Nach den russischen Angriffen auf die Infrastruktur in der Ukraine sind Teile der Hauptstadt Kiew und andere Regionen im Land zunächst weiterhin ohne Zugang zu Strom und fließendem Wasser geblieben. Mehr als zwei Drittel Kiews seien noch von der Stromversorgung abgeschnitten, erklärte Bürgermeister Vitali Klitschko am Donnerstag. Bei erneutem russischen Beschuss in Cherson und Wyschgorod starben am Donnerstag mindestens zehn Menschen.
Am Mittwoch hatte Kiew erneut heftige russische Raketenangriffe auf wichtige Infrastruktur in der Hauptstadt Kiew gemeldet. Dabei seien insgesamt "acht Energieanlagen" getroffen worden, erklärte der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin. Zehn Menschen seien getötet und 50 weitere verletzt worden.
In 15 Regionen Versorgungsprobleme
In rund 15 Regionen gebe es Probleme mit der Strom- und Wasserversorgung, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. "Die Stromversorgung bleibt in fast allen Regionen schwierig", erklärte er. Stündlich könnten jedoch weitere Haushalte wieder mit Strom beliefert werden. 70 Prozent der Hauptstadt seien weiterhin ohne Elektrizität, erklärte Bürgermeister Klitschko. Die Wasserversorgung wurde nach Angaben der Stadtverwaltung im Laufe des Tages jedoch wiederhergestellt.
Russland wies jegliche Verantwortung für Zerstörungen in der Hauptstadt zurück. "Nicht ein einziger Schlag" sei innerhalb Kiews erfolgt, erklärte das russische Außenministerium am Donnerstag. Jedwede Zerstörung sei das Ergebnis von Raketen, die "ausländische und ukrainische Luftabwehrsysteme" von bewohnten Gebieten der ukrainischen Hauptstadt aus abgeschossen hätten. Das Ministerium sprach allerdings von "massiven Schlägen" auf die "Militärführung der Ukraine" und "damit verbundene Energieeinrichtungen".
Temperaturen um den Gefrierpunkt
In der Stadt herrschen in diesen Tagen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Präsident Selenskyj verurteilte die Angriffe, die ukrainische Bürger in der Kälte träfen: "Wenn wir Temperaturen unter Null Grad haben und Millionen von Menschen ohne Energieversorgung, ohne Heizung und ohne Wasser sind, ist das ein offenkundiges Verbrechen gegen die Menschlichkeit", sagte er am Mittwoch in seiner Videoansprache vor dem UN-Sicherheitsrat in New York.
Infolge des russischen Beschusses waren auch drei ukrainische Atomkraftwerke vom Stromnetz getrennt worden. Am Donnerstag vermeldete das ukrainische Energieministerium, dass die drei Anlagen am Morgen wieder ans Netz angeschlossen werden konnten.
Auch in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine im Osten des Landes, gab es nach Angaben des örtlichen Regionalgouverneurs Probleme mit der Elektrizität und "Strom-Notabschaltungen". Nach "sehr schwierigen" Arbeiten sei die Stromversorgung am Donnerstag wiederhergestellt worden, sagte Bürgermeister Igor Terechow.
Shutdowns angekündigt
Etwa die Hälfte der ebenfalls im Zentrum gelegenen Region Dnipropetrowsk verfüge über Strom, gab deren Gouverneur Valentin Resnitschenko an. Er warnte, dass es Shutdowns geben werde, um das Stromnetz zu entlasten. Auch in anderen Landesteilen, darunter die Regionen Riwne, Tscherkassy, Kirowograd und Schytomir, liefen Reparaturarbeiten.
Die russischen Truppen setzten ihren Beschuss am Donnerstag fort. Bei Bombenangriffen auf die südukrainische Stadt Cherson wurden mindestens sieben Menschen getötet und 20 weitere verletzt. In Wyschgorod kamen nach ukrainischen Angaben bei russischen Angriffen sechs Menschen ums Leben, 30 weitere wurden verletzt.
"Wir haben neun Monate lang einen umfassenden Krieg überstanden, und Russland hat keinen Weg gefunden, uns zu brechen. Und es wird keinen finden", sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. "Wir müssen weiterhin standhaft bleiben."
Befreiung der Krim ist Kriegsziel
Trotz westlicher Skepsis hält Selenskyj an einer Befreiung der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim als Kriegsziel fest. "Wenn uns jemand einen Weg aufzeigt, wie die Besetzung der Krim mit nicht-militärischen Mitteln beendet werden kann, dann werde ich sehr dafür sein", sagte er der britischen Zeitung "Financial Times". Wenn ein Vorschlag aber bedeute, dass die Krim besetzt und Teil Russlands bleibe, "sollte niemand darauf seine Zeit verschwenden".
Westliche Unterstützer der Ukraine gehen davon aus, dass diese irgendwann die von Russland seit dem 24. Februar besetzten Gebiete sowie den Donbass zurückerobern kann. Sie sind aber vorsichtiger bei der Krim: Die Halbinsel sei für Moskau strategisch und symbolisch so wichtig, dass eine Eskalation des Krieges zu befürchten sei.
Weißrussland schließt Einsatz aus
Der autoritäre belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko schließt indes einen direkten Einsatz seiner Armee im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aus. "Wenn wir uns unmittelbar mit den Streitkräften, mit Soldaten in diesen Konflikt einmischen, tragen wir nichts bei, wir machen es nur noch schlimmer", sagte Lukaschenko nach einer Meldung der Agentur Belta vom Donnerstag. Belarus unterstütze Russland, seine Rolle sei aber eine andere.
Lukaschenko hat sein von Moskau abhängiges Land als Aufmarschgebiet für russische Truppen zur Verfügung gestellt. Die Ukraine betrachtet das Nachbarland deshalb als Kriegspartei und hält Truppen in Reserve für den Fall, einen direkten Angriff aus Belarus abwehren zu müssen.
Der russische Präsident Wladimir Putin sagte unterdessen in Moskau, Russland brauche zur Versorgung seiner Streitkräfte in dem Konflikt keine Kriegswirtschaft. Die Rüstungsindustrie solle die Truppe schneller und mit besseren Produkten beliefern, forderte er. Dafür seien aber keine außerordentlichen Maßnahmen notwendig. "Man muss die Arbeit nur genau, qualitätvoll, gut koordiniert organisieren", wurde er von der staatlichen Agentur Tass zitiert.