Es war ein starker Auftritt: Wolodymyr Selenskyj machte seinem öffentlichen Image als "tough guy" alle Ehre. Im militärisch-olivgrünen Pullover plädierte der ukrainische Präsident am Mittwoch vor dem US-Kongress für Unterstützung im Verteidigungskampf gegen Russland. Beide Länder stünden zusammen im Kampf für die Freiheit, sagte er, immer wieder unterbrochen von Beifall vieler Volksvertreter. Zuvor hatte Selenskyj von US-Präsident Joe Biden — dem er einen Militärorden überreichte, ein eisernes Kreuz, das ein ukrainischer Soldat an der Front getragen hatte - die Zusage für die Lieferung des Patriot-Flugabwehrsystem bekommen. Das ist die erste Fahrt des ukrainischen Präsidenten ins Ausland seit der russischen Invasion vor 300 Tagen.
Video: Wolodymyr Selenskyj spricht im US-Kongress
Zwei Minuten und 19 Sekunden feiern Abgeordnete beider Parlamentskammern den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch (Ortszeit) mit Applaus vor einer Rede, die Geschichte schreiben dürfte. Es geht um Widerstand, Freiheit und den militärischen Sieg über Russland.
"Trotz aller Widrigkeiten und Untergangsszenarien ist die Ukraine nicht gefallen", ruft Selenskyj den Abgeordneten unter immer wieder aufbrandendem Jubel entgegen. "Die russische Tyrannei hat die Kontrolle über uns verloren". Auch heute tritt er - ganz Kriegspräsident - in einem olivgrünen Militärpullover mit dem Emblem des Oberbefehlshabers auf. Er macht klar, dass er mehr Waffen braucht, während sich eine neue Phase im bald einjährigen Ukraine-Krieg abzeichnet.
Die neuen Abwehrwaffen für die Ukraine sollen 1,8 Milliarden Dollar kosten. Damit summieren sich gesamten Hilfsleistungen der USA an die Ukraine auf rund 50 Milliarden Dollar. Das stößt im Kongress, vor allem unter Republikanern durchaus auf Kritik. "In diesem Jahr sind sind mehr Amerikaner durch die Droge Fentanyl gestorben, die über die mexikanische Grenze geschmuggelt wurden, als Ukrainer von Russen getötet werden. Stellt euch ein Land vor, wo sich der Präsident um seine eigenen Bürger kümmert", sagte Mike Garcia, republikanischer Abgeordneter aus Kalifornien.
"Euer Geld ist keine Wohlfahrt"
Dem versuchte Selenskyj, entgegenzutreten. "Euer Geld ist keine Wohlfahrt", sagte er. "Es ist eine Investition in globale Sicherheit und Demokratie, das wir mit großer Verantwortung behandeln." Der Ozean, fügte er hinzu, werde Amerika nicht schützen. Die meisten Demokraten stehen hinter Biden und Selenskiy, sogar der alte Linke Bernie Sanders. Es gibt nur ein paar Abweichler beim so genannten "Squad", dem jungen linken Flügel, aber dessen Einfluss ist begrenzt.
Die Republikaner hingegen sind gespalten. Die alte Garde in Washington ist für die Unterstützung der Ukraine. Dazu zählt etwa Ex-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, vor allem aber der mächtige Führer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell. Genauso denken Neokonservative wie Liz Cheney.
Trump-Anhänger und Amerika Firster allerdings, die bei den Republikanern immer noch die Mehrheit haben, sind dagegen. Lauren Boebert und Marjorie Taylor-Greene, zwei rechtspopulistische Abgeordnete, wollen der Ukraine explizit keinen Cent mehr geben. Aber auch Realos warnen vor einer Eskalation. Darunter ist Reagans früherer Finanzchef David Stockman, der die Ukrainer aufforderte, Selenskyj abzuwählen und eine Regierung einzusetzen, die mit Putin verhandeln wolle.
Nur völliger Russen-Rückzug zählt
Biden allerdings will diesbezüglich keinen Druck auf Selenskyj machen, und dieser weist Kompromisse weit von sich. Es gebe keinen gerechten Frieden, er werde nur den völligen Rückzug Russlands akzeptieren, dazu Reparationen für alle Schäden, die Russland angerichtet habe, sagte er. Im Januar allerdings werden die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus haben, und der Kongress bestimmt über die Gelder. "Ich unterstütze die Ukraine, aber einen Blankoscheck wird es mit mir nicht geben"; sagte Kevin McCarthy, der Führer der Republikaner im Repräsentantenhaus.
Seit Selenskyjs letztem Besuch in Washington sind keine anderthalb Jahre vergangen - aber für den ukrainischen Präsidenten dürfte es sich wie ein halbes Leben anfühlen. Im Sommer 2021 war er zuletzt hier, damals noch schick im Anzug. Es ging bei dem Treffen mit US-Präsident Joe Biden auch um die Furcht vor einem russischen Angriff. Die Befürchtungen von damals haben sich bewahrheitet.
Selenskyj wird das Zitat zugeschrieben, er "brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit". Das war zu Beginn des Krieges, als die USA ihn aus Kiew in Sicherheit bringen wollten, der 44-Jährige sich aber weigerte und den Widerstand antrieb. Zehn Monate später wird er dafür auch in den USA als Held gefeiert - und für die Visite in Washington nahm er dann tatsächlich eine US-Regierungsmaschine.
Die USA sind auch in der Ukraine-Frage gespalten
Selenskyj reist in ein gespaltenes Land, was die Unterstützung für die Ukraine angeht. Das betrifft nicht nur den Kongress, sondern viele Amerikaner. Zu Beginn des Krieges erschien die blau-gelbe ukrainische Flagge überall; auf Gebäuden, Straßen, im Fernsehen. Prominente plädierten für die Ukraine. Nun hat die Begeisterung nachgelassen. Viele Bürger murren über die hohen Kosten, vor allem angesichts der galoppierenden Inflation und gestiegenen Benzinpreisen. Sie fordern, dass das Geld zuhause ausgegeben wird, für Gesundheitsvorsorge, Schulen oder Infrastruktur. Schon deshalb würde Biden den Teufel tun, US-Truppen zu schicken.
Gespalten sind auch die Medien, wenngleich die großen liberalen Zeitungen — New York Times, Washington Post — Selenskyj unterstützen. Ihnen gilt der frühere Comedian als mutiger Volksheld, als Widerstandskämpfer gegen ein aggressives Russland. Time Magazine ernannte ihn zur Person des Jahres 2022. Der britische Journalist Andrew Marr verglich ihn in der New York Times mit Winston Churchill; beide hätten ähnliche Durchhalteparolen während des Krieges ausgegeben.
Dritten Weltkrieg verhindert
Ähnlich das Wall Street Journal, das dem konservativen Medienzar Rupert Murdoch gehört: Hier appellierte der Churchill-Biograf Andrew Roberts an die Republikaner in Amerika, Selenskyj zu überstützen. Noch entschiedener sind neokonservative Journalisten wie Anne Applebaum im Atlantic oder Max Boot. Biden könne als großartiger Präsident in die Geschichte eingehen, ähnlich wie Harry Truman, der den Dritten Weltkrieg verhindert habe, schreibt Boot in der Washington Post.
Eine erstaunliche Kehrtwende seit den Tagen von Truman, als die Republikaner streng anti-sowjetisch waren, während der linke Flügel der Demokraten um Verständnis warb. Neu ist die Strategie der USA allerdings nicht, eine Kriegspartei durch Waffenlieferungen, Ausbildern und Berater zu unterstützen: So fing der Krieg in Vietnam an. Henry Kissinger, Außenminister des letzten Kriegspräsidenten Richard Nixon warnt heute vor einer Eskalation in der Ukraine.
Eva Schweitzer (New York)