Das AKW Saporischschja im Süden der Ukraine ist nach russischem Beschuss vom Stromnetz getrennt. Die verbliebenen Hochspannungsleitungen seien getroffen und beschädigt worden, teilt der ukrainische Betreiber Energoatom mit. Das AKW werde nur noch über Dieselgeneratoren versorgt. Berichte über schwere Explosionen gibt es aus der russisch besetzten Stadt Melitopol. Angriffe gab es zudem im Donbass sowie in der Zentralukraine.

Größtes AKW in Europa

Das Atomkraftwerk Saporischschja ist das größte in Europa. Der Diesel-Vorrat für die Generatoren reiche für 15 Tage, hieß es. Das AKW ist seit Längerem von russischen Truppen besetzt, wird aber von den ukrainischen Beschäftigten betrieben. Das Gelände des Kraftwerkes in der Stadt Enerhodar wurde wiederholt getroffen, wofür sich die Kriegsparteien gegenseitig verantwortlich machen. Sie werfen einander vor, damit eine atomare Katastrophe zu riskieren.

Unklar ist die Lage in Melitopol. Zwar bestätigten Vertreter beider Seiten die Explosionen, die Darstellungen darüber gehen aber auseinander. Die russische Flugabwehr habe anfliegende ukrainische Raketen abgeschossen, schrieb etwa ein Vertreter der Besatzungsverwaltung auf Telegram. Der vertriebene ukrainische Bürgermeister von Melitopol, Iwan Fedorow, sagte hingegen, es sei ein Fabrikgebäude mit einem russischen Stab darin beschossen worden. Russland nutzt Melitopol als Verwaltungssitz für das teilweise eroberte Gebiet Saporischschja, das es für annektiert erklärt hat.

Neuerliche Angriffe

Der ukrainische Generalstab berichtete zudem in seinem morgendlichen Lagebericht von russischen Angriffen bei den Städten Bachmut und Awdijiwka im Donbass. Aus der zentralukrainischen Stadt Krywyj Rih wurden Zerstörungen an einem Objekt der Stromversorgung gemeldet. Dort sei eine russische Drohne eingeschlagen. Auch Sumy und Charkiw im Nordosten seien angegriffen worden.

In den Regionen Luhansk und Donezk im Osten hielten die Kämpfe ebenfalls an. "Der Feind versucht, die vorübergehend eroberten Gebiete zu halten", teilte der ukrainische Generalstab mit. "Er konzentriert seine Bemühungen darauf, die Aktionen der Verteidigungskräfte in bestimmten Gebieten einzudämmen."

Nach enormen Verlusten fehlen Russland nach Einschätzung britischer Geheimdienste offenbar moderne Kampffahrzeuge. Russische Soldaten seien mutmaßlich frustriert, dass sie alte Infanterie-Fahrzeuge nutzen müssten, die "Aluminiumdosen" genannt würden, hieß es am Donnerstag im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.

Mitte Oktober hätten die russischen Einheiten im Angesicht ukrainischer Gegenangriffe mehr als 40 Fahrzeuge pro Tag verloren, was den Briten zufolge etwa der Ausrüstung eines gesamten Bataillons entspricht. In den vergangenen Woche habe Moskau mindestens 100 zusätzliche Panzer und Infanterie-Kampffahrzeuge aus weißrussischen Beständen gekauft. Mutmaßlich sei es jedoch schwierig für die russischen Einheiten, ausreichend geeigneten Ersatz für das beschädigte Material zu beschaffen, was der Offensive Probleme bereite.

UN: Krieg führte zu größter Vertreibung seit Jahrzehnten

Russlands Einmarsch in die Ukraine hat nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zur größten Vertreibung von Personen seit Jahrzehnten geführt. "Etwa 14 Millionen Menschen wurden seit dem 24. Februar aus ihren Häusern vertrieben", sagte UNHCR-Chef Filippo Grandi am Mittwoch (Ortszeit) in New York. Und die Situation verbessere sich vor einem mutmaßlich harten Winter nicht.

"Die durch Angriffe verursachte Zerstörung der zivilen Infrastruktur, die während wir hier sprechen weitergeht, lässt die humanitäre Hilfe schnell wie einen Tropfen auf den heißen Stein der Not erscheinen", so der Italiener Grandi weiter. Die humanitäre Hilfe müsse weiter ausgeweitet, der "sinnlose" Krieg beendet werden.

Wegen der Kriegsschäden an Strom- und Wärmeversorgung hatte die ukrainische Regierung ins Ausland Geflüchtete zuletzt dazu aufgefordert, erst im kommenden Frühjahr zurückzukehren. Dem UNHCR zufolge haben mehr als sieben Millionen Menschen aus der Ukraine im Ausland Schutz gesucht.