Ihr ballert auf friedliche Bürger, ihr habt gerade erst einen Autobus mit Leuten plattgemacht." Samstagfrüh saß Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, in Rostow am Don auf einem Bänkchen vor dem Hauptquartier der "Kriegsspezialoperation" und stritt sich mit dem stellvertretenden russischen Verteidigungsminister Junus-Bek Jewkurow und dem stellvertretenden Generalstabschef Wladimir Aleksejew.
"Wir aber laufen nirgendwo weg"
"Wir wollen den Generalstabschef und (Verteidigungsminister Sergei) Schoigu kriegen", dröhnte Prigoschin. "Solange sie nicht da sind, werden wir hier sein, die Stadt Rostow blockieren und nach Moskau gehen." "Ha, dann nehmt sie doch!", antwortete Aleksejew, der General. Ihn selbst ärgere am meisten, dass wegen Prigoschin im feindlichen Kiew drei Tage gefeiert werde. In Kiew fließe Champagner, wenn Aleksejews Streitkräfte wieder eine Stadt in der Ostukraine aufgäben, konterte Prigoschin postwendend. "Wir aber laufen nirgendwo weg", betonte er.
Der Wagner-Chef hat Freitagnacht einen Aufstand gegen die Militärführung Russlands gestartet. Zuvor hatte Prigoschin in einem Telegram-Audio von einem "Marsch der Gerechtigkeit" gesprochen. Er versicherte, Russlands Polizeikräfte und die Präsidialgewalt sollten weiter ihres Amtes walten. Aber wenn Prigoschin tatsächlich die militärische Gewalt im Land übernehme, dann wäre Putin nur noch Sitzpräsident.
Zum ersten Mal seit Jahren gibt es wieder einen realen Herausforderer gegen Putin. Kein Berufsoppositioneller, kein populistischer Provinzgouverneur, sondern ein Insider, einer, der als Intimus Putins galt, jahrelang mit dem Kreml Geschäfte machte und für den Kreml schmutzige Kriege führte. Und einer, der dem System offenbar nicht mehr viel zutraut.
Stefan Scholl (Moskau)