Die ukrainische Armee hat nach Angaben von Premierminister Denys Schmyhal in der laufenden Gegenoffensive inzwischen acht Dörfer und 113 Quadratkilometer besetzten Gebiets zurückerobert. Ukrainische Truppen seien auf einer Tiefe von bis zu sieben Kilometern in russisch besetztes Gebiet vorgestoßen. Zudem haben ukrainische Truppen eine der drei Straßenbrücken beschossen, die die teilweise besetzte Oblast Cherson mit der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim verbindet.
Premierminister mahnt zur Geduld
"Das ist ein riesiges Territorium", kommentierte Schmyhal am Donnerstag bei der Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in London die aktuelle Zwischenbilanz. "Wir haben gute Ergebnisse." Trotzdem mahnte er zu Geduld. Bei einer Gegenoffensive handle es sich um eine Reihe militärischer Einsätze, einige davon seien offensiv, andere defensiv. Manchmal seien taktische Pausen notwendig. Verlangsamt werde das Vorrücken zudem durch von den Russen angelegte Minenfelder, so Schmyhal.
"Wir werden unsere Soldaten nicht verfeuern, wie die Russen das tun", so der ukrainische Premier. Jedes Leben zähle. Er fügte hinzu: "Wir werden sehr durchdachte Offensiveinsätze durchführen. Deswegen könnte es Zeit brauchen." Man sei jedoch "absolut optimistisch", das gesamte von Russland besetzte Gebiet wieder zurückerobern zu können.
Bei der Ukraine Recovery Conference am Mittwoch und Donnerstag in London wurde darüber diskutiert, wie das seit Februar 2022 von Russland angegriffene Land wieder aufgebaut und die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden kann. Die britischen Gastgeber hatten dabei private Investitionen in den Fokus gestellt.
Ukrainische Truppen haben am Donnerstag eine wichtige Brücke angegriffen, die das Festland mit der 2014 annektierten Halbinsel Krim verbindet. Die Brücke sei mit Raketen vom Typ Storm Shadow beschossen worden, teilte der von Russland für die Oblast Cherson eingesetzte Gouverneur, Wladimir Saldo, am Donnerstag mit. Die Straße sei beschädigt worden, der Verkehr werde umgeleitet. Opfer habe es nicht gegeben.
Ukraine sprengte Brücke
Die Reparatur der Brücke könnte nach russischen Angaben mehrere Wochen dauern. Das schätzt ein von Russland entsandter Mitarbeiter des Verkehrsministeriums der Nachrichtenagentur RIA zufolge. Von der ukrainischen Regierung war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, wieder die Kontrolle über die Krim zu erlangen und alle russischen Truppen von ihrem Staatsgebiet zu vertreiben.
"Die Terroristen in Kiew wollen die Bewohner von Cherson einschüchtern und Panik unter der Bevölkerung verbreiten, aber das wird ihnen nicht gelingen. Wir wissen, wie man Brücken schnell repariert: Die Durchfahrt für Fahrzeuge wird in naher Zukunft wiederhergestellt sein", sagte Saldo. Es gebe weiterhin eine Verbindung zwischen der Region Cherson und der Krim, eine Ersatzstrecke für Fahrzeuge sei eingerichtet worden.
Die Tschonhar-Brücke – auf Russisch Tschongar-Brücke – ist eine von drei Anfahrtsrouten von der Krim ins nördlicher gelegene und ebenfalls zu Teilen okkupierte Gebiet Cherson. Die Brücke, auch Tor zur Krim genannt, ist Teil einer Straße, die vom russischen Militär genutzt wird, um sich zwischen der Krim und anderen von Russland besetzten Teilen der Ukraine zu bewegen.
Für Moskau ist es strategisch wichtig, das Gebiet vom Westen des Asowschen Meeres bis zum Ostufer des Flusses Dnipro (Russisch Dnjepr) zu kontrollieren, sodass die Krim nicht abgeschnitten vom direkten Zugang zu Russland ist. Würde die Ukraine diese Verbindungen zerstören, könnte das für sie von Vorteil sein, um die Halbinsel zurückzuerobern oder dies als Druckmittel für mögliche Verhandlungen zu nutzen.