"Insgesamt wurde der Start von einer Rekordzahl an Kamikaze-Drohnen registriert: 54!", teilte der Pressedienst der ukrainischen Luftwaffe am Sonntagmorgen auf Telegram mit. Obwohl nach Angaben der Behörden 52 der unbemannten Fluggeräte abgeschossen werden konnten, gab es Tote zu beklagen.
Laut Militäradministration wurden allein über Kiew mehr als 40 Drohnen abgeschossen. Es sei bereits der 14. Angriff seit Anfang Mai, teilte Militärgouverneur Serhij Popko auf Telegram mit. Durch herabfallende Teile sei ein 41-jähriger Mann getötet und eine 35-jährige Frau verletzt worden, berichtete der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko in der Früh auf Telegram. Gemäß späteren Behördenangaben wurden zwei Menschen getötet und drei weitere verletzt. Mehrere Gebäude wurden beschädigt, es kam zu Bränden. Eines der Feuer sei auf einem Gebiet mit Lagerhallen ausgebrochen und habe sich auf einer Fläche von 1000 Quadratmetern ausgebreitet.
Historischer Stadtteil betroffen
"Es handelt sich um den bedeutendsten Drohnenangriff gegen die Hauptstadt seit Beginn der Invasion", erklärte die regionale Militäradministration auf Telegram. Dieser habe "in mehreren Wellen" stattgefunden, der Luftalarm habe mehr als fünf Stunden lang gedauert. Der Angriff erfolgte in der Morgendämmerung des letzten Sonntags im Mai, an dem die Hauptstadt den Kiewer Tag feiert, den Jahrestag der offiziellen Gründung der Stadt vor 1.541 Jahren. Dieser Tag wird üblicherweise mit Straßenfesten, Live-Konzerten und Ausstellungen begangen. Veranstaltungen sind auch in diesem Jahr geplant, wenn auch in kleinerem Rahmen.
Von den nächtlichen Angriffen waren nach offiziellen Angaben mehrere Stadtteile Kiews betroffen, darunter auch der historische Stadtteil Petschersk. Kiew ist mit Abstand die größte Stadt der Ukraine, in ihr leben rund drei Millionen Menschen. In den vergangenen Tagen hat Russland angesichts der erwarteten ukrainischen Gegenoffensive seine Angriffe wieder intensiviert.
Schäden wurden auch aus der Gebietshauptstadt Schytomyr, rund 120 Kilometer westlich von Kiew, gemeldet. Es habe aber keine Todesopfer gegeben, teilte Bürgermeister Serhij Suchomlyn auf seiner Facebook-Seite mit.
Drohnen Richtung Ölraffinerie
Neben den Drohnenangriffen meldeten die ukrainischen Behörden zudem den Artilleriebeschuss der Region Sumy an der Grenze zu Russland und der Stadt Nikopol im Gebiet Dnipropetrowsk. Nikopol liegt am Nordufer des Dnipro gegenüber Enerhodar, wo sich das von Russen seit Kriegsbeginn besetzte Atomkraftwerk Saporischschja befindet. Nikopol ist daher seit Monaten immer wieder unter Beschuss.
Die russische Luftabwehr fing am Sonntag nach offiziellen Angaben mehrere Drohnen ab, die in Richtung der Ölraffinerie Ilski in der russischen Region Krasnodar geflogen sind. "Alle wurden neutralisiert, die Infrastruktur der Anlage wurde nicht beschädigt", teilten Mitarbeiter des Notfalldienstes der Region auf Telegram mit. Wer die Drohnen gestartet hat, wird nicht genannt. Reuters konnte die Angaben nicht unabhängig überprüfen. Die Raffinerie liegt in der Nähe des Schwarzmeerhafens Noworossijsk und wurde in diesem Monat bereits mehrfach angegriffen. Die Region Krasnodar grenzt im Südwesten an das Schwarze Meer und im Nordosten an das Asowsche Meer, das mit dem Schwarzen Meer über die Straße von Kertsch verbunden ist. Am Samstag berichteten russische Medien, die Ukraine habe Ölpipelines im Nordwesten Russlands mit Drohnen angegriffen. Die Vorfälle hätten sich in den Regionen Twer und Pskow ereignet, die beide keine Grenze mit der Ukraine teilen.
Absage für russisches Verhandlungsangebot
Unterdessen erteilte die Ukraine russischen Forderungen für mögliche Verhandlungen zur Beendigung des Krieges erneut eine klare Absage. Die zivilisierte Welt müsse anerkennen, dass "Putin und seine Clique" keine legitimen Vertreter Russlands auf internationaler Bühne seien, sagte der Berater von Selenskyj, Mychajlo Podoljak. "Deshalb gibt es mit ihnen nichts zu besprechen", schrieb er im Nachrichtendienst Twitter. Russland müsse von allen internationalen Institutionen entfernt werden. "Wenn das Regime wechselt, werden wir mit den Nachfolgern sprechen."
Zuvor hatte der russische Vizeaußenminister Michail Galusin sieben Forderungen aufgestellt, um einen Frieden mit der Ukraine zu erreichen. Er nannte etwa das Ende der ukrainischen Kampfhandlungen und einen Stopp der westlichen Waffenlieferungen an das Land. Außerdem müsse die Ukraine auf einen Beitritt zur NATO und zur EU verzichten, sagte er der russischen staatlichen Nachrichtenagentur TASS. Neu ist die Forderung, dass die Ukraine auch Russisch als eine Amtssprache zulassen soll.
Podoljak bezeichnete die Forderungen als neuen Beweis der "Unfähigkeit der russischen Führung". Er zählte wiederum bei Twitter die Forderungen Kiews für Friedensgespräche auf, darunter der Abzug aller russischen Soldaten vom Gebiet der Ukraine und die Übergabe aller "Kriegsverbrecher" und "Initiatoren des Krieges" an das Land. Auf russischem Gebiet müsse es eine entmilitarisierte Zone geben und eine Reduzierung der Angriffswaffen. Zudem müsse Russland Reparationszahlungen leisten und atomar abrüsten.