Kleine Zeitung: Wie sehr ist Putins Ruf beschädigt, kann das bereits der Anfang vom Ende seiner Ära sein?
GERHARD MANGOTT: Putin ist angezählt, das heißt aber nicht, dass er kurz vor dem Ausscheiden aus dem Kreml steht. Er hat aber durch eklatantes Führungsversagen diese Meuterei möglich gemacht. Das schadet ihm innerhalb der politischen Führung. Es ist zu erwarten, dass jetzt nur der erste Akt geschlossen ist und hier noch etwas kommt. In der politischen Elite fragt man sich, ob Putin jetzt eine Strategie hat und weiß, wie er mit diesem und anderen Problemen umgehen muss.

Tschetschenen-Chef Kadyrow und Ex-Präsident Medwedew – zwei enge Putin-Vertraute – zeigten sich loyal. Wie glaubhaft ist das?
Sie stehen weiter hinter Putin, aber nicht, weil sie ihn mögen, sondern weil sie ihn brauchen. Sie profitieren von Putin, denn beide Karrieren würden ohne ihn komplett in der Luft hängen. Auffällig war, dass aus den Geheimdiensten oder dem Innenministerium keine Loyalitätsbekundungen gekommen sind – da sind viele still geblieben. Das deutet darauf hin, dass Putin nicht mehr die vollkommene Kontrolle über die politische Führung in Russland hat.

Politologe und Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck

Die Bürger Rostows jubelten Prigoschins Wagner-Gruppe zu. Entwickelt sich da etwas in der Zivilbevölkerung?
Bereits in den vergangenen Wochen ist die Zustimmung zu Prigoschin in der Bevölkerung gestiegen, ihm vertrauen derzeit so viele Bürger wie Außenminister Lawrow. Er profitiert hauptsächlich davon, dass Wagner viel erfolgreicher operiert als die reguläre Armee. Zudem steigert sich seine Popularität durch die Aussagen, nach denen viele russische Soldaten sterben. Diese Teilhabe an den niedrigen Rängen der Armee nützt Prigoschin. Man muss aber auch sagen, Prigoschin ist noch nicht so beliebt, dass sich Putin fürchten müsse.


Prigoschin dürfte sich jetzt in Belarus aufhalten. Wie stehen seine Überlebenschancen in den kommenden Wochen?
Das hängt davon ab, wie er sich verhalten wird. Wenn er Tomaten züchtet und fischen geht, dann kann er dort im Exil bleiben. Das glaube ich aber nicht. Ich erwarte, dass er in einem zweiten Akt dieses Dramas wieder die Militärführung kritisiert und vielleicht auch Putin. Dann würde Putins Autoritätsverlust weitergehen. Man darf zudem nicht vergessen, wenn immer Putin jemanden als Verräter bezeichnet hat, war das die Anordnung einer Liquidierung.

Prigoschin hat auch dem Narrativ des Kremls widersprochen, dass die ukrainische Bedrohung Schuld am Krieg sei. Hat das Auswirkungen auf den Kriegsverlauf?
Das war eine große Provokation. Indirekt hat Prigoschin Putin einen Lügner genannt. In der Bevölkerung wird das abseits einiger sozialer Netzwerke keine großen Kreise ziehen, aber es muss als eine direkte Kampfansage an Putin gewertet werden. Am Krieg wird das nichts ändern, aber an der Autorität Putins sehr wohl.

Als Vermittler trat nun der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko auf. Was war sein Motiv dafür?
Lukaschenko und Prigoschin kennen sich seit mehr als 20 Jahren. Für ihn war klar, dass Prigoschin scheitern würde und bei einem Kampf zerrieben werden würde. Er hat versucht, einen Ausweg zu finden, deswegen hat er sich als Vermittler angeboten – das kann man als eine Art Freundschaftsdienst an Prigoschin werten. Die Frage ist aber, wie dauerhaft diese Lösung sein wird. Es gibt aktuelle Berichte, wonach das Strafverfahren gegen Prigoschin und seine Kämpfer noch aufrecht sei.

Am Montag hat die EU beschlossen, die Militärausgaben für die Ukraine zu erhöhen. Deutschland hat 4000 Soldaten permanent in Litauen stationiert. Ein Signal?
Zufall ist das keiner, sondern es ist das Ergebnis einer langfristigen Planung, um die Sicherheitsgarantien für Litauen in diesem Gebiet zu verstärken. Mit den aktuellen Ereignissen in Russland hat das aber nichts zu tun.