Wäre Pekings groß angekündigter Friedensplan für die Ukraine eine Doktorarbeit, dann wäre sein Verfasser mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Es ist auf den ersten Blick ersichtlich, dass die zwölf Punkte, die das chinesische Außenministerium ins Netz stellte, lediglich eine Zusammenfassung öffentlicher Stellungnahmen von Xi Jinping und anderen chinesischen Politikern aus dem Vorjahr sind.
Mit der Methode Copy-and-paste schnell ein Konvolut zusammengebastelt – dafür gibt es vom EU-Botschafter in Peking bereits das erste "Nicht genügend". "Das ist kein Friedensplan, sondern bestenfalls ein altbekanntes Positionspapier", sagt EU-Botschafter Jorge Toledo nur zwei Stunden nach der Veröffentlichung, "da kommt nicht einmal das Wort Aggressor vor, was eigenartig ist und betroffen macht."
Tatsächlich wird der Ukraine-Krieg in dem chinesischen Positionspapier nicht als Krieg bezeichnet, sondern lediglich als Krise. Zwar spricht China von der territorialen Integrität, auf die jeder Staat ein Anrecht hat, aber mit keinem Wort wird erwähnt, dass Russland genau diese territoriale Integrität der Ukraine mit Füßen getreten hat. Dazu kommen noch die sublimen Schuldzuweisungen an den Westen, wenn von der "Mentalität des Kalten Krieges" die Rede ist.
Kommentar
Kein Vermittlungsangebot
Das 12-Punkte-Papier Pekings beinhaltet weder konkrete Vermittlungsangebote noch einen Zeitplan für Vermittlungsversuche. Alles sehr unverbindlich, alles sehr vage. Die Rolle als Friedenstifter in einem gefährlichen Konflikt – das käme dem Selbstverständnis Chinas als neue Weltmacht tatsächlich sehr gelegen. Wenn da nicht diese weltpolitische Versuchung wäre, gemeinsam mit Russland die Vorherrschaft der USA zu brechen. Chinas Drahtseilakt ist mit erheblicher Absturzgefahr verbunden – das wird mit dem großspurig angekündigten, aber harmlosen Positionspapier allzu deutlich.
Und wie man das Papier auch dreht und wendet, es fällt immer auf die Seite Russlands. Von einer neutralen Haltung, wie man sie von einem Friedensvermittler erwarten würde, ist China meilenweit entfernt. Die Geschäftsträgerin der ukrainischen Botschaft in Peking, Zhanna Leshchynska, will das chinesische Positionspapier nicht voreilig bewerten, aber von einer neutralen Haltung Chinas in diesem Krieg kann auch sie nichts bemerken. "Xi Jinping kontaktiert ständig Wladimir Putin, hat aber kein einziges Mal Kontakt mit Wolodymyr Selenskyj aufgenommen", sagt Leshchynska, "wir erklären dem chinesischen Außenministerium immer wieder, dass Neutralität auch bedeutet, dass man beide Seiten anhört."
Bei aller Unterstützung für Russland – eines scheint China dennoch wirklich zu scheuen: eine weitere Eskalation. Das spürt man auch zwischen den Zeilen, wenn von der atomaren Bedrohung die Rede ist. Hier wird sogar Klartext geschrieben, indem man einen möglichen Atomkrieg auch als Krieg bezeichnet, den es unbedingt zu vermeiden gilt. Eine subtile Warnung an Putin: Wir unterstützen dich zwar, wo es geht, aber Hände weg vom Atomknopf!
Keine Entschärfung der Rhetorik
Drohungen hier, rote Linien da. Mit dem 12-Punkte-Papier ist China nicht einmal eine Entschärfung der Rhetorik gelungen, geschweige denn ein Ausweg aus dem Kriegsgeschehen in der Ukraine. Wer bisher gehofft hatte, dass China zur Entschärfung der Lage beitragen könnte, ist bereits zum zweiten Mal enttäuscht worden. Beim ersten Mal starb die Hoffnung, dass China die wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen wichtiger sein könnten als eine Unterstützung Russlands. China setzte unverhohlen auf die russische Karte. Und nun stirbt auch die Hoffnung, dass China als Friedensvermittler auftreten könnte.
Selenskyj: Kein Gespräch mit Putin – Treffen mit Xi möglich
Indessen hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum Jahrestag des Kriegsbeginns sein striktes Nein zu einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin bekräftigt. Deutschland, Frankreich und Großbritannien wollen die Ukraine zur Aufnahme von Friedensgesprächen mit Russland ermutigen.
Josef Dollinger (Peking)