Bei einem neuen russischen Angriff mit Marschflugkörpern auf die ukrainische Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer sind Behörden zufolge mehrere Menschen getötet und weitere verletzt worden. Ein Kalibr-Geschoss sei in ein Lagergebäude eingeschlagen und habe dort einen Brand ausgelöst, schrieb das Oberkommando der ukrainischen Heeresgruppe Süd am Mittwoch auf Facebook. Drei Mitarbeiter des Lagers seien getötet, sieben verletzt worden.

Unter den Trümmern des Lagers könnten noch Menschen liegen. Odessa, das erneut von einem russischen Kriegsschiff aus dem Schwarzen Meer beschossen wurde, ist immer wieder Ziel von Angriffen der Russen. Auch am Samstag hatte es dort Tote bei einem Brand gegeben sowie mehr als zwei Dutzend Verletzte.

Vier Marschflugkörper abgeschossen

Insgesamt seien vier Marschflugkörper vom Typ Kalibr abgeschossen worden, teilte das Oberkommando in Odessa weiter mit. Im Ergebnis eines Luftkampfes und einer Explosionswelle seien ein Geschäftszentrum, ein Ausbildungsgebäude, ein Wohnkomplex, ein Imbiss und Geschäfte im Zentrum der Stadt beschädigt worden. Dabei habe es nach ersten Erkenntnissen sechs Verletzte gegeben, hieß es.

Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach dem tödlichen russischen Raketenangriff auf seine Heimatstadt Krywyj Rih eine stärkere Flugabwehr für die Ukraine und härtere Sanktionen gegen Russland gefordert. "Wir müssen zusammen mit unseren Partnern solche Bedingungen schaffen, dass russischer Terror unmöglich wird", sagte er Dienstagabend in seiner täglichen Videoansprache.

Dazu sei erstens die Anschaffung von noch mehr Flugabwehrsystemen und Kampfjets notwendig, zweitens müssten die Sanktionen gegen Russland konsequenter durchgesetzt werden. "Nehmen wir zum Beispiel eine der Raketen, die heute Krywyj Rih trafen, dann wurden etwa 50 Komponenten darin – hauptsächlich Mikroelektronik – in anderen Ländern hergestellt", sagte Selenskyj. Teilweise würden sie sogar in Partnerländern der Ukraine produziert und doch gelänge es Russland, an die Bauteile zu kommen. Die Firmen, die mit Moskau zusammenarbeiteten, seien bekannt.

Angemessene Reaktion gefordert

"Wenn jemand als Vermittler fungiert oder mit Russland zusammenarbeitet, damit Terroristen weiterhin Häuser in die Luft sprengen und Menschen töten können, dann verdienen solche Akteure – Unternehmen oder Staat – eine angemessene Reaktion der Welt", forderte Selenskyj. Es sei in jedem Fall billiger, die Sanktionen durchzusetzen, als ständig neue Raketenabwehrsysteme zu liefern, mahnte er den Westen.

Selenskyj ging zudem auf ein Treffen mit dem Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, in Kiew ein. Er bedankte sich für die Beobachtermission am von Russen besetzten Atomkraftwerk Saporischschja, forderte aber einmal mehr dessen Übergabe an die Ukraine, um die Sicherheit zu gewährleisten. Eine von Grossi angebotene Beobachtermission, die die Folgen der Zerstörung des Staudamms von Kachowka einschätzen soll, habe er angenommen. Geplant ist, dass Grossi am Donnerstag das AKW begutachtet.

IAEA-Chef Grossi sorgt sich um AKW-Zustand

Die russische Seite habe der IAEA-Delegation keine Erlaubnis erteilt, die Kampflinie zu überqueren, sagte der ukrainische Chefinspektor für die Atomaufsicht, Oleh Korikow, der Deutschen Presse-Agentur. Eine offizielle Mitteilung der IAEA in Wien dazu gab es zunächst nicht.

Grossi hatte in Kiew vor einem steigenden Risiko für das größte Atomkraftwerk Europas gewarnt. "Ich bin sehr besorgt. Ziemlich in der Nähe des Kraftwerks finden Kampfhandlungen statt", sagte er vor Journalisten. Dadurch erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass die ukrainische Anlage getroffen werden könnte. Grossi und sein Team wollten in Saporischschja unter anderem Klarheit über die Wasserversorgung des Kühlsystems in dem AKW gewinnen, nachdem durch die Zerstörung des Staudamms am Dnipro-Fluss der Pegelstand des aufgestauten Reservoirs gesunken ist.

Ex-Präsident Medwedew reagierte mit seiner Drohung, die Kabelverbindung zwischen Europa und den USA zu zerstören, auf Medienberichte, nach denen eine Spur für die Attacken auf die Nord-Stream-Pipelines vor einigen Monaten in die Ukraine führt und westliche Geheimdienste im Vorfeld über die Anschlagspläne informiert gewesen sein sollen. Die Ukraine weist eine Beteiligung zurück.

"Wenn man von der erwiesenen Komplizenschaft westlicher Länder bei der Sprengung der Nord-Stream-Leitungen ausgeht, dann haben wir gar keine – auch moralischen – Hindernisse mehr, die Vernichtung der am Ozeanboden verlegten Kabelverbindung unserer Feinde zu unterlassen", schrieb der Vize-Chef des russischen nationalen Sicherheitsrates in seinem Telegram-Kanal. Medwedew versucht immer wieder, mit kruden Drohungen bei russischen Ultranationalisten und Kriegstreibern zu punkten.