt.
Überhaupt, Österreich. Tatsächlich hat es bei den zahlreichen Anlässen den ganzen Tag über - da hat eine Pressekonferenz die andere gejagt - keinen gegeben, bei denen man nicht früher oder später auf die vier Länder bzw. namentlich auf Sebastian Kurz zu sprechen gekommen wäre. Das war bei den EU-Grünen so, das war in der Stellungnahme des EU-Präsidenten David Sassoli so, das war in einem Pressegespräch des deutschen Verbindungsbüros mit der Budgetausschuss-Vorsitzenden Monika Hohlmeier so, das war schließlich auch bei der abschließenden Pressekonferenz von Ursula von der Leyen so. Die "sparsamen Vier", zwischendurch auch verächtlich als "geizige Vier" bezeichnet, haben sich in Europa einen Namen gemacht. Resumee von der Leyens: Es sei völlig normal und liege in der Natur der Sache, dass die Mitgliedsländer unterschiedliche Positionen haben und das in der Korb werfen, was ihnen wichtig ist: "Es ist selbstverständlich, wenn Länder Rabatte wollen oder mit ihren Vorstellungen kommen. Darin liegt die Schönheit in der EU, dass auch eine große Heterogenität unter einem Dach einen gemeinsamen Weg in die Zukunft findet." Schön gesagt.
15. Mai, 14.15 Uhr - Resolution
Was heute (unter anderem) alles vor sich geht: Brexit-Chefverhandler Michel Barnier und sein Team haben eine weitere Verhandlungswoche mit den Briten hinter sich. Kurz zusammengefasst: es ist kompliziert. Es geht nichts weiter, es fehlen die "echten" Verhandlungen abseits der Videokonferenzen. Und es besteht weiterhin ein übler Verdacht: Boris Johnson könnte, so das Narrativ, die EU bewusst auflaufen lassen. Entweder, damit die Union kurz vor Schluss die Nerven wegwirft und den Briten viele Zuckerln zugesteht, oder, um die negativen Folgen des Brexit elegant in die verheerenden Corona-Folgen versinken zu lassen; Falls Zweifel aufkommen, könnte man die weitere Schuld dann immer noch der EU in die Schuhe schieben...
Inzwischen ist das EU-Parlament hoch aktiv, diese Woche wieder (virtuelle) Plenarsitzung. Vieles wurde auf den Weg gebracht (unter anderem eine neue Kennzeichnung von Autoreifen - in Zukunft sollen auch Dinge wie Spritverbrauch oder Abrieb aufscheinen, damit Käufer die umweltbewussteren Modelle erkennen können. Auch die Laufleistung soll ersichtlich sein, das alles ab 2022.
Heute wurde aber auch noch eine Resolution verabschiedet, mit großer Mehrheit (505 Ja-Stimmen, 119 Nein und 69 Enthaltungen). Es geht Aufbauplan für die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise und den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU. Das EU-Parlament fordert in der Resolution ein Volumen von zwei Billionen Euro für einen Aufbaufonds, der zusätzlich zum EU-Budget berechnet werden müsse. Die Mittel sollen demnach vor allem als Zuschüsse und nicht als Kredite in die EU-Staaten fließen. Nicht rückzahlbare Finanzhilfen werden unter anderem von Österreich abgelehnt, Länder wie Frankreich, Italien und Spanien bestehen dagegen auf solche Transferzahlungen.
In der Resolution wird festgehalten, dass der Aufbaufonds weder das EU-Budget schmälern noch die langfristigen Prioritäten der Union beeinflussen darf, zu denen der ambitionierte Klimaschutzplan der EU-Kommission zählt. Diese Vorstellungen verfolgt auch die EU-Behörde in Brüssel.
Am Vormittag hielt EP-Vizepräsident Othmar Karas (ÖVP) dazu eine Videokonferenz ab und er gab dabei ordentlich Gas. Es sei an der Zeit, mit einer Digitalsteuer "ernstzumachen" sagte der langjährige Abgeordnete und rechnete vor, dass allein dadurch 35 Milliarden Euro zu lukrieren seien. Logische Folge: Man müsse endlich mit den Schlupflöchern und Steueroasen in der EU ein Ende machen, es bedürfe dringend einer Reform des Steuersystems.
Die Kommission wollte ihren neuen Vorschlag schon Anfang Mai präsentieren, nach mehreren Verschiebungen hätte es kommende Woche (am 20.) soweit sein sollen, inzwischen wurde der Termin noch einmal um eine Woche auf 27. Mai verschoben. Karas: "Die müssen liefern!" Es gehe nicht darum, schon vorab einen Kompromiss mit dem Rat zu finden. Eine weitere Verzögerung wäre kaum zu verkraften. Bereits bekannt ist, dass der Aufbauplan durch eine Erhöhung des Eigenmittelplafonds der EU finanziert werden soll. Dabei handelt es sich um die Obergrenze für die Aufnahme von Geldern, die von den EU-Ländern besichert wird.
Und was war noch? Österreich bekommt Lob von der AfD. Also, genauer gesagt die türkis-blaue Regierung, die längst schon Geschichte ist. Nicht Geschichte ist die damals getroffene Entscheidung zur Indexierung der Familienbeihilfe, an der interessanterweise auch türkis-grün festhält. Wie berichtet, landet der Fall inzwischen im Zuge eines von der EU-Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH - und derzeit schaut es sehr danach aus, als würde die Alpenrepublik da, salopp ausgedrückt, ziemlich "einfahren" und Millionen zahlen müssen.
Aufs Urteil müssen wir aber noch warten, dafür hat die deutsche AfD ihres schon gefällt. Guido Reil, Sozialpolitischer Sprecher der AfD-Delegation im EU-Parlament, hat für die Klage gegen Österreich wenig Verständnis: "Das österreichische Sozialsystem wurde in eklatanter Weise missbraucht. Die damalige Regierung in Wien hat völlig richtig gehandelt, um diesen Missbrauch zu stoppen. Natürlich gehört das Kindergeld indexiert, auch in Deutschland: Es kann nicht sein, dass deutsche Rentner in Berlin in Altersarmut leben müssen, damit es Kindern in Bukarest besser geht." Anstatt Österreich zu verklagen, sollte man das österreichische Modell zum Standard erklären, so Reil.
In einem Punkt hat die Rechtspartei recht: 2016 bot Brüssel der zickigen britischen Regierung ein ähnliches Modell an. Doch auch das ist inzwischen Geschichte. Und der EuGH wird schon wissen, was er tut.
6. Mai, 17.45 Uhr - Und die Briten?
Heute gab die EU-Kommission ihre Wirtschaftsprognosen für 2020 und 2021 bekannt. Ein düsteres Bild mit einer kleinen Aufhellung für Österreich. Der Verlust an Wirtschaftskraft wird für unser Land mit 5,5 Prozent angegeben - das ist nach Polen und Luxemburg der drittniedrigste Wert der EU.
Die Tabellen und Listen, die samt einem Konvolut von mehr als 100 Seiten veröffentlicht wurden, enthalten die Daten von allen 27 EU-Mitgliedsländern - und jene von Großbritannien, das derzeit ja trotz vollzogenem Brexit noch in der Übergangszeit als Mitglied der EU (mit allen Pflichten und wenig Rechten) zählt. Die Autoren merken an, dass die Prognose für 2021 und später noch mehr Kaffeesudleserei war als alle anderen Vorschauen - wenn man nicht einmal weiß, ob das Vereinigte Königreich nun mit oder ohne Vertrag ausscheidet oder vielleicht doch noch die Übergangszeit verlängert wird, gleicht jede Prognose einem Blick in die Glaskugel.
Die Daten, die nun aber vorliegen, ergeben ein durchwachsenes Bild. Ein Überblick: Beim Minus der Wirtschaftsleistung (siehe oben, Österreich minus 5,5 Prozent) liegt UK mit -8,3 Prozent ungefähr bei Frankreich und damit im negativen Spitzenfeld (EU insgesamt: -7,4 Prozent). Bei den Arbeitslosenzahlen steigen die Briten eher gut aus (Österreich 5,8 Prozent, EU 9,0 Prozent, UK 6,7 Prozent). Die Neuverschuldung der Briten liegt bei 10,2 Prozent (Ö: 6,1 Prozent, EU: 8,3 Prozent). Die Verschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung steigt in Österreich um 8 Prozentpunkte auf 78,8 Prozent, die EU gesamt springt von 79,4 auf 95,1 Prozent, Großbritannien von 85,4 auf 102,1. Allerdings weist die Prognose den EU-Ländern für das Jahr 2021 eine erkennbare Erholung aus, die Briten können das demnach aber nur in geringem Ausmaß wettmachen.
Was bei den Tabellen noch auffällt: Die Eurozonen-Länder haben in so gut wie allen Bereichen etwas schlechtere Werte als die EU gesamt. Warum das so ist, kann EU-Kommissar Paolo Gentiloni nur so erklären; er meint, dass gerade die Euro-Länder (wie Spanien, Italien, Frankreich) besonders stark von den Coronafolgen betroffen wurden und die anderen eher nicht. Auch, warum ausgerechnet Polen den geringsten Einbruch bei der Wirtschaft hat, ist nicht so einfach zu beschreiben. Die These: Polen hat einen Arbeitsmarkt, der eher flexibel ist. Und viel Landwirtschaft.