Bei dem 40 Minuten langen Gespräch bat Selenskyj den Papst, den ukrainischen Friedensplan zu unterstützen. Der Pontifex erklärte, dass der Vatikan bei der Rückführung von den Russen entführter ukrainischer Kinder helfen wolle. Beim Gespräch traten aber auch deutliche Differenzen zutage, was eine Vermittlerrolle des Vatikans im Krieg betrifft.
"Der Papst und Selenskyj sind sich einig, dass die humanitären Bemühungen zur Unterstützung der Bevölkerung fortgesetzt werden müssen. Der Papst betonte insbesondere die dringende Notwendigkeit von Gesten der Menschlichkeit gegenüber den schwächsten Menschen, den unschuldigen Opfern des Konflikts", sagte Vatikan-Sprecher Matteo Bruni nach dem Treffen.
Kiew schätzt, dass seit Februar 2022 fast 19.500 Kinder nach Russland oder auf die russisch besetzte Krim gebracht wurden, was es als illegale Abschiebungen verurteilt. "Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die Kinder nach Hause zurückzubringen", sagte Selenskyj in einem Tweet und erklärte, er habe dies mit dem Heiligen Vater besprochen.
Vermittlerrolle als Konfliktpunkt
Keine Einigkeit gab es offenkundig, was eine Vermittlung des Vatikans im Krieg selbst betrifft. "Es war für mich eine Ehre, Seine Heiligkeit zu treffen, aber er kennt meine Position. Der Krieg ist in der Ukraine und der Friedensplan muss ukrainisch sein. Wir sind sehr interessiert daran, den Vatikan für unsere Friedensformel zu gewinnen", sagte Selenskyj am Abend im italienischen Fernsehen. In dem Zehn-Punkte-Plan werden die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine, der Abzug der russischen Truppen und die Einstellung der Feindseligkeiten sowie die Wiederherstellung der ukrainischen Staatsgrenzen gefordert. Selenskyj hatte zuletzt wiederholt erklärt, der Plan sei nicht verhandelbar.
"Bei allem Respekt für Seine Heiligkeit, wir brauchen keine Vermittler. Wir brauchen einen gerechten Frieden. Wir laden den Papst ebenso wie alle anderen Führer ein, für einen gerechten Frieden einzutreten, aber vorher müssen wir alles Übrige erledigen", sagte Selenskyj. Mit Blick auf einen möglichen Verhandlungsfrieden fügte er hinzu: "Mit Putin kann man nicht verhandeln, kein Staat der Welt kann das machen."
Papst Franziskus schenkte dem ukrainischen Präsidenten eine kleine Skulptur, die einen Olivenzweig, das Symbol des Friedens, darstellt. Der ukrainische Präsident überreichte dem Pontifex eine Ikone der Muttergottes, die auf Reste einer kugelsicheren Weste gemalt wurde. "Ich danke Ihnen für diesen Besuch", sagte der Papst, als er Selenskyj begrüßte. "Es ist eine große Ehre", antwortete der Präsident. Aufnahmen des Portals "Vatican News" zeigen, wie sich Selenskyj beim Beginn des Treffens vor seinem Gastgeber hinsetzte und zur Begrüßung einer weiteren Person nicht vom Platz erhob, während der Papst weiterhin stand. Bilder vom Gespräch zeigten Franziskus und seinen Gast in angespannter Haltung.
Der Papst setzt sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine für eine friedliche Lösung des Konfliktes ein. Eine Kiew-Reise hatte er nicht ausgeschlossen. Der Pontifex persönlich war es, der von einer möglichen vatikanischen Friedensmission zwischen Russland und der Ukraine sprach. Da sei etwas im Gange, teilte Papst Franziskus am 30. April im Luftraum zwischen Budapest und Rom der Weltpresse überraschend mit. Mehr dazu wollte er jedoch nicht sagen.
Selenskyj hatte sich am Samstag in Rom auch mit Staatspräsident Sergio Mattarella und mit Ministerpräsidentin Giorgia Meloni getroffen. "Wir sind für den Frieden, unser Sieg ist der Frieden", betonte Selenskyj. Der italienische Präsident unterstrich: "Der Frieden, für den wir alle arbeiten, muss Gerechtigkeit und internationales Recht wiederherstellen. Es muss ein echter Frieden sein und keine Kapitulation".
Italien unterstützt weiter mit Waffenlieferungen
"Die Zukunft der Ukraine ist eine Zukunft der Frieden und der Freiheit in Europa", sagte Premierministerin Meloni, die der Ukraine volle Unterstützung mit Waffenlieferungen und humanitärer Hilfe garantierte.
Der ukrainische Präsident wurde zum Abschluss seines Rom-Besuches vom Starjournalisten Bruno Vespa für den Sender RAI 1 interviewt. Dabei betonte Selenskyj, dass er nicht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin reden werde und dass eine Gegenoffensive notwendig sei, um die Russen aus dem ukrainischen Gebiet zu vertreiben. Der Ausweg aus der aktuellen Situation sei eine "Gegenoffensive". "Wenn wir an der Grenze zur Krim sind, wird Putins Unterstützung in Russland schwinden und er wird einen Ausweg finden müssen. Es ist nicht mehr lange hin", sagte der ukrainische Präsident.
Putin werde keine Atomwaffen einsetzen, meinte Selenskyj. "Niemand kann wissen, was dem russischen Präsidenten durch den Kopf geht, aber wir sollten keine Angst haben. Putin will leben und er wird alles tun, um zu leben", sagte Selenskyj.