Die US-Regierung will der Ukraine umstrittene Streumunition liefern und verteidigt sich gegen Kritik an diesem Schritt. "Es ist eine schwierige Entscheidung. Es ist eine Entscheidung, die wir aufgeschoben haben. Es ist eine Entscheidung, die einen wirklich harten Blick auf den potenziellen Schaden für die Zivilbevölkerung erforderte", sagte der nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, am Freitag im Weißen Haus.

Die Ankündigung kam kurz vor dem Nato-Gipfel in der kommenden Woche. Die Ukraine werde als Ergebnis des Gipfels nicht der Nato beitreten, stellte Sullivan weiter mit Blick auf Beitrittshoffnungen des von Russland angegriffenen Landes klar.

Die Streumunition ist Teil eines neuen Militärhilfe-Pakets in Höhe von 800 Millionen US-Dollar (rund 729 Millionen Euro). "Russland hat seit Beginn des Krieges Streumunition eingesetzt, um die Ukraine anzugreifen", betonte Sullivan. "Wir sind uns bewusst, dass Streumunition das Risiko birgt, dass Zivilisten durch nicht explodierte Munition zu Schaden kommen. Deshalb haben wir die Entscheidung so lange aufgeschoben, wie wir konnten." Die Ukraine habe sich zu Minenräumungsmaßnahmen verpflichtet, um möglichen Schaden für die Zivilbevölkerung zu mindern.

Die Ukraine fordert bereits seit Längerem die Lieferung von Streumunition. Als Streumunition werden Raketen und Bomben bezeichnet, die in der Luft über dem Ziel bersten und viele kleine Sprengkörper – sogenannte Submunition – verstreuen oder freigeben. Streumunition ist vor allem deswegen umstritten, weil ein erheblicher Prozentsatz ihrer Sprengkörper nicht detoniert, sondern als Blindgänger vor Ort verbleibt und so die Bevölkerung auch nach Ende eines Gefechts noch gefährdet. Deutschland ist wie mehr als 100 weitere Staaten einem Vertrag zur Ächtung von Streumunition beigetreten – dem sogenannten Oslo-Übereinkommen. Die USA haben das Abkommen ebenso wie die Ukraine nicht unterzeichnet.

Sullivan betonte mit Blick auf eine Frage zu Deutschlands Haltung, dass es keine "Risse" in der Einheit der Nato gebe. "Ganz im Gegenteil: Wir glauben, dass es ein tiefes Verständnis innerhalb des Bündnisses gibt." Die deutsche Bundesregierung hatte am Freitag mit Blick auf die Pläne der US-Regierung Verständnis für den Schritt signalisiert. "Wir sind uns sicher, dass sich unsere US-Freunde die Entscheidung über eine Lieferung entsprechender Munition nicht leicht gemacht haben", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.

Niedrige Blindgängerrate

Das Pentagon betonte, man werde der Ukraine nur Streumunition mit niedriger Blindgängerrate liefern. Kiew habe außerdem zugesichert, die Geschosse nicht in dicht besiedelten städtischen Gebieten einzusetzen und festzuhalten, wo die Munition zum Einsatz komme. Weitere Details zum Zeitplan und der exakten Menge der Lieferung wollte das Pentagon nicht preisgeben. Die Bereitstellung solle aber so erfolgen, dass sie für die bereits angelaufene ukrainische Gegenoffensive relevant sei. Die USA haben nach eigenen Angaben Hunderttausende der Geschosse auf Lager.

Mit Blick auf den Nato-Gipfel in Vilnius machte das Weiße Haus deutlich, dass man eine "Politik der offenen Tür" unterstütze. Das bedeute, dass die Nato-Mitglieder gemeinsam mit der Ukraine über die Aufnahme in das Bündnis entscheiden. Die Ukraine müsse aber weitere Reformen umsetzen, bevor sie Mitglied der Nato werden könne. Der Gipfel in Vilnius sei auf diesem Weg ein wichtiger Meilenstein. Diskussionen gab es innerhalb der Nato bis zuletzt noch darüber, wie genau beim Gipfel auf die Beitrittshoffnungen der Ukraine eingegangen werden soll.

Die Vereinigten Staaten gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Nach Pentagon-Angaben haben die USA seit dem Kriegsbeginn Ende Februar 2022 militärische Hilfe im Umfang von mehr als 40 Milliarden US-Dollar für Kiew bereitgestellt oder zugesagt.

Kritik an der Entscheidung

Kritik an der Entscheidung der US-Regierung, der Ukraine Streumunition liefern zu wollen, kam am Freitag von Handicap International. "Zivilisten in der Ukraine werden noch jahrzehntelang unter Streumunition zu leiden haben", hieß es am Freitag in einer Aussendung der Nothilfeorganisation. Seit 2014 hätten die russischen Streitkräfte in der Ukraine intensiv Streumunition eingesetzt, "wodurch Hunderte von Zivilisten getötet und verletzt wurden und lebenswichtige zivile Infrastruktur in unermesslichem Umfang beschädigt wurde". Mindestens dreimal sei auch über den Einsatz dieser Waffen durch ukrainische Streitkräfte berichtet worden.

Streumunition gehöre zu den "gefährlichsten Waffen für die Zivilbevölkerung", da sie noch lange nach dem Ende des Konflikts Opfer fordern könne. Darüber hinaus erschwere sie den Zugang zu humanitärer Hilfe für die Betroffenen, betonte Anne Héry, Direktorin der internationalen Abteilung für politische Arbeit von Handicap International.