24. Juli, 22.00 Uhr - Hitze und Arbeit ohne Ende
Der Sommer in Brüssel ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Zum einen, weil es seit Wochen so heiß und so trocken ist, wie schon seit Jahren nicht mehr. In Belgien, das eigentlich bekannt für seinen Dauerregen ist, sind die Rasenflächen ausgedörrt wie Steppenflächen in Mittelmeerländern, die Temperaturen variieren zwischen unerträglich heiß und tropisch-schwül und viele fragen sich, warum es nicht mehr Freibäder gibt (vor allem jene, die keinen Pool im Garten haben).
Zum anderen aber ist anders, dass die Arbeit im EU-Viertel nicht wie sonst von einem Tag auf den anderen eingestellt wird, sondern zahlreiche Beamte und Experten immer noch da sind und es möglicherweise auch bleiben. Es gibt einfach zu viele Themen, die keinen Aufschub zulassen. Die Migrationsfrage, beim Juni-Gipfel zum Thema Nummer eins erkoren, kann nicht auf die lange Bank geschoben werden. Soeben präsentierte die Kommission einen Vorschlag dazu, der noch im Sommer zumindest im kleinen Rahmen getestet werden soll. Der Handelsstreit um die Zölle ist ebenfalls nichts, was man auf den Herbst vertagen kann. Da steht zu viel auf dem Spiel. Und dann noch der Brexit, der auf ein "Alles-oder-nichts"-Szenario zusteuert und wo inzwischen schon jeder einzelne Tag kostbar erscheint. Und in allen Lagern laufen inzwischen schon die Vorbereitungen für die Europawahlen an.
Dem heißen Sommer 2018 wird ein heißer Herbst folgen. Egal, wie dann das Wetter ist.
19. Juli, 21.30 Uhr - Die Brexit-Uhr tickt
Die Formulierung war in den Briefings der EU-Kommission gleich mehrfach zu hören: An der Einigung für einen geordneten Brexit werde mittlerweile "Tag und Nacht" gearbeitet, "7/7" (also sieben Tage die Woche), wie ein EU-Diplomat ergänzte. Nix mit Sommerpause also. Denn die Zeit wird immer knapper: Am 30. März 2019 wird das Vereinigte Königreich vom Mitgliedsstaat zum Drittland. Während in London offensichtlich der Reihe nach die Sicherungen durchbrennen und die Möglichkeit, dass Theresa May ob ihres "weichen" Kurses zwischen alle Fronten gerät und somit ihre Tage als Premierministerin gezählt sein könnten, immer realer wird, sind noch zahlreiche Fragen offen. Vom riesigen Brocken Irland einmal abgesehen. Eigentlich sollte das alles bis zum Oktober unter Dach und Fach sein, aber diese Nuss wird auch für den österreichischen Ratsvorsitz nur schwer zu knacken sein.
Das große Problem: Kommt es zu einer Einigung, gibt es ja immerhin eine Übergangsfrist bis Ende 2020. Gibt es aber diese Einigung nicht, fliegt UK "einfach so" aus der EU - und am 30. März 2019 wäre zumindest das Chaos grenzenlos. Langsam merkt man auch, wie sehr private Unternehmen davon betroffen sind. Wie soll sich ein internationaler Konzern auf etwas vorbereiten, von dem er nicht weiß, wie es aussieht? Das betrifft Lizenzen, Datenaustausch, juristische Hintergründe und vieles mehr. Die Frage: Werden am 1. April 2019 Flugzeuge nach UK "normal" fliegen und Züge "normal" durch den Tunnel fahren, lässt sich derzeit so leicht nicht beantworten. Unter anderem werden Schlag Mitternacht auch alle Datenverbindungen gekappt, die für EU-Mitglieder vorgesehen sind.
Eine aktuelle Untersuchung des Internationalen Währungsfonds (IWF) sagt übrigens, dass ein "harter Brexit" das Bruttoinlandsprodukt der verbleibenden 27 um 1,5 Prozent schmälern würde; das sind rund 250 Milliarden Euro. Hauptbetroffene wären Irland, die Niederlande, Belgien und Luxemburg. Der "weiche Brexit" verursacht demnach einen Schaden von 0,8 Prozent des BIP in der EU. Die Folgen für Großbritannien selbst wurden nicht berechnet.
16. Juli, 21.30 Uhr - Auf Afrika-Reise
Derzeit nicht in Brüssel, sondern in Afrika hält sich Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments auf. Während sein Landsmann Matteo Salvini damit beschäftigt ist, Boote mit Flüchtlingen nur ja nicht nach Italien zu lassen, macht Tajani eine Reise zu den echten "Hotspots" der Migrationsmisere. Zuletzt war er in Libyen, wo er sich für die Erstellung "Schwarzer Listen" der Schlepper-Bosse aussprach und eine engere Kooperation der Polizei und der Behörden zwischen Afrika und Europa anstrebt. Am Dienstag und Mittwoch ist Tajani in Niger zu Gesprächen mit den Präsidenten der Sahel-Länder.
Dort haben die Maßnahmen der EU extrem erfolgreich gewirkt, so der Präsident. Durch finanzielle Unterstützung und begleitende Maßnahmen sei es gelungen, den Migrantenstrom um 95 Prozent zu verringern. Im Jahr 2016 durchquerten rund 300.000 Menschen das Land auf dem Weg nach Libyen und mit dem Ziel Europa. 2017 waren es nur noch 18.000, heuer rechnet man mit 10.000 Menschen. Tajani ist mit mehreren Dutzend Vertretern von Unternehmen und Internationalen Organisationen unterwegs. Beim Treffen mit Präsident Mahamadou Issoufou geht es unter anderem um die beim jüngsten Gipfel beschlossene Aufstockung des Afrika-Fonds um 500 Millionen Euro. In Niger selbst halten sich derzeit mehr als 300.000 Flüchtlinge aus Nachbarländern auf.
12. Juli, 20.30 Uhr - Next Stop Stansted
Er ist weg. Donald Trump hat Brüssel mit der Air Force One verlassen und ist nach kurzem Flug in London Stansted gelandet, wo ihn schon zahlreiche Demonstranten empfangen haben. Die Termine, die er absolviert - unter anderem mit Theresa May, die er schon in Brüssel wegen einer zu weichen Brexit-Linie abgemahnt hat - finden alle auf entlegenen Landsitzen statt, um den Andrang der Kritiker so gering wie möglich zu halten. Bevor Trump am Montag in Helsinki auf Wladmir Putin trifft, kann er sich noch im schottischen Golfclub Turnberry entspannen. Der Club gehört ihm.
Der Vollständigkeit halber noch ein Faktum, das angesichts der vielen seltsamen Gipfelgespräche fast untergegangen wäre: Der US-Präsident wird auf seiner Europa-Tournee von Gattin Melania begleitet. Im Damenprogramm besuchte sie etwa die Musik-Kapelle Königin Elisabeth in Waterloo.
12. Juli, 11.45 Uhr - Schon wieder Wirbel
Nato-Gipfel, zweiter Tag. Er hat gut begonnen: am Eingang berichten die Teilnehmer, das abendliche Dinner sei gut gelaufen, auch Donald Trump, dem inzwischen offensichtlich jeder alles zutraut, sei guter Dinge gewesen. Dass er die rasche Erhöhung aller - und nicht nur einiger - Beiträge auf die vereinbarten zwei Prozent fordert, sei sein gutes Recht; und wenn er dann gleich einmal von vier Prozent spricht, dann gehöre das zu den schon vertrauten Verhandlungsmodalitäten. Mitten hinein in den Vormittag platz dann die Meldung, der amerikanische Präsident habe mit einem Alleingang gedroht, wenn nicht alle nach seiner Pfeife tanzen. Wie er das gemeint hat und was genau - wie immer unklar. Für Aufregung reicht es allemal. Heute sind übrigens auch Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Nato-Hauptquartier zu Gast.
Detail am Rande: Die Staats- und Regierungschefs reisen mehr oder weniger ausschließlich in deutschen Luxuslimousinen an, hauptsächlich Mercedes S-Klasse und 7er-BMW. Donald Trump natürlich nicht, er verfügt über ein amerikanisches Modell, eine Variante des "Beast".
11. Juli, 18.30 Uhr - Die Erklärung ist da
Allgemeines Aufatmen - der kleine Streit zwischen Donald Trump und Angela Merkel ist nicht eskaliert (die beiden sprachen später sogar schon wieder von "guten Beziehungen") und ein großer Streit ist überhaupt ausgeblieben. Nato-Boss Jens Stoltenberg kann von einer von allen (also auch den USA) unterschriebenen Abschlusserklärung berichten, die eine Übereinkunft über die höheren Mitgliedsbeiträge und eine Reihe von Nato-Aktivitäten in der nahen Zukunft enthält. Später ist das abendliche Dinner angesetzt, wo ganz sicher Russland ein Thema ist; die Russen gelten mehr denn je als Verursacher aller Arten von Instabilität zwischen Europa und Nordamerika. Am Donnerstag geht der Gipfel weiter, man wird sich unter anderem mit der Ukraine und Georgien beschäftigen. Wer sich dafür interessiert: Hier ist die heutige Gipfelerklärung im Wortlaut.
11. Juli, 14.30 Uhr - Das Arbeitsgespräch
Inzwischen sind längst alle da, von Merkel bis Macron, von Conte bis Rutte, von Orban bis Solberg. Das "Familienfoto" ist absolviert, eine Hubschrauberparade über den Himmel gewummert. Jetzt trifft man sich im großen Besprechungssaal, gibt sich die Hände, tratscht ein wenig. Trump, der so manche Schulterklopfer hinter sich gebracht hat, sitzt zwischen Theresa May und Gastgeber Stoltenberg. Er trägt die schon bekannte rote Krawatte und hört Stoltenberg zu, wie dieser sich gleich zu Beginn zu einer Erhöhung der Beiträge bekennt.
11. Juli, 12.30 Uhr - Frühstücksplausch
Interessante Idee: Statt einer herkömmlichen Pressekonferenz setzt sich Nato-Boss Jens Stoltenberg in eine Art Studio und führt ein Gespräch mit CNN-Moderatorin und Pentagon-Korrespondentin Barbara Starr. Die erkundigt sich ganz beiläufig nach dem Frühstück mit Donald Trump. Stoltenberg: "Oh, es war großartig. Es gab Orangensaft, Toast und Fruchtsalat." Darauf Starr: "Sie haben einen Sinn für Humor!"
Aber natürlich wurde auch über die Hauptthemen des Gipfels gesprochen. Das Treffen werde demonstrieren, dass die Nato trotz aller Meinungsverschiedenheiten und Herausforderungen entscheidungsfähig und handlungsbereit sei, so Stoltenberg. Und auch er räumte ein, dass Trump nicht unrecht hat, was die Budgetforderungen betrifft. Mehrere Länder haben sich inzwischen schon bereit erklärt, die 2-Prozent-Vereinbarung einzuhalten.
Inzwischen sind weitere Staats- und Regierungschefs eingetroffen, etwa Theresa May (Großbritannien) oder Recip Erdogan (Türkei).
11. Juli, 11.05 Uhr - Stoltenbergs Optimismus
Er erwarte sich eine offene und faire Diskussion, sagt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Eingang. Er habe Donald Trump mehrfach getroffen - dieser habe eine "sehr direkte Art", aber in wichtigen Dingen herrsche Übereinkunft. Hauptthema wird das Geld sein; viele Mitgliedsstaaten sind weit von den vereinbarten zwei Prozent BIP entfernt. Aber, so Stoltenberg, es werde allgemein an einer Erhöhung der Beiträge gearbeitet.
11. Juli, 11.00 Uhr - Das Hauptquartier
Wieder ein Gipfel in Brüssel, diesmal sind es die Nato-Staaten: In der belgischen Hauptstadt hat man sich längst an Straßensperren, Militärfahrzeuge und kreisende Hubschrauber gewöhnt, ebenso an die Konvois schwarzer Limousinen, die mit Blaulichtbegleitung durch die Stadt fahren; manchmal in hohem Tempo, manchmal aber auch, wie jeder andere Bürger auch, im Stau blockiert. Allerdings schaffen es begleitende Polizeieinheiten meist in kürzester Zeit, sich einen Weg zu bahnen.
Zwar gibt es auch im EU-Viertel Absperrungen, der in diesen Minuten beginnende Nato-Gipfel findet aber im Nordosten Brüssels statt, im nigelnagelneuen Nato-Hauptquartier, das auf der gegenüberliegenden Seite des alten Gebäudes errichtet wurde. Der Glaspalast hat 1,2 Milliarden Euro gekostet und hat auf rund 254.000 Quadratmetern Nutzfläche Platz für 4000 Mitarbeiter. Generalsekretär Jens Stoltenberg und alle anderen zogen erst im Mai in den Gebäudekomplex ein. Das Hauptquartier besteht aus vier langen und vier kurzen Flügeln, die durch eine riesige überdachte Halle (Agora) verbunden sind. Sie wurden so angeordnet, dass sie aus der Vogelperspektive an ineinander verschränkte Finger erinnern. Das Architektur soll für Geschlossenheit und Kooperation stehen - über den Atlantik hinweg. Mal sehen, ob diese Symbolik zum Tragen kommt.
4. Juli, 13.00 Uhr - Randnotizen
Rund um den soeben begonnen Ratsvorsitz erhöht sich die Schlagzahl für die Österreicher spürbar, auch, was gesellschaftliche Anlässe betrifft. Vergangene Woche zum Beispiel lud die Industriellenvereinigung zu einer Podiumsdiskussion ein. Gastredner am Vorabend des EU-Gipfels war einmal mehr Sebastian Kurz, danach unterhielten sich Kommissar Johannes Hahn, Emma Marcegaglia, Präsidentin von BusinessEurope und IV-Präsident Georg Kapsch, moderiert von Florian Eder (Politico). Zahlreiche Abgeordnete und Wirtschaftstreibende folgten der Einladung.
In Straßburg wurde die österreichische Präsidentschaft gleich einmal musikalisch begrüßt. Dienstagabend lud die Ständige Vertretung Österreichs beim Europarat zu einem Konzertabend des Orchestre Philharmonique de Strasbourg (Leitung Theodor Guschlbauer, Solist Daniel Auner) in den Pavillon Joséphine Strasbourg. Danach folgte, bei sommerlichen Abendtemperaturen, ein Empfang in den Räumlichkeiten des Konsulats - unter anderem gab es dort wunderbaren selbstgemachten Apfelstrudel.
3. Juli, 14.00 Uhr - Gemischte Bilanz
Der Auftritt des neuen Ratsvorsitzenden ist beendet. Sebastian Kurz hat im Parlament das Programm des Ratsvorsitzes erläutert, die Abgeordneten - die übrigens nicht in großer Zahl da waren, Macron hat im Frühjahr weit mehr angelockt - haben in zahlreichen Wortmeldungen ihre Zustimmung und ihre Einwände vorgebracht. Alles aber ohne Aufregung und im Grunde sogar ohne große Emotionen. Nicht einmal der Streik der Übersetzer - man zählt Tag 29 - konnte die Vorstellung trüben, sie waren dienstverpflichtet worden. "Ein Europa, das schützt" ist manchen vielleicht zu wenig, sie fordern auch Themen wie soziale Sicherheit, Klimaschutz oder Rechtsstaatlichkeit als Hauptpunkte ein. Aber Kurz kann die Heimreise antreten in der Gewissheit, in Straßburg nichts falsch gemacht zu haben. Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit.
3. Juli, 9.50 Uhr - Auftritt in Straßburg
Der bisherige Ratsvorsitzende Boyko Borrissow zieht eine Bilanz des bulgarischen Ratsvorsitzes, mit einiger Verzögerung wegen einer technischen Panne mit der Tonanlage im Plenarsaal. Bald ist Sebastian Kurz an der Reihe, er soll die Hauptthemen des österreichischen Vorsitzes präsentieren und wird sich den kritischen Fragen der Abgeordneten stellen müssen.
>> Jetzt live: Sebstian Kurz hält eine Grundsatzrede vor dem Europaparlament
15.45 Uhr: Merkel zieht Bilanz
Die deutsche Kanzlerin sieht den Gipfel als Erfolg. Sie berichtet von einer Einigung mit Griechenland und Spanien über die Rücknahme noch (dort zuerst registrierten) Flüchtlingen und versteigt sich zur Feststellung, der Druck der CSU in ihrem Heimatland sei für den Gipfel so etwas wie ein Anstoß gewesen - es gibt leises Gelächter im Saal. Was die Zurückweisungen im Zuge der "Sekundärmigration" angeht, sieht sie auch Aufholbedarf bei den Grenzkontrollen, was die Ausreise von erfassten Asylwerbern angeht - das beträfe Länder wie Slowenien und Bulgarien, ist aber auch auf Österreich gemünzt. Merkel fährt jedenfalls mit einem guten Gefühl heim.
Wenig später spricht auch Ratspräsident Donald Tusk mit den Medien - allerdings mit "seinen" Leuten aus Polen, in der Landessprache.
13.55 Uhr: Und ab nach Wien
Gerade eben hat der nächste Teil des Gipfels begonnen, Themen sind Eurozone und Bankenunion; Sebastian Kurz musste sich aber schon auf den Weg zum Flughafen machen. Im Abschlussstatement wiederholt er, was er gestern schon gesagt hat: Es sei eine Trendwende in der Migrationsfrage zu erkennen, die nicht nur für Europa, sondern auch für alle übrigen Länder gilt. Kurz ist froh, dass es "mehr und mehr Länder gibt, die umdenken". Die Quotenfrage sei mehr oder weniger vom Tisch, solange es keine neuen Regeln gibt, ist Dublin das Maß der Dinge. Die Diskussion war hart - aber, so Kurz: "Es war kein Land dabei, das gesagt hat, es will mehr Flüchtlinge haben."
12.13 Uhr: Offene Brexit-Fragen
Jetzt versucht man, die hintangestellten Themen in Eile aufzuholen. Vor wenigen Augenblicken wurden die aktuellen Brexit-Schlussfolgerungen veröffentlicht; wie zu erwarten mit einer Rüge. In der wichtigen Irland-Frage ist zu wenige weitergegangen, heißt es. Der Europäische Rat wartet nach wie vor auf konkrete Vorschläge der Briten. Die hatten zuletzt auf Mittel Juli vertröstet.
Was den Rahmen für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der EU betrifft, so müssten die Verhandlungen dringend beschleunigt werden.
11.16 Uhr: Es geht weiter
Erst in den frühen Morgenstunden hatte die lange Nacht der Migrationsdebatte geendet, jetzt liegt man beim Eintreffen der Staats- und Regierungschefs hinter dem Zeitplan. Nach und nach rollen derzeit wieder die Limousinen vor, Kanzler Sebastian Kurz vor wenigen Minuten - er sollte eigentlich um 15 Uhr zur Sondersitzung des Nationalrates wieder in Wien sein, das geht sich wohl nicht aus.
Kurz gibt jedenfalls einen Überblick über die Ereignisse und betont noch einmal, dass nun die Zeit drängt - eine Idee sei nur soviel wert wie ihre Umsetzung. Er erinnert an bereits bestehende Zusammenarbeit mit Ägypten und Libyen (und erinnert daran, dass er 2015 noch für seine Libyen-Vorschläge gescholten worden war). Die Zerschlagung des Geschäftsmodells der Schlepper sei vordringlich. Die freiwilligen "Hotspots" hätten den Vorteil, dass Asylsuchende auch in diesem Fall von Anfang an registriert sind und nicht einfach weitergewunken werden.
Jetzt geht es weiter mit Brexit-Verhandlungen und dem Thema Eurozone. Man strebe eine bestmögliche Zusammenarbeiten zwischen EU und Großbritannien an, wirtschaftlich und politisch strebe man in der Eurozone eine stärkere Zusammenarbeit der Banken an, sei aber gegen weitere Verschuldung.
00.04 Uhr: Eine lange Nacht
Die Verhandlungen dauern an. Wie zu hören ist, wollte Ratspräsident Donald Tusk Druck machen und 1 Uhr als Limit für die Debatte setzen. Das dürfte nicht zu halten sein; die Diskussion hinter verschlossenen Türen scheint gut in Fahrt geraten zu sein, ein Sprecher meinte zuletzt: "Das dauert heute noch bis drei". Zentrale Figur ist dem Vernehmen nach Giuseppe Conte - der Italiener will offensichtlich mit einer Erfolgsmeldung vom Gipfel nach Hause fahren.
Zuletzt sickerte noch durch, dass eines der Streitthemen die Standorte der zukünftigen "Anlandezentren" sind; die meisten wähnen diese in Drittländern, Emmanuel Macron etwa kann sich die "sicheren Häfen" auch auf europäischem Boden vorstellen, ähnlich den Hotspots.
23.15 Uhr: Die italienische Unruhe
Die Meldung ist draußen, das "ein Land" die Gipfelerklärung blockiert. Es wird nicht genannt, jeder geht aber davon aus, dass es sich um Italien handelt. Die Italiener hatten schon im Vorfeld ein Veto in Betracht gezogen, sollte nicht alles nach ihren Wünschen laufen. In der Erklärung, so wurde bekannt, soll übrigens auch ein Bann der NGO-Schiffe enthalten sein. Nach den Irrfahrten der Aquarius und der Lifeline versucht man offensichtlich das Problem so zu lösen, dass den Schiffen das Kreuzen in diesen Gewässern untersagt wird.
Damit ist hoffentlich die Küstenwache gefordert bzw. die Frontex-Teams. Die NGO-Schiffe hatten ja auch Schiffbrüchige gerettet, mit einem sofortigen Ende der Schlepperboote ist kaum zu rechnen.
20.22 Uhr: Ein Statement des Kanzlers
In letzter Sekunde, bevor es mit dem Dinner weitergeht, nimmt sich Bundeskanzler Kurz einen Augenblick Zeit für ein Update. Er sagt, der Gipfel sei auf einem guten Weg, in vielen Staaten habe sich ein Richtungswechsel ergeben und bei den großen Punkten - Außengrenzen, Frontex, Zentren in Drittstaaten - seien Fortschritte sichtbar. Er habe auch ein intensives Gespräch mit Emmanuel Macron gehabt, man sei sich nicht in allen Punkten einig, aber doch in vielen.
Angela Merkel habe ebenfalls einen Wandel hinter sich, die bilateralen Abkommen mit mehreren Ländern seien ein Zeichen dafür. Es gehe darum, die Dublin-Regeln einzuhalten. Kurz blieb dabei: Wenn Deutschland beginne, Flüchtlinge zurückzuschieben, für die nicht Österreich das Erstland gewesen sei (das gilt also praktisch für alle) werde Österreich die Grenzen schließen - nicht nur gegenüber Deutschland, sondern in Richtung aller Nachbarn.
Es spiele im Übrigen nicht eine große Rolle, ob sich der Gipfel nun auf alle vorgesehenen Schlussfolgerungen einigen könne. Wichtig sei, dass die eingeschlagene Richtung stimme.
19.18 Uhr: Italien auf Gegenkurs
Die Frage ist, wie hart Italien bei den Verhandlungen ist. Eingangs hatte Giuseppe Conte schon erklärt, den ganzen Gipfel blockieren zu wollen, wenn nicht auf die Wünsche des Mittelmeerlandes eingegangen werde. Conte geht es wie Merkel: Er muss mit einem konkreten Ergebnis nach Hause fahren.
17.07 Uhr: Vorschlag aus Frankreich
Das Treffen findet hinter verschlossenen Türen statt, vor kurzem trat Parlamentspräsident Antonio Tajani vor die Presse - ihm kommt im Ratsgebäude eine Gastrolle zu. Inzwischen wurde über die Nachrichtenagenturen ein interessanter Vorschlag verbreitet. Demnach kommt Frankreich Deutschland bei Flüchtlingen nach Angaben aus Pariser Regierungskreisen entgegen. Das Land würde Deutschland eine Abmachung über die Rücknahme von bestimmten Migranten anbieten, wenn es gefragt würde, sagte eine mit der Sache vertraute Person am Donnerstag zu Reuters. Auch Ungarn stelle solch ein Abkommen in Aussicht, sagte ein Sprecher der Budapester Regierung. Dabei geht es um Asylwerber, die zuerst in einem anderen EU-Land registriert wurden, dann aber weiter zogen.
15.34 Uhr: Ein Trikot für May
Unweigerlich eines der Themen am Gipfel - abseits der Politik: das abendliche Fußballspiel Belgien gegen England. Der belgische Premier Louis Michel übergab ein Teamtrikot an Theresa May. Und einen Red Devils-Schal an Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
14.50 Uhr: Veto-Androhung
Der italienische Premier Giuseppe Conte hat mit einem Veto seines Landes beim EU-Gipfeltreffen in Brüssel am Donnerstag und Freitag gedroht, sollte Italien von EU-Ländern keine Unterstützung im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik erhalten.
"Wir legen bei diesem EU-Gipfel auf vernünftige Vorschläge im Einklang mit den europäischen Prinzipien vor. In diesen Jahren hat Italien nur Worten der Solidarität erhalten. Schluss jetzt. Die EU-Staaten haben jetzt die Möglichkeit, Solidarität mit Tatsachen zu beweisen", so Conte per Twitter.
14:45 Uhr: Bettel-Rüffel für Bayern
Der luxemburgische Premier Xavier Bettel zeigte sich einerseits zwar "voller Hoffnung", doch "wie es aussieht, werden wir eher Schwierigkeiten haben, Vereinbarungen" im Migrationsbereich zu finden. Die einen würden finden, dass etwas nicht weit genug gehe, für die anderen gehe es wiederum zu weit. Eine Lösung "wird heute schwierig sein".
Jedenfalls hoffe er auf eine konstruktive Diskussion. "Es kann nicht sein, dass eine bayerische Partei entscheidet, wie Europa funktioniert", ätzte Bettel gegen die CSU. Er sei aber "überzeugt, dass auch (Innenminister Horst) Seehofer das verstehen wird und man enger zusammenkommt und konkretere Lösungen in den nächsten Wochen findet".
14.35 Uhr: Macron will europäische Lösung
Der französische Präsident Francois Macron hält im Migrationsbereich an europäischen Lösungen fest. Vor Beginn des EU-Gipfels Donnerstag in Brüssel sagte Macron: "Wollen wir nationale Lösungen oder glauben wir an europäische Lösungen? Ich verteidige europäische". Es gehe um eine Kooperation in der EU mit Schengen.
Natürlich brauche es Modernisierungen. Dabei gehe es auch um den Außengrenzschutz. Dies alles müsse aber auf den Prinzipien der Solidarität basieren, so Macron.
13.08 Uhr: Kurz optimistischer als Merkel
Optimistisch hat sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vor dem EU-Gipfel in Brüssel gezeigt. "Ich glaube, dass es heute möglich ist, eine Trendwende in der Flüchtlings- und Migrationspolitik einzuleiten", sagte Kurz am Donnerstag vor dem Treffen der Europäischen Volkspartei (EVP) in Brüssel.
12.54 Uhr: Paradigmenwechsel in Migrationspolitik
Die EU dürfte beim Gipfel der 28 Staats- und Regierungschefs ein klares Signal an potenzielle Flüchtlinge aussenden, nicht nach Europa zu kommen. Einigkeit besteht vor dem EU-Gipfel darin, die EU-Außengrenzen stärker zu schützen und Auffanglager für Flüchtlinge in Drittstaaten in Nordafrika zu errichten. Von einer Quote zur Flüchtlingsverteilung in Europa scheint indes keine Rede mehr zu sein.
12.33 Uhr: "Demokratie statt Migration"
Für Ungarns Premier Viktor Orban geht es beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel nicht in erster Linie um die Migrationsfrage. "Das Hauptthema ist nicht die Migration. Das Hauptthema ist die Demokratie in Europa", sagte Orban beim Treffen der Europäischen Volkspartei am Donnerstag in Brüssel.
Es gehe auch darum, "ob die EVP dazu beitragen kann, die Demokratie in Europa wiederherzustellen, was die Leute glauben, was gemacht werden sollte", sagte Orban.
28. Juni, 10.30 Uhr - Merkel: "Schicksalsfrage" Migration
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Defizite im deutschen und europäischen Asylrecht eingeräumt. Deutschland und die Europäische Union seien beim Thema Migration "noch nicht da, wo wir sein wollten", sagte Merkel in einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am Donnerstag in Berlin. Das Thema Migration könne "zur Schicksalsfrage für die Europäische Union werden".
Beim anstehenden EU-Gipfel werde ein gemeinsames Asylabkommen noch nicht beschlossen werden können. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge sei zwar geringer geworden, aber noch nicht zufriedenstellend.
27. Juni, 16.30 Uhr - Noch keine Dublin-Reform
Das Dublin-System, einst in „besseren Zeiten“ entwickelt, wurde von der Flüchtlingswelle ausgehebelt. Hauptsächlich wird darin geregelt, dass jenes Land für Asylwerber verantwortlich ist, in dem sie erstmals erfasst werden – eine klare Benachteiligung der Mittelmeerländer. Vor allem Italien und Malta, aber auch Griechenland wollen das nicht länger mittragen. Die von fast allen geforderte Reform, ein „Dublin-IV“, wird aber noch einige Zeit dauern, dürfte eine der Schlussfolgerungen des Gipfels sein – zu viele Fragen müssen noch geklärt werden.
Auf alle Fälle will man an den Zahlungen für die Türkei festhalten, auch der Treuhandfonds für Afrika, um dort die (wirtschaftliche) Stabilität zu verbessern, dürfte eine Einigung schaffen. Was die Türkei betrifft, so haben inzwischen alle Länder, auch Österreich, die Mittel für die nächsten drei Milliarden Euro zugesagt – bis auf Italien. Die Verhandlungen dauern an. A propos Geld: EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger hat schon zugesagt, Mittel im neuen mehrjährigen Finanzrahmen umzuschichten; der Gipfel wird für die „Notwendigkeit flexibler Instrumente“ eintreten. Und: Wie es in dem Entwurf heißt, soll die effektive Rückführung illegaler Migranten deutlich stärker als bisher betrieben werden, auch in Zusammenarbeit mit der Grenzschutzagentur Frontex. Gleichzeitig werden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Sekundärmigration (also die Flüchtlingsbewegungen innerhalb der Mitgliedsländer) unter Kontrolle zu bringen.
Mehr demnächst.
26. Juni, 22.30 Uhr - Erste Details
Donnerstag und Freitag blickt Europa wieder nach Brüssel: die 28 Staats- und Regierungschefs treffen sich zum Sommergipfel, der wie kaum ein anderer zuvor von der Flüchtlingskrise überschattet ist. Wird es zu konkreten Beschlüssen oder gar einer Lösung der Streitfragen kommen? Eher nicht, wohl aber zu grundsätzlicher Verständigung über die weitere Marschrichtung. Ein Entwurf der Gipfelerklärung ist bereits durchgesickert, er liegt der Kleinen Zeitung vor. Dort wird zunächst festgestellt, dass sich die Zahl der illegalen Grenzübertritte, sofern sie registriert wurden, seit dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle im Oktober 2015 um rund 95 Prozent verringert habe; dennoch wollen die Länder nicht noch einmal in diese Lage geraten und zeigen sich entschlossen, den Kampf gegen die Schleuser zu intensivieren. Und so wird es weitere Unterstützung für Libyen, aber auch Marokko geben.
Der gefährliche Weg über das Mittelmeer soll unter anderem durch die Einrichtung von „Ausschiffungsplattformen“ seines Sinnes beraubt werden – also Auffanglager, die in Zusammenarbeit mit dem UNHCR und der IOM (internationale Migrationsorganisation) errichtet werden könnten. Ein Plan, der auch auf eine Initiative Österreichs zurückgeht. Diese Zentren sollen außerhalb der EU liegen. Immer wieder genannt werden (siehe oben) Marokko, Libyen und Albanien. Wie sich so etwas rechtlich untermauern lässt, ist derzeit noch unklar. Die Kommission jedenfalls stellte schon mal klar, dass ein "externes Recht auf Asyl" nicht existiert - was natürlich nicht heißt, dass sich das nicht ändern ließe. Und: gemeinsam will man gegen die Sekundärmigration vorgehen, also gegen die Zuwandererströme innerhalb der EU.
Mehr über die Pläne demnächst.
26. Juni, 11.00 Uhr - Was macht Merkel?
Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Das Sondertreffen am Sonntag ist, wie zu erwarten war, ohne konkretes Ergebnis vorübergegangen, immerhin lebt aber die Hoffnung, dass die Positionen, wie es zumindest offiziell hieß, "nicht so weit auseinander liegen". Auch wenn viele konkrete Themen jetzt zur Sprache kommen (etwa die Auffanglager in Drittländern) ist doch auch vom "richtigen" Europäischen Rat, der diesen Donnerstag und Freitag stattfindet, kaum mehr als eine Marschrichtung zu erwarten. Mit ersten konkreten Beschlüssen wird derzeit eher für den ersten Gipfel nach der Sommerpause gerechnet - er findet am 20. September in Salzburg statt.
Bis dahin kann viel geschehen - und eine zentrale Figur dabei ist Angela Merkel. Deutschland hat außenpolitisch einen schweren Stand; die Dissonanzen mit den USA, der Wegfall der Briten, die schwierige Debatte mit Italien, die unklare Positionierung Frankreichs - das sind schon sehr viele "Bälle", mit denen Merkel jonglieren muss. Dazu kommt aber auch der innerdeutsche Koalitionsstreit mit der CSU und dem "Ultimatum", das Innenminister Horst Seehofer gestellt hat. Es geht um die mögliche Zurückweisung von Flüchtlingen, die schon in anderen Ländern registriert wurden und würde somit auch Österreich betreffen. Die Frist endet am 1. Juli, am Tag nach dem Gipfel.
Geht die Ära Merkel, einst als "mächtigste Frau der Welt" bezeichnet, dem Ende entgegen? Ihrem Markenzeichen, der Raute, blieb sie jedenfalls auch am Sonntag beim Treffen in Brüssel treu. Das Gruppenbild mit Dame:
24. Juni, 16.30 Uhr - Beobachtungen vom Mini-Gipfel
Die Treffen der Staats- und Regierungschefs finden üblicherweise auf Einladung von Ratspräsident Donald Tusk und entsprechend im Ratsgebäude statt. Der Mini-Gipfel kam auf Initiative von Kommissionschef Jean-Claude Juncker zustande, der damit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel behilflich war - dem entsprechend ist die Zusammenkunft im Kommissionsgebäude.
Dazu ein paar Auffälligkeiten. Weil es deshalb schon Missstimmungen zwischen Rat und Kommission gegeben hat, verzichtete Hausherr Juncker auf Begrüßungsworte. Weil im Vorfeld schon so etwas wie ein Positionspapier aufgetaucht war und den Italienern deshalb die Zornesröte ins Gesicht stieg, wird es auch im Gegensatz zur üblichen Praxis keine Abschlusspressekonferenz und keine Schlusserklärung geben. Und weil das Kommissionsgebäude für solche hochkarätigen Aufmärsche nur bedingt gerüstet ist, gab es für die Statements der Regierer zu Beginn des Treffens auch keinerlei Übersetzung.
Der bulgarische Ratsvorsitzende und Premier Boyko Borissow sprach bulgarisch, Däne Lars Lökke Rasmussen dänisch, Slowene Miro Cerar slowenisch und so weiter. Die Ratlosigkeit stand vielen der anwesenden Journalisten ins Gesicht geschrieben. Sebastian Kurz wiederum wollte auf die Wünsche der Kameraleute eingehen und stellte sich statt hinter das Mikrofon vor selbiges - womit er auch kaum noch zu verstehen war.
22. Juni, 17.00 Uhr - Brief an Donald Tusk
Der Mini-Gipfel am Sonntag (der gar nicht so mini ist, 16 Staaten nehmen teil) und der richtige am Ende kommender Woche beschäftigen sich vor allem mit der Asylfrage. Fast scheint es, als würde durch ganz Europa eine Welle der Verhärtung gehen - der Ruf nach Abschottung und härterem Durchgreifen wird lauter.
Aber natürlich gibt es auch andere Meinungen, und es überrascht nicht, dass sie aus den Reihen der Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen kommen. Diese Fraktionen haben sich zusammengetan und einen Brief an Ratspräsident Donald Tusk geschrieben. Darin fordern die EU-Parlamentarier, dass die Staats- und Regierungschefs sich mit der Reform des Dublin Systems beschäftigen und dem Beschluss des EU-Parlaments folgen müssen. Ska Keller, Vorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion drückt das so aus: "Es ist fatal, wenn der Mini-Gipfel mit einem Abschottungsdeal nach dem Gusto von Seehofer und Orban endet. Dann drohen in Europa ungarische Zustände mit Transitzonen, inhaftierten Flüchtlingskindern und abgedichteten Grenzen."
Der Gipfel könnte eine Chance sein, die europäische Flüchtlingspolitik auf eine solide solidarische Grundlage zu stellen: "Um die Krise im Mittelmeer zu beenden, brauchen wir verbindliche Flüchtlingskontingente, humanitäre Visa und eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union. Eine Abschiebung der Schutzverantwortung für Flüchtlinge auf Länder wie Libyen, in denen Menschen gefoltert, versklavt und misshandelt werden, ist zutiefst unmenschlich."
Bilaterale Abschiebeabkommen mit anderen EU-Mitgliedstaaten würden die Fehler des Dublin-Systems verschärfen und das endgültige Aus für die Reisefreiheit in Europa bedeuten. Gezeichnet ist der Brief von Keller und ihrem Fraktionskollegen Philippe Lamberts, ALDE-Fraktionschef Guy Verhofstadt und S&D-Chef Udo Bullmann. Das Schreiben im Wortlaut.
21. Juni, 18.00 Uhr - Die offene Irland-Frage
Auf die österreichische Ratspräsidentschaft kommt ja allerhand zu; darunter auch das (mögliche) Finale der Brexit-Verhandlungen. Bei den Verhandlungen ist zwar schon viel erledigt, aber gerade die besonders schwierigen Fragen sind immer noch offen und könnten alles im letzten Moment zu Fall bringen. Etwa das Grenzproblem in Irland, wo man noch weit entfernt von einer Einigung ist. Premierministerin Theresa May will konkrete Pläne Mitte Juli vorlegen, damit ist das Thema beim Gipfel in der kommenden Woche hintangestellt.
Was aber kein Grund für Brüsseler Führungskräfte ist, sich um die grüne Insel zu kümmern - ganz im Gegenteil. So ist Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg derzeit auf Besuch im Vereinten Königreich, wo er nach Treffen mit Außenminister Boris Johnson und Verteidigungsminister Gavin Williamson auch einen Termin bei Premierministerin Theresa May hat und wo es vermutlich auch um Irland geht.
Heute und morgen sind Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Agrarkommissar Phil Hogan und Brexit-Chefverhandler Michel Barnier in Dublin. Am Áras an Uachtaráin, dem offiziellen Amtssitz des Präsidenten, treffen sie morgen den Präsidenten Michael D. Higgins. Heute gab es schon Gespräche mit Premierminister Leo Varadkar. Ganz nebenbei wird Juncker übrigens zum Ehrendoktor der Universität Irland ernannt.
Beim Galadinner stoßen sie vielleicht auch auf ein Jubiläum an. Genau heute vor 20 Jahren, am 21. Juni 1998, fand das erste Eurogruppen-Treffen in Luxemburg statt. Heute, nach vielen Turbulenzen, gibt es 19 Eurozonen mit einer Gesamtbevölkerung von 340 Millionen Menschen.
15. Juni, 21.00 Uhr - Eine Einigung
Nur wenig Beachtung fand eine Übereinkunft zur Asylfrage, zu der es am Donnerstag kam - und die doch eine wichtige Vorgabe für die zukünftige Asylpolitik Europas sein könnte, die den Staatenbund jetzt so sehr an seine Grenzen bringt. Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) meldete eine grundsätzliche Einigung zwischen dem Europaparlament und dem Rat über die zukünftigen Aufnahmebedingungen für Asylwerber. Zu den Kernpunkten gehört:
- Asylwerber sollen bereits sechs Monate nach Antragstellung (bisher 9 Monate) eine Arbeitserlaubnis bekommen
- Minderjährige sollen keinesfalls in einem Gefängnis untergebracht werden, Kinder nur dann, wenn es im Zuge einer Familienzusammenführung sinnvoll erscheint oder sie zu schützen sind
- Anerkannte Flüchtlinge sollen in einem neuen Verfahren in allen Mitgliedsländern die gleichen Rechte und den gleichen Schutz erhalten
- Die Aufenthaltserlaubnis wird neu aufgestellt - anerkannte Flüchtlinge sollen sie für mindestens drei Jahre bekommen, jene, die unter subsidiärem Schutz stehen, für ein Jahr mit der Möglichkeit auf Verlängerung
Das alles hat noch keine Gültigkeit, ist aber eine Vorlage zur dringend erforderlichen Reform der Dublin-Regeln. Eine grundsätzliche Positionierung der Mitgliedsstaaten wird beim nächsten EU-Gipfel in Brüssel erwartet.
Ganz am Rande noch etwas ganz anderes: Das Europäische Parlament ist ein Besuchermagnet ersten Ranges, zahlreiche Menschen kommen jeden Tag, um sich alles anzuschauen. Und so gibt es immer wieder auch Veranstaltungen. Zuletzt eine Modeschau:
13. Juni, 12.00 Uhr - Gastredner im Parlament
Macron war da, Costa (Portugal) oder Michel (Belgien), zuletzt Bettel (Luxemburg) und heute Mark Rutte: Der niederländische Ministerpräsident (Liberale) ist der siebente Gast im Europaparlament in Straßburg, der über die Zukunft Europas referiert und sich der Diskussion mit den Abgeordneten stellt. Rutte gilt als einer der Hoffnungsträger der Union, er wird unter anderem als möglicher Nachfolger von Ratspräsident Donald Tusk gehandelt und er befindet sich in nicht wenigen Punkten auf der selben Linie wie der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Rutte forderte zu mehr Einigkeit auf und zur Zurücknahme. Goethe zitierend ("In der Beschränkung zeigt sich der Meister") sprach er von "weniger ist mehr" und meinte damit, die EU solle sich auf die wichtigen Aufgaben konzentrieren, sie sei aber unbestritten das beste Beispiel in zwischenstaatlicher Zusammenarbeit. Besonders, wenn rundherum alles aus den Fugen gerät und man sich nicht einmal mehr auf die wichtigsten Bündnispartner verlassen könne.
Und dann schwelgt der Premierminister ein wenig in Jugenderinnerungen und denkt an die Filme mit John Wayne; die Western, in denen die Siedler in eine unbekannte Zukunft aufbrachen und dann an den Lagerplätzen die Wagenburgen einrichteten. Sie hätten sich, um den weiten gefährlichen Weg unbeschadet hinter sich bringen zu können, auch auf Regeln einigen müssen - alles so, wie in der EU.
Rutte ließ kaum ein Thema aus; die Wichtigkeit der Rechtsstaatlichkeit, Aufrechterhaltung der USA-Kontakte (trotz allem), er ging hart ins Gericht mit Russland - insbesondere wegen des Abschusses der Passagiermaschine MH-17 - und hielt auch in Bezug auf den neuen mehrjährigen Finanzrahmen die niederländische Position fest, wonach das Budget nach dem Brexit ein kleineres sein solle. Die wirtschaftlich besser gestellten Staaten sollten nicht unverhältnismäßig mehr zahlen müssen.
Natürlich musste auch Rutte Kritik einstecken; nicht zuletzt wegen der niederländischen Briefkastenfirmen, die nach wie vor in Zusammenhang mit Steuerflucht und Geldwäsche ein ungelöstes Problem darstellen. Daran werde gearbeitet, so Rutte.
Überschattet wurde auch diese Debatte von den Streikdrohungen der Dolmetscher. Sie waren per Anweisung zur Arbeit angehalten worden und gaben als Reaktion bekannt, die Arbeit um Punkt 14 Uhr einzustellen.
12. Juni, 15.00 Uhr - Streik mal zwei
Dichtes Programm in Straßburg. Von Migration und Asylpolitik über Iran, Trump und die Folgen bis zum CO2-Ausstoß von Lkw. Organisatorisch steht die Plenarwoche unter einer besonderen Herausforderung: die Dolmetscher wollen streiken. Zumindest stundenweise, was das dichte Programm unter Druck bringt. Grund für die Kampfmaßnahme ist die Entscheidung, die tägliche Arbeitszeit von sieben auf acht Stunden zu erhöhen - zuviel, das Übersetzen sei eine extrem Kräfte raubende Tätigkeit, meinen die Übersetzer. Es geht auch um mehr: immer mehr Sprachen, trotzdem weniger Dolmetscher; Arbeit bis in die Nacht bei langen Sitzungen, Nachteile für freie Mitarbeiter usw. Kritiker verweisen darauf, dass es im Jahrlauf auch viele sitzungsfreie Tage gäbe, an denen sich dann auch das Übersetzertum in Grenzen halte. Wie auch immer, das Parlament versucht, die Folgen zu mildern - indem es zusätzliche freie Dolmetscher zum Einsatz bringt.
Dabei hatte die Woche eh schon mit einem (technischen) Streik begonnen. Einer der beiden gecharterten Hochgeschwindigkeitszüge, der Hunderte Menschen und tonnenweise Unterlagen von Brüssel nach Straßburg bringen sollte, blieb auf offener Strecke liegen, irgendwo im französischen Niemandsland. Stundenlang ging nichts weiter, die Abgeordneten, Beamten und EU-Mitarbeiter mussten sich auf den umliegenden Wiesen die Beine vertreten. Schuld war eine Stromstörung; schließlich kam eine gute, alte Diesellok und schleppte Zug, Zeug und Passagiere ab.
11. Juni, 17.00 Uhr - Bahnfahren - und dann?
Nach und nach füllt sich das Europaparlament in Straßburg wieder, so knapp vor der Sommerpause wird der Sitzungskalender dichter und es gibt viel zu tun; die Vorbereitung für den nächsten Gipfel Ende Juni, Wege aus der Schockstarre, die Donald Trump in immer kürzeren Abständen auslöst, die neue Sitzverteilung im Parlament nach dem Brexit (es werden 46 Plätze weniger, durch den neuen Verteilungsschlüssel wird Österreich ein zusätzliches Mandat erhalten) usw. Aber im nagelneuen Pressezentrum ist es am ersten Tag noch ruhig, der Wirbel geht am Dienstag richtig los:
Am Dienstag - da startet auch die Bewerbungfrist für 15.000 Gratis-Interrailtickets. Wir haben es an dieser Stelle schon berichtet: Wer am 1. Juli 18 ist, kann sich über die DiscoverEU-Website anmelden und gratis Europa bereisen, im Herbst sollen noch einmal 5000 junge Menschen das Angebot nutzen können. Dieses Projekt geht auf eine Initiative des Parlaments zurück und hier war es besonders die Volkspartei, die sich dafür stark gemacht hat. Folgerichtig gibt es dazu auch kritische Stimmen aus anderen Fraktionen. Die Neos-Abgeordnete Angelika Mlinar hatte schon vor Wochen die Sinnhaftigkeit der Aktion bezweifelt, nun legt Evelyn Regner, Delegationsleiterin der SPÖ im EU-Parlament, nach: "Die Interrail-Initiative verfolgt natürlich einen schönen Ansatz, aber es darf nicht sein, dass dafür Jugendliche alleine gelassen werden, die sich keinen Urlaub leisten können. Es geht auch um das Leben nach der Party. Die noch immer dramatisch hohe Jugendarbeitslosigkeit gehört zu den größten sozialen Problemen der Gegenwart. Ich wünsche mir, dass wir vor allem Programme wie die Jugendbeschäftigungsinitiative besser finanzieren, um den sieben Millionen arbeitslosen Jugendlichen eine nachhaltige Perspektive in der EU zu bieten."
Der Plan ist übrigens, die Beschränkung aufzuheben und die Gratis-Reise in den kommenden Jahren für alle 18-jährigen Europäer möglich zu machen.
8. Juni, 14.30 Uhr - Ausflug in die Zukunft
Die Tagung der Europäischen Volkspartei in München, bei der neben Angela Merkel auch der Österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Gast war - alle wollten von ihm wissen, wie man Wahlen gewinnt - dient unter anderem dem Gedankenaustausch und der Orientierung. Was sind die Themen, die die Menschen bewegen? Und natürlich: Was sind die Themen, mit denen die Volkspartei in den europäischen Ländern in die EU-Wahl gehen soll? Relativ bald ist klar: Um Asylpolitik, Grenzschutz, Migration kommt man nicht herum. Und zwar derart, dass dieser Bereich alle anderen zu überdecken scheint. EVP-Fraktionschef Manfred Weber, ein Bayer, nutzt das Heimspiel aber, um auf etwas ganz anderes aufmerksam zu machen. Er lädt uns zu einem Ausflug ins nahe Freising ein.
Dort forscht die Technische Universität an Proteinen mit dem Ziel, in naher Zukunft einen Weg zur Krebsbehandlung zu finden. Weber möchte, dass die EU in Zukunft die Mittel bündelt und die Krebsforschung noch vernetzter und fokussierter abläuft. Im anschließenden Hintergrundgespräch geht es aber - erraten - vor allem wieder um Grenzschutz, europäische Asylbehörde, Auffangzentren und einheitliche Verfahrensabläufe in der EU. Kurz hatte tags zuvor verlangt, dass die Erhöhung der Frontex-Leute auf 10.000 Mann nicht erst bis 2027 stattfinden soll, sondern jetzt gleich. Dafür bekam er viel Zustimmung. Schwierigkeit dabei: eine langfristige Aufstockung könnte in den Budgets mit etwas Engagement und gutem Willen vielleicht noch untergebracht werden, eine sofortiger Personalzuwachs verursacht auch sofort Kosten, und die müsste man außertourlich verhandeln - eine schwere Hürde, zumal der mehrjährige Finanzrahmen ja erst in der ersten heißen Diskussionsphase ist.
Das Hintergrundgespräch fand in einer typisch bayrischen Gastwirtschaft statt, natürlich bei Brezn und Brotzeit. Der Wirt im "Wirtshaus Weißbräu Huber" in Freising scheint (wie übrigens viele Bayern, speziell die Münchner) ein Steiermark-Fan zu sein - Bilder an der Wand (samt Erzherzog Johann) beweisen es:
7. Juni, 12.00 Uhr - München calling
Eben noch in Brüssel, jetzt schon wieder bei der jährlichen Tagung der Europäischen Volkspartei in München. Bundeskanzler Sebastian Kurz ist da, wir auch. Mit Hindernissen, ein Gewitter legte den Flughafen lahm, aus dem späten Abendflug wurde ein früher Morgenflug; der Kanzler hatte mehr Glück, er kam zwar zu spät, aber doch noch am Mittwoch an. Für die Rede von Angela Merkel, mit der sie für Aufsehen sorgte, ging es sich nicht aus.
Kurz ist die "Next Generation", er soll den Parteimitgliedern zeigen, wie es europaweit in die Zukunft geht. Forschung und Innovation ist eines der Hauptthemen, da ziehen China und die USA langsam davon. Sieht man auch bei der Tonanlage, die im schicken Sofitel aufgebaut ist: Unmittelbar vor dem Auftritt des Bundeskanzlers und des EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber wird hektisch versucht, die Mikrofone in Gang zu bringen, es pfeift und quietscht, dann gibt es doch grünes Licht. Und es kommt, wie es kommen muss, mitten in der Pressekonferenz gibt die Anlage den Geist auf. Kurz überspielt das gekonnt, die Fragerunde ist dann eher kurz. No big deal, würden die Amerikaner sagen, aber zumindest eine Erwähnung wert.
6. Juni, 14.00 Uhr - Die Besucher
Avenue Corthenberg 30. Die Ständige Vertretung Österreichs bei der EU ist die größte, die unser Land betreibt. Rund 200 Menschen arbeiten hier und vertreten die Interessen des Landes. Bei aller Professionalität: Ein Regierungsbesuch wie der heutige stellt das Team von Botschafter Nikolaus Marschik, der ein Weggefährte von Bundeskanzler Sebastian Kurz ist (er war Kabinettschef dreier Außenminister: Plassnik, Spindelegger und Kurz) - es wurde von Kanzler und Vizekanzler ausdrücklich gelobt - vor besondere Herausforderungen. Flieger mit Verspätung, Menschenandrang, Verzögerung bei den Programmpunkten, Transport und Sicherheit der wichtigen Gäste: all das wird trotzdem hoch konzentriert und ohne Zwischenfälle abgewickelt. Dass die gesamte Bundesregierung anwesend ist, gehört nicht gerade zum Alltag.
Ein Detail zum Ablauf: Für den Transport der Gäste zwischen Vertretung und Kommissionsgebäude ist eine ganze Armada von Kleinbussen mit Polizeibegleitung bereitgestellt, die, wie in Belgien üblich, eine Fahrspur vor dem Gebäude blockiert. Gefahren werden muss aus Sicherheitsgründen, allein die Fahrt ist kurz: das Berlaymont ist nur einen Steinwurf entfernt, quasi auf der anderen Seite des Schuman-Kreisverkehrs. Keine fünf Minuten zu Fuß.
5. Juni, 12.00 Uhr - Nur Bares ist Wahres
Irgendwie scheinen die Belgier ein Problem mit Bargeld zu haben, vor allem mit den größeren Scheinen. In sehr vielen Geschäften wird zum Beispiel prinzipiell kein 100-Euro-Schein (geschweige denn 200er oder 500er, Gott behüte!) angenommen. Warum auch immer - Geldfälscher nehmen sowieso lieber 50er und 20er, die sind leichter unter die Leut´ zu bringen. Und es herrscht ein grober Mangel an frei zugänglichen Bankomaten. In den Einkaufszentren und sogar in den weiten Hallen der europäischen Institutionen findet man sie durchaus, aber wer draußen, in freier Wildbahn, auf der Suche nach Bargeld ist, hats nicht leicht.
In Österreich hat man den Eindruck, es befindet sich an jeder zweiten Straßenecke ein grün-blaues Zeichen (okay: grad dann nicht, wenn man es wirklich dringend brauchen würde. Aber sonst schon). In Belgien sind die Cash-Spender rar und vor allem aus der Ferne nicht erkennbar. Am verlässlichsten sind noch die Außenbereiche der großen Carrefour-Supermärkte, da ist fast immer irgendwo eine kleine Bankfiliale dabei und die Wahrscheinlichkeit groß, dass dort auch ein Automat zu finden ist. Außer der eine, der in der Nähe ist. Seit April wird dort umgebaut (da es sich um Belgien handelt, ist mit einer Umbauzeit von nicht unter mehreren Jahren zu rechnen) und der Geldautomat ist nicht mehr da, wo er immer war. Stattdessen ein Schild. Der nächste Geldspender ist demnach eh gleich ums Eck, 3,2 Kilometer sagt Google. Und dann muss man ihn bloß noch finden.
4. Juni, 10.00 Uhr - Ein "junges" Wochenende
Für Imageförderung und ein positives EU-Bild gibt die Union viel Geld aus. Am jährlichen "Europatag" im Mai etwa wird in Brüssel und in den Mitgliedsländern ein wahres Feuerwerk an Veranstaltungen gezündet. Gut, sagen die einen, naja, meinen die anderen - dass es die EU an sich gibt sollte inzwischen hinlänglich bekannt sein. Viel wichtiger sei es, auf die konkreten Leistungen der Institutionen und ihre Auswirkungen auf die Bevölkerung aufmerksam zu machen. Am Wochenende wurde eine dieser Gelegenheiten wahrgenommen: zum "European Youth Event" kamen rund 8000 Jugendliche ins Europaparlament nach Straßburg.
Das Europäische Jugendevent fand heuer bereits zum dritten Mal statt, dieses Jahr unter dem Motto "The plan is to fan this spark into a flame" ("Der Plan ist, diesen Funken zu einer Flamme zu entfachen"). Fünf Themenfelder definierten den inhaltlichen Rahmen der Veranstaltung: Digitale Revolution, Verteilungsgerechtigkeit, Gestärktes Europa, Sicherheit und Klimaschutz. Bearbeitet wurden die Schwerpunkte in Panels, "Ideentests", Ideenlaboren, Debatten und künstlerischen Darbietungen. Extreme Betroffenheit löste dabei etwa eine Podiumsveranstaltung mit ehemaligen Sacharow-Preisträgern aus. Denis Mukwege (2014) sprach über systematische Vergewaltigungen im Kongo. Die Preisträgerin des Jahres 2016, die Yezidi-Aktivistin Lamya Aji Bashar, berichtete von ihrer Versklavung durch den Islamischen Staat. Sie forderten die Jugendlichen auf, für die Verteidigung der Menschenrechte einzutreten.
"Es liegt an euch, die Zukunft zu entscheiden", hatte sich auch der Präsident des EU-Parlaments, Antonio Tajani, in seiner Eröffnungsrede an die Jugendlichen gewendet. Prominente Gäste des Jugendevents waren neben den Preisträgerin der Ingenieur und Astronaut Paolo Nespoli oder Frankreichs Ex-Präsident Valery Giscard d'Estaing, der als einer der Gründungsväter Europas gilt. Aus Österreich ist die Nachhaltigkeits-Bloggerin Madeleine Alizadeh ("DariaDaria") nach Straßburg gereist.
Die Jugend für die europäische Idee begeistern - gerade in Zeiten, in denen das Projekt brüchig wird und vor enormen Belastungsproben steht, ist das weit wichtiger als jede Werbekampagne. Und sei sie auch noch so teuer.
2. Juni, 23.00 Uhr - Eine Lenkungsmaßnahme
Ein Meldung vom Freitag hat viel Aufregung verursacht. Die EU-Kommission will im nächsten mehrjährigen Finanzahmen verankern, dass aus den Strukturfonds Geld an die Länder für aufgenommene Flüchtlinge fließt. Deutschland, das bekanntermaßen sehr viele Asylsuchende aufgenommen hat, würde demnach 4,5 Milliarden Euro bekommen, 2800 Euro pro Flüchtling. Allerdings hat Deutschland vor allem in den östlichen Bundesländern eine gute wirtschaftliche Entwicklung, was gleichzeitig zu einem Rückgang der Kohäsionsmittel um 21 Prozent führt. Österreich würde aus so einem "Flüchtlingstopf" nicht profitieren, da die Auszahlung gedeckelt ist; die Alpenrepublik steht wirtschaftlich recht gut da und liegt bei über 120 Prozent des EU-BIP. Als Folge davon können die Kohäsionshilfen nicht aufgestockt werden, sie würden bei 1,3 Milliarden Euro bleiben.
Viele, besonders auf den Leser-Kommentarseiten der Boulevardmedien, sind verärgert: Deutschland habe es sich wieder einmal gerichtet und mache aus den Flüchtlingen ein Geschäft, Österreich sei in dem Spiel der Dumme. Nun, abgesehen davon, dass in Österreich zwischen 2013 und 2016 eine Netto-Zuwanderung von etwas mehr als 150.000 Menschen stattgefunden hat und in Deutschland ein Vielfaches davon, ist es ein erklärtes Ziel der Kommission, jene Länder zu fördern, die sich um die Migranten in großer Zahl kümmern. Am Samstag legte Kommissionschef Jean-Claude Juncker ein Schäuferl nach: "Jene, die in der Migrationskrise viel geleistet haben - Griechenland, Italien, aber vor allem Deutschland - haben die Anerkennung der anderen verdient." Deshalb werde die Zuweisung von EU-Mitteln künftig an neue Kriterien geknüpft. Und Juncker gibt sich kämpferisch: "Das stößt nicht überall auf Zustimmung. Aber diesen Konflikt bin ich bereit auszutragen." Unabhängig davon fließt ja auch viel Geld in das noch-lange-nicht-und-vielleicht-nie-EU-Mitglied Türkei, die einen großen Teil der flüchtenden Menschen aus Syrien beherbergt und sie so von den EU-Ländern fernhält. Drei Milliarden Euro waren es schon, weitere drei Milliarden sollen schon bald auf den Weg gebracht werden.
1. Juni, 23.30 Uhr - Streit um die Landwirtschaft
Am Freitag stellte die EU-Kommission in Brüssel erste Details für den Agrarbereich vor, der im Vorschlag des neuen, mehrjährigen Finanzrahmens enthalten ist. Zwei Tage zuvor war die zukünftige gemeinsame Agrarpolitik auch Thema im Europaparlament in Straßburg. Wie zu erwarten, gibt es weniger Geld; 365 statt 408 Milliarden. Dafür, so Kommissar Paul Hogan, sollen die Mittel unkomplizierter und zielgerichteter eingesetzt werden. Wie ebenfalls zu erwarten: die Meinungen darüber gehen auseinander. Zu wenig Geld sagen etwa die einen (u. a. Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, ÖVP), zu wenig auf Umwelt fokussiert, sagen die anderen.
Jedenfalls: Der Initiativbericht des Parlaments mit Forderungen zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (Berichterstatter ist der EVP-Abgeordnete Herbert Dorfmann) wurde mit 468 Stimmen angenommen, 123 - darunter die österreichischen grünen und blauen Mandatare - enthielten sich, 89 stimmten dagegen. Im Anschluss feuerte der Grüne Thomas Waitz (ein Steirer und selbst Biobauer) eine Breitseite auf die ÖVP ab: "Ich bin entsetzt und schockiert, wie die Abgeordneten der ÖVP heute abgestimmt haben. In Sonntagsreden setzen sie sich für die kleinen und mittleren Betriebe in Österreich ein und betonen, wie ihnen die nachhaltige Landwirtschaft am Herzen liegt. Heute haben sie gegen unsere Abänderungsanträge gestimmt, mit denen wir festschreiben wollten, dass die Preise für ErzeugerInnen höher sein müssen als die Produktionskosten! Sollen Bauern und Bäuerinnen weiterhin mit Niedrigstpreisen überleben?" Die ÖVP-Delegation habe weiters gegen einen Abänderungsantrag gestimmt, der den Schutz der kleinstrukturierten Landwirtschaft von den negative Effekten von Freihandelsabkommen verankert hätte.
Am Freitag folgte die Antwort von ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas. In Form eines Briefes, den er persönlich an Waitz richtete. "Vor jeder Abstimmung gehen wir sehr sorgfältig die Änderungsanträge durch, auch jene der Grünen. Dort, wo wir inhaltlich übereinstimmen, spielen Fraktionsgrenzen keine Rolle. Selbst bei nochmaligem Durchgehen der Anträge kann ich beim besten Willen keinen erkennen, der fordert, was in Ihrer Aussendung steht." Waitz ignoriere vielmehr VP-Anträge, wo es etwa um Achtung und Beibehaltung europäischer Umwelt-. Tierschutz- und Sozialstandards bei Abschluss von Handelsabkommen gehe. Dann listet Karas einen mehr als ein Dutzend Punkte umfassenden Forderungskatalog an die Kommission auf.
Schlusssatz: "Ihre Aussendung entspricht nicht der Fairness im Umgang miteinander, die wir im Europäischen Parlament bisher gepflegt haben." Na, das kann ja noch spannend werden...
31. Mai, 20.30 Uhr - Seitenweise Heimzahlung
Wie zu befürchten, ist der transatlantische Handelskrieg zumindest in der ersten Eskalationsstufe ausgebrochen. Um 15.47 Uhr kam die erste Eiltmeldung, um 16.07 Uhr gab es das erste Statement von Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Handelskommissarin Cecilia Malmström. Zuletzt hatte man am Dienstag Einvernehmen zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten hergestellt - es war also alles von langer Hand vorbereitet. Schon seit Wochen wird als Reaktion auf die US-Zölle eine Zoll-Gegenoffensive geplant. Jetzt ist es soweit, ab Mitte Juni werden auf amerikanische Waren ebenfalls erhöhte Abgaben verlangt.
Aber auf welche genau? Wir haben uns die ganze, lange Liste durchgeschaut - zehn Seiten, eng beschrieben. Plakatives ist längst bekannt: Eisen- und Stahlprodukte, eh klar (Gegenwert 853 Millionen Euro); T-Shirts, Westen und Jeans (Levis), Bettwäsche und Männerschuhe (Wert 88 Millionen Euro) sowie Whiskey (Bourbon) im Ausmaß von 565 Millionen. Und natürlich: Harley-Davidson-Motorräder. Bei landwirtschaftlichen Produkten wirds kurioser: es finden sich getrocknete Kidneybohnen, Mais und Reis, Beeren- und Orangensäfte, Zuckermais und Erdnussbutter sowie Beeren an sich. Weiter geht es mit Industriewaren (937 Millionen): dabei sind alle Arten von Kosmetikprodukten (460 Milllionen) wie Make-up, Produkte für Maniküre und Pediküre usw. Und dann, was man halt sonst noch so braucht: Segel-, Ruder- und Motorboote, Ketten, Drähte und Kanister, Heizlüfter, Ventilatoren, Spülbecken und Leitern sowie Geräte zum Backen, Braten, Grillen und Kochen. Nicht zu vergessen: Waschmaschinen und Wäschetrockner.
Die US-Strafzölle bewegen sich im Ausmaß von 6,4 Milliarden Euro, die EU-Gegenzölle liegen bei 2,8 Milliarden. Es ist also noch Luft nach oben - hoffentlich denkt niemand an Burger.
30. Mai, 16.00 Uhr - Eine Meldung und ihr Hintergrund
Große Aufregung um ein Statement von Haushaltskommissar Günther Oettinger, vor allem in Italien. Der Hintergrund zu dieser Geschichte ist gleichermaßen spannend wie skurril. Lesen Sie hier, wie es dazu kam:
In einem Interview mit der „Deutschen Welle“ wird Oettinger, zu dessen Stärken nicht unbedingt eine ausgeprägt feinnuancierte Ausdrucksweise zählt, zur Entwicklung in Italien gefragt. Der „Spiegel“ wird später schreiben, der Kommissar habe zwar die Wahrheit gesprochen, sei aber selbst die falsche Person dafür gewesen und habe auch nicht die richtigen Worte verwendet.
Wie auch immer; im Wortlaut sagte Oettinger: "Meine Sorge ist, und meine Erwartung ist, dass die nächsten Wochen zeigen, dass die Märkte, dass die Staatsanleihen, dass die wirtschaftliche Entwicklung Italiens so einschneidend sein könnten, dass dies für die Wähler doch ein mögliches Signal ist, nicht Populisten von links und rechts zu wählen."
Um das Interview zu bewerben, twittert der Journalist am Dienstag diese Aussage. Auf Englisch – und er verwendet für „zeigen“ das Wort „teach“ - „The markets will teach the voters...“. Das kann auch etwas härter, drohender interpretiert werden, als es gemeint ist: Man wird’s euch zeigen! Ihr werdet es schon sehen!
In Italien wird man darauf aufmerksam, der Tweet macht die Runde – und wird alsbald ins Italienische übersetzt. Ob mit weiterer Überhöhung, ist nicht bekannt. Ein Shitstorm bricht aus. Die überheblichen Deutschen, wollen den Italienern also schon wieder sagen, wo es lang geht! Matteo Salvini, Chef von Italiens rechtsradikaler Lega-Partei, forderte Oettingers Rücktritt "noch an diesem Nachmittag". Luigi Di Maio, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, erklärte: "Diese Leute behandeln Italien wie eine Sommer-Kolonie, in die sie kommen und Ferien machen." Selbst Kommissionschef Jean-Claude Juncker kann sich nicht zurückhalten, spricht von „unweisen Behauptungen“.
Beim Journalistenkollegen hört das Telefon nicht mehr auf zu klingeln, er bekommt auf einmal selbst Interviewanfragen. Eine Lawine bricht los.
Das alles wieder in geordnete Bahnen zu bringen, ist kaum möglich. Die Bilanz, Mittwoch Nachmittag: der Aufruhr bei den Populisten und in Italien hält an, Seite-1-Geschichten in La Repubblica und in der „New York Times“, ein - mittlerweile gelöschter - Twitterbeitrag mit fast 200.000 Aufrufen und mehrere neue Tweets mit Entschuldigungen (auch von Oettinger) sowie dem Versuch einer Erklärung – ausdrücklich in italienischer Sprache.
Ein einziges Wort ist schuld.
29. Mai, 18.00 Uhr - Die neuen Förderpläne
Die Ausgangslage ist seit langem bekannt. Die Briten fallen als Zahler weg, neue Aufgaben wie Grenzschutz und Migration brauchen neue Mittel - in der EU-Kassa klafft ein Loch. Kommissar Günther Oettinger möchte das so füllen: Etwas höhere Beiträge der Länder, höhere Eigenmittel und Sparen bei Agrar und Kohäsion. Österreich will von dieser Art des Sparens nicht viel hören, gleichzeitig den Prozentsatz aber auch nicht erhöhen (in absoluten Zahlen müssen wir dank Wirtschaftswachstum so oder so was drauflegen). Im EP-Parlament in Straßburg wurde nun der Vorschlag der Kommission für eine neue Art der Regionalförderung diskutiert. Die Prioritäten werden leicht modifiziert, Hauptaugenmerk gilt "einem intelligenteren Europa und einem grüneren Europa". Die Mitgliedstaaten sollen je nach ihrem relativen Wohlstand 65-85 Prozent der ihnen aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Kohäsionsfonds zugewiesenen Mittel für diese Prioritäten ausgeben.
Dazu gibt es einen neuen Schlüssel für die Aufteilung: Obergrenze für die betreffenden Regionen ist nicht 90 Prozent, sondern 100 Prozent des BIP - das Burgenland wäre demnach wieder innerhalb der Fördergrenzen. Der Witz ist nun: weil mit weniger Geld gerechnet wird, sollen jene Länder, die zuletzt einen spürbaren Aufschwung genommen haben, weniger bekommen (das sei doch eine "erfreuliche Nachricht", so die Kommission) - und jene Regionen, die mehr Flüchtlinge aufgenommen haben, etwas mehr. Östliche Mitgliedsstaaten wie etwa Polen fühlen sich brüskiert. Am Mittwoch will das Parlament eine Resolution dazu verabschieden.
28. Mai, 19.00 Uhr - 99 Luftballons
Jetzt sind die Details bekannt: Die EU-Kommission legte ihren Vorschlag für das neue Plastikgesetz vor, mit dessen Hilfe man die völlige Vermüllung der Umwelt - insbesondere der Weltmeere - unter Kontrolle bringen will. Kaum zu glauben: Zehn Einwegprodukte wie Wattestäbchen, Besteck, Teller, Trinkhalme, Rührstäbchen oder Luftballonstäbchen aus Kunststoff sind es, die überall auf der Welt in jedem Meer zu finden sind. Millionen Tonnen! Sie sollen verboten werden, ähnliche Produkte reduziert oder deren Hersteller mit Entsorgungskosten belastet werden. Beruhigende Worte kommen dazu von SPÖ-Abgeordneter Karin Kadenbach: „Kein Kindergeburtstag ist in Gefahr, Luftballons und Strohhalme wird es auch weiterhin geben!" Es geht halt um die Alternativen zum Plastik und um einen geordneten Recyclingprozess. Schätzungen zufolge wird es bis 2050 nach Gewicht mehr Kunststoffe als Fische in den Meeren geben. Höchste Zeit also, dass etwas getan wird. Wie geht es weiter? Der Entwurf der Kommission muss nun noch das Parlament und den Rat passieren. Und dann sind es die nationalen Parlamente - also jeder einzelne Mitgliedsstaat, somit auch Österreich - die die Richtlinie umsetzen müssen.
Immerhin, eine Seite des Problems wird damit in den Mittelpunkt gerückt. Die andere Seite der Medaille bleibt offen - nämlich die Frage: Wie kommt all das Plastik überhaupt ins Meer? Hier bedarf es wohl nicht nur europäischer, sondern weltweiter Anstrengungen...
27. Mai, 20.00 Uhr - Wieder auf nach Straßburg
Am Montag vormittag gehts wieder los. Das Europaparlament übersiedelt mit Mann und Maus wieder für vier Tage nach Straßburg. Weit mehr als 1000 Metallkisten werden gepackt und verfrachtet, Flugzeuge, Züge, Busse und Autos beladen. Rund 3000 Menschen machen sich auf den 430 Kilometer langen Weg (und am Donnerstag geht es wieder retour). Die drei Hauptstandorte der Europäischen Union - Brüssel, Luxemburg und Straßburg - verlangen ein gerüttelt Maß an Organisation. Und kosten Geld. Viel Geld. Die Tage in Frankreich schlagen sich, so hört man, mit gut 200 Millionen Euro pro Jahr zu Buche.
Dabei gibt es kaum jemanden in Brüssel, der die zwölf Mal jährlich stattfindende Klassenfahrt gut findet. Doch eine Änderung ist kaum möglich; Straßburg steht im EU-Vertrag und kann nur einstimmig ausgehebelt werden, die Franzosen sind aus Prinzip dagegen - daran ändert auch ein Herr Macron nichts. Selbst Vorschläge, anstelle des Europaparlaments eine große, wichtige Agentur nach Straßburg zu verfrachten, stießen bis jetzt auf taube Ohren. Also heißt es am Montag: Auf ins Elsass!
26. Mai, 19.00 Uhr - Die Briten, die Briten
Brexit - kaum vorstellbar, dass es im Universum etwas gibt, das in der Abwicklung noch komplizierter ist. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Schwierigkeiten auftauchen. Zuletzt: Galileo. Schon davon gehört? Das ist das europäische Gegenstück zum amerikanischen GPS-System. Damit Europa wenigstens beim Landkartenlesen nicht von den USA abhängig ist. Wenn die Briten die EU verlassen, dürfen sie bei Galileo nicht mehr mitmachen. Nun, an der Themse reagierte man bockig: Dann will GB eben seine Investitionen zurück, immerhin 15 Prozent. Und (Trommelwirbel!) sein eigenes Satellitensystem aufziehen. Problem: Galileo hatte zahlreiche Rückschläge zu verkraften, sollte eigentlich schon längst in Betrieb sein und wenn das System 2020 dann endlich angeworfen ist, wird es schon zehn Milliarden Euro verschlungen haben. Und das alles will man fürs Königreich jetzt selber noch einmal machen - shocking!
Verhandelt wird emsig, allerdings ist das Zeitkorsett immer enger. In Brüssel macht Chefverhandler Michael Barnier eine sehr gute Figur. Ein enger Mitarbeiter aus dem 60-köpfigen Team erzählt, dass etwa 25 Prozent der Fragen (darunter aber schwere Brocken wie Nordirland) noch offen sind, der Rest ist soweit in trockenen Tüchern. Allerdings: die Briten machen es dem Team nicht leicht, Verhandlungsleiter David Davis sei "seit Wochen" nicht mehr in Brüssel gesehen worden. Was wäre eigentlich, wenn die Regierung May stürzen und es Neuwahlen geben würde? "Eine absolute Katastrophe. An so etwas wollen wir gar nicht denken", so der Insider.
25. Mai, 18.30 Uhr - Gratis durch die EU!
Die Idee gibt es schon länger, das EU-Parlament (besonders die EPP-Gruppe mit Fraktionsvorsitzendem Manfred Weber) ließ nicht locker und nun ist es fix: 15.000 junge Menschen aus Europa, die gerade 18 geworden sind, kommen in den Genuss eines Gratis-Interrail-Tickets. Genauer gesagt, geht es sogar darüber hinaus: Der "Travel-Pass" gilt in bestimmten Fällen auch für Busse und Fähren, in Ausnahmefällen sogar für Flüge. Die Kommission stellte das Projekt jetzt vor. Mitmachen können Jugendliche, die zwischen dem 2. Juli 1999 und dem 1. Juli 2000 geboren sind und heuer noch (zwischen 9. Juli und 30. September) durch Europa unterwegs sein wollen.
Dabei soll dieses Programm sogar noch ausgebaut werden. In Brüssel ist immer wieder zu hören, diese Reisechance sollten alle jungen EU-Bürger bekommen. Die Kosten könnten dann aber eine Höhe von bis zu 700 Millionen Euro erreichen; bei den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen ist das jedenfalls enthalten. Die Anmeldemöglichkeit gibt es zwischen 12. und 26. Juni: Anmeldungen und weitere Infos.
24. Mai, 21.00 Uhr - Rasche Antwort von Mark
Noch einmal zu Facebook und Mark Zuckerberg. Der Auftritt des Milliardärs im Europaparlament war ja nahe an der Farce, die Fragen der Fraktionschefs nahmen weit mehr Zeit ein, als Zuckerberg für Antworten zur Verfügung hatte (man hätte das Treffen aber durchaus etwas gestreckter Planen können. Tja). Das Gespräch endete mit der Vereinbarung, die Parlamentarier sollten alle noch offenen Fragen schriftlich festhalten, Zuckerberg werde sie beantworten. Nun - hat er gemacht, seit Donnerstag Nachmittag sind sie da. Sensationen sind nicht dabei; vielleicht ein paar Aha-Effekte. Mark gibt zu, dass Facebook auch Daten von Nicht-Nutzern (die auf Seiten surfen, die wiederum ein Facebook-Service nutzen) sammelt, das mache aber praktisch jede Website. Auch Nicht-Nutzer können sich an das "Help Centre" wenden, um herauszufinden, was über sie gespeichert ist. Cambridge Analytica habe nur US-Daten abgesaugt, deshalb gibt es auch keine Kompensation für Europäer. So ein Fall könne sich wiederholen, aber Facebook gehe sofort jedem Verdacht nach. Und so weiter.
Vielleicht am interessantesten: Schon ab Juni sollen Nutzer die Möglichkeit haben, über "View Ads" alle Werbeeinschaltungen zu überblicken und mehr über deren Auftraggeber zu erfahren. So könne man auch Fake-Seiten leichter entlarven. Das Projekt startet zunächst in Irland und Kanada.
Zu guter Letzt: Was er über die "Faktenchecker" sagen könne, die die Inhalte prüfen sollen, wurde Zuckerberg gefragt. Antwort: es handle sich um unabhängige und zertifizierte Leute des "International Fact-Checking Network". Jetzt wissen wir das also auch.
23. Mai, 20.30 Uhr - Ministerauflauf in der Stadt
Wir haben darüber berichtet: Ministerauflauf in Brüssel. Zwei Ratstreffen waren es, die die Minister Juliane Bogner-Strauß, Margarete Schramböck, Heinz Faßmann, Gernot Blümel (alle ÖVP) sowie FPÖ-Chef Vizekanzler Heinz-Christian Strache in ihre Flieger steigen ließen. Faßmann freut sich über den Entwurf zum mehrjährigen Finanzrahmen, dort sind mehr Mittel für Forschung und Bildung bzw. das Erasmus-Programm vorgesehen. Ob der Plan hält? Strache, Mittwoch vormittag in der Ständigen Vertretung, stellt das Fördersystem der EU für Bauern infrage (die Landwirtschaft könnte, falls das Budget nicht mehr hergibt, ebenso wie die Regionalentwicklung mit Abschlägen konfrontiert sein. Die Rede war zunächst von sechs Prozent, nun tauchten neue Berechnungen auf, wonach es bis zu minus 15 Prozent sein könnten). Viel eher müsste es eine "faire Preisgestaltung" geben.
Noch deutlicher wird der frühere Bundeskanzler Christian Kern, der auch in Brüssel weilt, nachmittags im Parlament. Er sagt: "Die Kürzungen in der Landwirtschaft gehen nicht weit genug." Kern ist für radikales "Capping" (die Obergrenze, die den Großbetrieben zugute kommt) - der Vorschlag lautet auf 60.000 Euro, Kern will 25.000: "In Österreich sind 97 Prozent der Bauern davon nicht betroffen." Dafür soll die Förderung pro Hektar für kleinere Bauern erhöht werden, um 100 Euro. Geld, dass nicht durch Sparmaßnahmen lukriert wird, solle durch mehr Eigenmittel aufgebracht werden. Und die Grenzschützer von Frontex sollten nicht nur auf 10.000, sondern gleich auf 25.000 Mann aufgestockt werden.
Am Schluss sagt Kern, der neben SPÖ-Delegationsleiterin Evelyn Regner sitzt, er werde sicher nicht als Spitzenkandidat für die EU-Wahl zur Verfügung stehen. Regner selbst wird Interesse nachgesagt, auch der Name von Jörg Leichtfried, früher EU-Abgeordneter und derzeit Infrastrukturminister, fällt immer wieder. Noch im Juni gibt es aber in Wien einen "Mini-Gipfel" von sozialdemokratischen Parteichefs aus ost- und mitteleuropäischen Ländern, bei denen auch ein gemeinsamer Kandidat Thema ist. Nächstes Reiseziel von Kern ist übrigens Frankreich - dort hat er am Montag ein Treffen mit Emanuel Macron.
22. Mai, 21.30 Uhr - Geister, die er rief
Nun war er da, Mark Zuckerberg, stand zumindest den Fraktionschefs im EU-Parlament Rede und Antwort. Die Fragen waren direkter, konkreter als jene im US-Senat, der Facebook-Gründer entschuldigte sich neuerlich und gelobte Besserung. Präsident Antonio Tajani sah die Veranstaltung als Erfolg, andere, etwa die Grünen, nicht so ("Ein PR-Stunt"). Vor allem die Abwicklung des Treffens wurde Tajani angelastet, er habe vor dem Social-Media-Star eine viel zu große Verbeugung gemacht und damit dem Ansehen des Parlaments nicht gerade einen guten Dienst erwiesen. Generell aber wurde es dem US-Milliardär angerechnet, dass er sich nun auch um europäische Fragen kümmert und Bereitschaft zeigte, Probleme anzugehen. Muss er wohl auch.
Die Frage ist, ob das überhaupt noch zu schaffen ist. Abertausende Menschen arbeiten schon an der Behebung der immer neu auftauchenden Schwierigkeiten, Computer mit künstlicher Intelligenz sollen Fake News, bedenkliche Inhalte und gefälschte Konten herausfiltern - "Herr die Not ist groß, die Geister, die ich rief, die werd ich nun nicht los" zitierte die Abgeordnete Gabi Zimmer (Linke) Goethe und jeder wusste, was sie damit meinte. Auch Zuckerberg selbst räumte ein, dass besonders beim Versuch, Wahlen und Abstimmungen zu beeinflussen, die Gegner mit gleicher Hochtechnologie arbeiten wie er selbst. Nun sollen weitere Fragen schriftlich gestellt werden, der US-Milliardär will sie beantworten. Naja - besser als nichts, aber auch nicht so, wie man das von einem Parlament erwarten würde. Lesen Sie unsere aktuellen Berichte dazu hier und hier.
21. Mai, 15:00 - Live is life - nicht immer
Morgen kommt er also doch nach Brüssel: Facebook-Boss Mark Zuckerberg. Wie unserem aktuellen online-Bericht zu entnehmen ist, wird das Treffen entgegen ersten Plänen nun doch live übertragen; dennoch findet es nicht öffentlich mit allen Abgeordneten statt, sondern nur im "kleinen Kreis" mit den Fraktionsvorsitzenden. Hinter den Kulissen geht es deshalb schon seit Wochen rund. In den USA hatte sich Zuckerberg immerhin dem Senat gestellt, Europa hat weit mehr Facebook-Nutzer als die Staaten und - siehe Datenschutzrichtlinie, die diese Woche in Kraft tritt - besonders drängende Fragen. Überspitzt könnte man die kritischen Stimmen - frei nach Falco- so zusammenfassen: "Wer glaubt er, dass er ist?" Parlamentspräsident Antonio Tajani hatte sich wegen der Sonderbehandlung Zuckerbergs schon allerhand anhören müssen, auch aus den eigenen EVP-Reihen, heute bekam er auf Twitter noch mehr davon ab. Schließlich hatte Tajani die Live-Übertragung freudig als Erfolg gefeiert - der amerikanische Gast habe nun doch zugestimmt, das sei eine "gute Nachricht" für die EU-Bürger.
Die Folge waren zahlreiche weniger gute Kommentare. Etwa: "Große Neuigkeit für EU-Bürger, dass Zuckerberg einen Live-Stream akzeptiert? Machen Sie Scherze?" Oder, etwas krasser formuliert: "Er soll Steuern zahlen. Hören Sie auf, seinen Hintern zu küssen." Oder: "Herr Tajani, warum fragen Sie um Erlaubnis? Sie sind Präsident eines Parlaments. Handeln Sie auch so." Scheint ein spannendes Ereignis zu werden...
20. Mai, 17:00 - Die Wolfskonferenz
Mehrfach haben wir in den letzten Tagen über die zunehmende Problematik der wachsenden Wolfspopulation berichtet; zuletzt über den DNA-Beweis, wonach in der Steiermark 15 Schafe von einem dieser in Westeuropa schon als ausgestorben geltenden Großräuber gerissen wurden. Am Beginn dieser Woche gab es zu dem Thema die "Wolfskonferenz" im Europaparlament - kein kleines Kamingespräch, vielmehr eine große Veranstaltung mit dem Charakter einer internationalen Konferenz.
Ein kurzer Rückblick: Mehr als 100 Abgeordnete aus ganz Europa und zahlreiche Experten diskutierten durchaus kontroversiell. EU-Kommissar Karmenu Vella will dabei bleiben, dass Wölfe nicht zum Abschuss freigegeben werden. Bauernvertreter, wie etwa der Salzburger Experte Gregor Grill von der Landwirtschaftskammer, verweisen auf bereits mehr als 20.000 Tiere in Europa und die Schäden, die sie anrichten. Grill sagt: "Ich halte den strengen Schutzstatus in dieser Form nicht mehr für angebracht. Mit 20.000 Wölfen würde ich den Wolf in Europa nicht als gefährdet einstufen." Die Abgeordnete Annie Schreijer-Pierik skizzierte den Alltag der Schafbauern: "Die gehen morgens auf die Weide und fragen sich: was haben die Wölfe in der Nacht wieder gemacht?" Ähnlich sieht es der VP-Abgeordneter Othmar Karas: "Während die Europäische Kommission weiter zaudert, zeigt die Rückkehr des Wolfes nach Mitteleuropa Auswirkungen auf die Schaf- und Ziegenwirtschaft: Die Freilandhaltung wird wegen des Verlustrisikos bereits vielfach eingeschränkt."
Nun soll ein europaweiter Plan zum Wolfsmanagement erstellt werden - was allgemeinen Beifall fand. Das Thema wird in Brüssel weiter auf der Agenda stehen.
19. Mai, 22.00 Uhr - Mehr Geld für Kinder
Unmittelbar vor Beginn des Pfingstwochenendes hat die Kommission noch ein Paket fertig geschnürt, das an den Krisenorten überall auf der Welt vor allem den Kindern zugute kommt. Humanitäre Mittel für Bildung in Notsituationen sollen von zuletzt 8 Prozent auf 10 Prozent des verfügbaren Budgets erhöht werden. Im Jahr 2015 waren es bloß zwei Prozent. Insgesamt haben seit 2016 mehr als 5,5 Millionen Mädchen und Buben von dieser Förderung in Höhe von rund 265 Millionen Euro profitiert. Darüber hinaus hat die EU seit 2011 mehr als 1,5 Milliarden Euro im Kontext der Krise in Syrien mobilisiert. „Angesichts der weltweit zunehmenden Zahl humanitärer Krisen besteht die Gefahr, dass Millionen von Kindern ohne Bildung aufwachsen. Wir haben die Verantwortung zu handeln, um zu verhindern, dass Kinder zu einer verlorenen Generation werden," sagte Kommissar Christos Stylianides.
18. Mai, 19:00 Uhr - Zurück aus Sofia
Zwei Tage beim EU-Gipfel in Bulgarien; nun wieder in Brüssel und die Frage nach dem Resümee stellt sich in der Distanz neu. Die (noch) 28 Länder geben sich einig im Handelsstreit mit den USA, beim Iran-Abkommen und der Westbalkan-Erweiterung. Ganz einig? Leise, aber doch zu hören waren die Zwischentöne von Angela Merkel: 2025? "Zu früh für Westbalkan". Ausfallshaftung für Firmen, die zum Opfer von Trumps Iran-Bann werden? "Ist nicht finanzierbar". Warum so mürrisch? Merkel will sich in ihrem eigenen Land nicht gerade jetzt neue, alte Fronten aufbauen, überlegen wir im Kreis der Journalistenkollegen.
Mazedonien könnte in Zukunft "Republik Ilinden-Mazedonien" (Republika Ilindenska Makedonija) heißen, das Ende des Namensstreits mit Griechenland ist in Griffweite - die Meldung kommt heute, Freitag. Am Donnerstag, zum Ende des Gipfels, war sie erwartet worden, als sichtbarer Erfolg des Treffens. Der Plan ging nicht auf, auch jetzt fehlt noch die Bestätigung - die Ministerpräsidenten Griechenlands und Mazedoniens, Alexis Tsipras und Zoran Zaev, müssen noch weitere Rücksprache in ihren Ländern halten.
Der Ilinden-Aufstand war eine Volksrevolte in den damals zum Osmanischen Reich gehörenden Regionen Makedonien und Thrakien im Jahr 1903. In Mazedonien wird der Eliastag (Ilinden) am 2. August in Gedenken an diesen Aufstand gefeiert, aber auch an das Jahr 1944, als im Kloster Prohor Pcinjski auf dem Gebiet des heutigen Südserbien die Grundlagen der späteren jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien gelegt wurden.
Wird der Streit nun beigelegt, kommt Mazedonien seinem Ziel, eines Tages Teil der EU zu werden, einen großen Schritt näher.
18. Mai, 18:30 Uhr - Das Taxi-Kuriosum
Noch eine Beobachtung aus dem EU-Land Bulgarien: Es gibt solche und solche Taxis. Die Internetforen sind voll damit: Im Quasi-Design des meist günstigen Anbieters sind auch viele andere unterwegs, die weit höhere Preise verlangen und die Touristen schröpfen. Im Sofia-Guide wird davor gewarnt, ein lösungsorientierter Umgang mit dem Problem scheint schwierig zu sein.