Nach Ansicht von US-Außenminister Antony Blinken sind die Turbulenzen durch den versuchten Aufstand der Wagner-Söldner in Russland auch nach deren Einlenken nicht vorbei. Es könne sein, dass diese noch Wochen und Monate anhielten, sagte Blinken. Er bezeichnet die Vorgänge als innerrussische Angelegenheit. US-Präsident Joe Biden habe sich nicht bemüht, mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu sprechen.

"Ich denke, man sieht Risse auftauchen, die vorher nicht da waren", sagte Blinken am Sonntag im US-Sender CNN. Der Aufstand werfe "eindeutig neue Fragen auf, mit denen Putin umgehen" müsse. "Die Tatsache, dass es jemanden im Inneren gibt, der Putins Autorität direkt in Frage stellt, direkt die Prämissen in Frage stellt, auf deren Grundlage er diese Aggression gegen die Ukraine startete, das ist an sich schon etwas sehr, sehr Mächtiges."

"Interne Angelegenheit Russlands"

Blinken betonte mehrfach, dass es sich bei dem inzwischen für beendet erklärten Aufstand um eine "interne Angelegenheit" Russlands handle. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hielt sich mit öffentlichen Einschätzungen zu den Entwicklungen in Russland zuvor auffällig zurück - wie andere Regierungen im Westen auch. US-Medien zufolge handelte es sich dabei um eine Strategie, da Putin jede wahrgenommene Beteiligung als Waffe einsetzen könnte. Auf die Frage, ob der Aufstand Putins Ende der Macht sei, sagte Blinken: "Darüber möchte ich nicht spekulieren."

Der Minister sagte außerdem, dass es der von Russland angegriffenen Ukraine einen Vorteil verschaffen könnte, dass Putin sich nun darum sorgen müsse, was im eigenen Land passiere. Mit Blick auf Russlands Status als Atommacht fügte Blinken hinzu: "Jedes Mal, wenn ein großes Land wie Russland Anzeichen von Instabilität aufweist, ist das ein Grund zur Sorge."

Volle Konzentration auf den Krieg

Zuvor hatte Kreml-Chef Wladimir Putin nach dem Ende des bewaffneten Aufstands der Söldner-Gruppe Wagner volle Konzentration auf den Ukraine-Krieg signalisiert. Die "militärische Spezialoperation" habe höchste Priorität, sagte Putin in einem Interview, das vom TV-Sender Rossija am Sonntag gesendet wurde. "Ich beginne und beende meinen Tag damit", betonte er. Indes berichteten Militärblogger, dass beim Aufstand mindestens 13 Armee-Piloten ums Leben gekommen sind.

In seiner ersten öffentlichen Äußerung nach dem Abbruch des Wagner-Aufstandes zeigte sich Putin zuversichtlich, alle Pläne und Aufgaben im Zusammenhang mit der Militäroperation in der Ukraine umzusetzen. Er stehe in ständigem Kontakt mit dem Verteidigungsministerium. Wie der Sender berichtete, wird Putin diese Woche an den Beratungen des nationalen Sicherheitsrates teilnehmen. Offen blieb, ob die Sitzung wie üblich am Freitag stattfinden oder vorgezogen wird.

Isolation Russlands sichtbar

International zeigten die Vorgänge die weitgehende Isolation Putins. So berichtete das chinesische Außenministerium am Sonntag von einem Besuch des russischen Vizeaußenministers Andrej Rudenko in Peking, erwähnte in seiner Mitteilung allerdings nicht die dramatischen Ereignisse der Vortage in Russland, die international für Aufsehen gesorgt hatten. Allerdings teilte das Moskauer Außenamt mit, dass China seine "Unterstützung" für die russische Führung bei der "Stabilisierung der inneren Lage" nach den Ereignissen des 24. Juni geäußert habe. Offen stellte sich am Sonntag der nordkoreanische Vize-Außenminister Im Chon-il hinter Russland. Bei einem Treffen mit dem russischen Botschafter in Pjöngjang zeigte er sich überzeugt, dass der "bewaffnete Aufstand in Russland erfolgreich beendet wird", meldete die staatliche Nachrichtenagentur KCNA. Auch Kuba, Venezuela und Nicaragua bekunden Solidarität mit Putin.

Die Angaben zur Zahl der Todesopfer schwankten zwischen 13 und mehr als 20 Soldaten, wie das unabhängige Internetportal currenttime am Sonntag berichtete. Insgesamt seien von der Privatarmee des Geschäftsmanns Jewgeni Prigoschin sechs Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug abgeschossen worden, hieß es von den Bloggern. Von den russischen Behörden gab es dafür keine Bestätigung. Unter den abgeschossenen Helikoptern seien auch drei für die elektronische Kampfführung genutzte Mi-8, an denen es an der Front ohnehin mangle, klagte der Militärblog Rybar. Zudem sei ein Transportflugzeug vom Typ Il-18 zum Absturz gebracht worden an dessen Bord eine Kommandostelle eingerichtet gewesen sei Alle Crewmitglieder seien ums Leben gekommen.

Prigoschin im Exil

Der bewaffnete Aufstand unter dem früheren Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin endete am Samstagabend mit der Vereinbarung, dass sich Prigoschin ins Exil in Belarus zurückziehe. Putins Sprecher Dmitri Peskow erklärte, Prigoschin und die Wagner-Kämpfer würden nicht strafrechtlich verfolgt. "In 24 Stunden sind wir bis auf 200 km an Moskau herangekommen", erklärte Prigoschin, der die Kämpfer in die Stützpunkte zurückbeorderte.

Nach Berichten unabhängiger russischer Medien vom Sonntag erklärte die Wagner-Pressestelle, derzeit keinen Kontakt zu Priogoschin zu haben. Der russischsprachige Sender RTVi erhielt auf Nachfrage die Auskunft: "Er lässt alle grüßen und wird auf Fragen antworten, wenn er wieder normalen Empfang hat." Prigoschin war zuletzt am Samstagabend gesehen worden. Videos zeigten, wie er aus der südrussischen Stadt Rostow am Don in einem Auto abfuhr.

Söldner setzten Abzug fort

Die Söldner setzten indes nach Angaben regionaler Behörden zufolge ihren Abzug fort. In Lipezk 400 Kilometer südlich von Moskau verkündete Gouverneur Igor Artamonow am Sonntag im Nachrichtenkanal Telegram, die Wagner-Kämpfer hätten sein Verwaltungsgebiet verlassen. Weiter südlich im Gebiet Woronesch laufe der Abzug noch, teilte Gouverneur Alexander Gussew mit. "Er verläuft wie vorgesehen", schrieb er auf Telegram. "Wenn die Lage endgültig geklärt ist, werden wir alle eingeführten Beschränkungen aufheben." In Woronesch hatte die Armee mit Hubschrauber-Angriffen versucht, den Aufstand zu stoppen. Ein großes Tanklager ging in Flammen auf. Der Brand konnte nach örtlichen Angaben erst in der Nacht auf Sonntag gelöscht werden.

Auch aus Rostow am Don zogen sich die Wagner-Kämpfer zurück, die tags zuvor die südrussische Millionenstadt ohne Widerstand besetzt hatten. Indes blieb die Verkehrslage zwischen Moskau und Rostow weiterhin beeinträchtigt. Betroffen seien das Moskauer Umland und das Gebiet Tula, hieß es von der Straßenbehörde. In Rostow am Don war es am Sonntagvormittag nach dem Abzug der Wagner-Truppe ruhig, wie die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA berichtete. Auf deren Video via Telegram kehrte ein Mann die Straße und Autos fuhren durch die Stadt. Am Samstag hatten Bilder der Wagner-Truppe in Kampfpanzern an verschiedenen Stellen der Stadt die Szene beherrscht. Wie die russische Nachrichtenagentur TASS meldete, wurden auch tschetschenische Spezialeinheit der Achmat-Gruppe am Sonntag aus der Region Rostow abgezogen. Sie waren dorthin verlegt worden, um einen möglichen Vorstoß der Söldergruppe abzuwehren.

Angebot für Söldner

Laut Peskow wird nun einem Teil der Söldner ein Angebot unterbreitet, sich vertraglich zum Dienst in den russischen Streitkräften zu verpflichten. Zuvor hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Prigoschin nach eigenen Angaben dazu gebracht, seinen Aufstand aufzugeben. Prigoschin hatte den Rückzug am Abend verkündet und betont, es sei "nicht ein Tropfen Blut unserer Kämpfer" vergossen worden. "Jetzt ist der Moment gekommen, wo Blut vergossen werden könnte." Deshalb sei es Zeit, die Kolonnen umdrehen zu lassen.