Nach der Veröffentlichung brisanter US-Informationen zum Krieg in der Ukraine bemüht sich die US-Regierung um Aufklärung und versucht, ihre Verbündeten zu beruhigen. "Wir werden jeden Stein umdrehen, bis wir den Ursprung und das Ausmaß des Vorfalls herausgefunden haben", sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Dienstag in Washington. Sowohl er als auch US-Außenminister Antony Blinken sagten, sie hätten mit ihren ukrainischen Kollegen gesprochen.
"Wir nehmen die Sache sehr, sehr ernst"
Austin sagte, er habe am vergangenen Donnerstag von dem Datenleck erfahren. "Ich wurde erstmals am Morgen des 6. April über die Berichte über die unbefugte Weitergabe von sensiblem und geheimem Material unterrichtet." Seitdem habe er sich täglich mit leitenden Mitarbeitern seines Ministeriums beraten und Sofortmaßnahmen ergriffen. "Wir haben die Angelegenheit an das Justizministerium weitergeleitet, das eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet hat." Solange die Untersuchungen liefen, könne er sich nicht näher äußern. Er betonte aber: "Wir nehmen die Sache sehr, sehr ernst."
Außenminister Blinken sagte, er habe am Dienstag mit seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba gesprochen. "In unserem Gespräch habe ich neben anderen Dingen unsere anhaltende Unterstützung für die Ukraine und ihre Anstrengungen, ihre territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit zu verteidigen, bekräftigt."
Seit Wochen kursieren im Internet offensichtlich geheime Dokumente von US-Stellen zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. US-Medien berichten seit Tagen über sensibles Material zu beiden Kriegsparteien, ohne die Dokumente selbst zu veröffentlichen. Unklar ist, wer die schon vor Wochen bei prorussischen Kanälen verbreiteten Dokumente publiziert hat. Das Investigativ-Netzwerk Bellingcat wies nach, dass sie teils nachträglich manipuliert wurden.
Die Dokumente enthalten nach Berichten von US-Medien Informationen zu Waffenlieferungen an die Ukraine und Angaben zum Munitionsverbrauch. Es gibt auch Landkarten, auf denen der Frontverlauf sowie Standorte russischer und ukrainischer Truppen sowie deren Personalstärke eingezeichnet sind. Informationen gibt es auch zu vermeintlichen Plänen der Nato und der USA, wie das ukrainische Militär auf eine Frühlingsoffensive vorbereitet werden könnte.
Ein Sprecher des Pentagons hatte die Veröffentlichung der Dokumente am Montag als ein "sehr ernstes Risiko für die nationale Sicherheit" bezeichnet. Die im Netz aufgetauchten Bilder ähnelten Dokumenten, mit denen hochrangige Führungskräfte täglich über die Ukraine und russlandbezogene Operationen informiert werden, sagte Pentagon-Sprecher Chris Meagher. "Einige dieser Bilder scheinen verändert worden zu sein." Er rief dazu auf, mit der Verbreitung der Inhalte vorsichtig zu sein. Die Offenlegung sensibler Verschlusssachen könne "enorme Auswirkungen nicht nur auf unsere nationale Sicherheit haben, sondern auch dazu führen, dass Menschen ihr Leben verlieren".
Dokumente wurden auch fotografiert
Bei der Suche nach dem Ursprung des Datenlecks könnte es den Ermittlern laut der "New York Times" helfen, dass die Dokumente anscheinend zunächst fotografiert und dann erst ins Internet gestellt worden seien. Dies sei ein eher schlampiges Verfahren, das darauf hindeuten könnte, dass die Urheber nur wenige Schritte gemacht hätten, um ihre Aktion zu verbergen und möglicherweise einen elektronischen Fingerabdruck hinterlassen hätten, berichtete die Zeitung am Dienstag unter Berufung auf Geheimdienstexperten. Auf diese Weise könnten etwa die Datums- und Zeitstempel der Bilder verfolgt oder die IP-Adressen der benutzten Computer ermittelt werden, sofern diese nicht getarnt worden seien.
Zudem könne der Kreis jener reduziert werden, die Zugang zu dem brisanten Material gehabt haben könnten. Die Dokumente seien in eigenständigen Computersystemen enthalten gewesen, die nicht mit dem Internet verbunden seien. Diese Computer befinden sich demnach in gesicherten Arbeitsbereichen, in denen elektronische Geräte verboten sind, mit denen Fotos, Videos oder Audioaufnahmen gemacht werden können.
Dennoch müssten Hunderte oder gar Tausende infrage kommende Personen mit Zugangsrechten befragt werden, sagte ein früherer hochrangiger US-Antiterrorbeamter dem Blatt. Ein anderer erläuterte, die Ermittler würden nun versuchen, jene durchgesickerten Dokumente zu identifizieren, die nur einer kleineren Gruppe von Empfängern zugänglich gewesen seien, um so die Untersuchung einzugrenzen.