Die deutsche Bundesregierung soll nach Aussage des britischen Ex-Premierministers Boris Johnson vor Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine für eine rasche Aufgabe des angegriffenen Landes plädiert haben. Die Äußerungen von Johnson sorgten am Mittwoch für Aufsehen. Die Aussagen machte Johnson laut CNN bereits am Montag in einem Gespräch mit Moderator Richard Quest in Lissabon. Berlin wies die Aussagen umgehend zurück.
"Die deutsche Ansicht war zu einem bestimmten Zeitpunkt, dass es besser wäre - wenn es (der russische Angriff) denn passieren würde, was eine Katastrophe wäre -, wenn die ganze Sache schnell vorbei wäre und die Ukraine aufgeben würde", zitierte der US-Sender CNN den früheren Regierungschef. "Das konnte ich nicht unterstützen, ich hielt das für eine katastrophale Sichtweise", sagte Johnson demnach. "Aber ich kann verstehen, warum sie so dachten und fühlten, wie sie es taten." Deutschland habe dafür "alle möglichen stichhaltigen wirtschaftlichen Gründen" vorgebracht.
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit hielt dem entgegen: "Wir wissen, dass der sehr unterhaltsame frühere Premier immer ein eigenes Verhältnis zur Wahrheit hat - das ist auch in diesem Fall nicht anders." Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung insgesamt hätten sich für substanzielle Waffenlieferungen an die Ukraine entschieden, von daher "sprechen die Fakten gegen diese Unterstellung".
Ex-Premier Johnson, der während des Krieges mehrmals nach Kiew reiste, sagte weiters, der russische Aufmarsch an den ukrainischen Grenzen sei ein Schock gewesen. "Wir konnten sehen, wie die Menge der russischen taktischen Bataillonsgruppen zunahm, aber verschiedene Länder hatten sehr unterschiedliche Ansichten", sagte Johnson. Viele westliche Regierungen hatten vor dem russischen Angriff befürchtet, dass die Ukraine aufgrund der Übermacht des russischen Militärs innerhalb weniger Tage geschlagen sein könnte.
Der ehemalige Regierungschef kritisierte auch Frankreich und Italien für ihre Haltungen vor Kriegsausbruch. Mit dem russischen Angriff am 24. Februar hätten sich die Ansichten aber geändert, betonte Johnson. "Was passierte, war, dass alle - Deutsche, Franzosen, Italiener, alle, (US-Präsident) Joe Biden - sahen, dass es einfach keine Option gab. Weil man mit diesem Typen nicht verhandeln konnte", sagte Johnson mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. "Das ist der springende Punkt." Johnson lobte vor allem die Reaktion der EU als "brillant".