"Die Nato beobachtet die Situation in der Ostsee genau", sagte ein Vertreter des Bündnisses am Dienstag. Aus den Pipelines Nord Stream 1 und 2 von Russland nach Deutschland tritt derzeit an drei Stellen in der Nähe der Insel Bornholm unkontrolliert Gas aus.
Die dänische Marine veröffentlichte Aufnahmen, auf denen eine großflächige Blasenbildung an der Meeresoberfläche zu sehen ist. An einer Stelle seien die Blasen demnach auf einer kreisförmigen Fläche von einem guten Kilometer Durchmesser zu beobachten, erklärte das Militär.
Zu einer möglichen Ursache der Lecks lagen von offizieller Seite bisher keine Angaben vor. Wie andere sprach die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen von einem möglichen Sabotageakt: "Ein Zufall ist kaum vorstellbar." Nach der Beschädigung der Nord-Stream-Gaspipelines unter der Ostsee sind in Dänemark und Schweden Krisenstäbe einberufen worden.
Messstationen in Schweden und Dänemark haben einem Medienbericht zufolge vor dem Entstehen der Nord-Stream-Gaslecks kräftige Detonationen unter Wasser verzeichnet. Es bestehe kein Zweifel daran, dass es sich um Sprengungen oder Explosionen handle, sagte der Seismologe Björn Lund vom Schwedischen Seismologischen Netzwerk (SNSN) dem schwedischen Rundfunksender SVT.
Die Ukraine macht Russland für die Lecks an den beiden Nord-Stream-Pipelines verantwortlich. "Das ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terrorakt und ein Aggressionsakt gegen die EU", schrieb der externe Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, beim Kurznachrichtendienst Twitter am Dienstag. Moskau wolle damit die wirtschaftliche Situation in Europa destabilisieren und "Panik vor dem Winter" erzeugen.
Preis deutlich gestiegen
Der Preis für europäisches Erdgas ist am Dienstag deutlich gestiegen. Für Auftrieb sorgte, dass an den beiden Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 mehrere Lecks entdeckt wurden. Am Vormittag stieg der Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas bis auf rund 194 Euro je Megawattstunde. Das waren etwa zwölf Prozent mehr als am Vortag. Zuletzt lag der Preis bei 190 Euro. Der TTF-Kontrakt gilt als Richtschnur für das Preisniveau am europäischen Erdgasmarkt.
Wie dänische Behörden am Dienstag mitteilten, wurden an den beiden Gaspipelines, die von Russland nach Deutschland verlaufen, insgesamt drei Lecks entdeckt. Die Ursache ist bisher unklar. Die Betreibergesellschaft Nord Stream bezeichnete die Schäden als "beispiellos" und sah sich außerstande anzugeben, wann ein Betrieb wieder möglich sein könnte.
Krisenstäbe einberufen
In Dänemark und in Schweden sind Krisenstäbe einberufen worden. Am Dienstagabend waren virtuelle Treffen zwischen Vertretern jeweiligen Staatsführungen geplant. Als man von den Lecks erfahren habe, sei das Krisenmanagement zusammengerufen worden, an dem mehrere Ministerien und Behörden beteiligt seien, sagte die schwedische Außenministerin Ann Linde. Der dänische Außenminister Jeppe Kofod habe sie kontaktiert, virtuelle Treffen seien am Abend geplant. Auf die Frage, was genau passiert sei, sagte sie: "Ich möchte nicht darüber spekulieren. Man muss ganz sicher sein, was passiert ist und wie das unsere Sicherheit beeinflusst."
Auch im benachbarten Dänemark versammelten sich Vertreter mehrerer Behörden im nationalen operativen Stab, um den weiteren Umgang mit den Lecks in den Leitungen Nord Stream 1 und 2 zu erörtern.
Druckprobleme in beiden Röhren
Innerhalb von 24 Stunden haben beide derzeit ungenutzten deutsch-russischen Ostsee-Gaspipelines – Nord Stream 1 und 2 – Druckprobleme gemeldet. Das Kontrollzentrum habe einen Druckabfall in beiden Röhren der Nord-Stream-1-Pipeline festgestellt, teilte der Betreiber am Montagabend mit. Demnach sank die Kapazität der Pipeline ungeplant auf null. Die Ursache werde untersucht.
Das deutsche Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) und die Bundesnetzagentur teilten übereinstimmend mit, man stehe miteinander und mit den betroffenen Behörden im Austausch, um den Sachverhalt aufzuklären. "Aktuell kennen wir die Ursachen für den Druckabfall nicht", hieß es zu den Problemen an Nord Stream 1.
Gaslecks festgestellt
Nachdem die Nord-Stream-2-AG in der Nacht zuvor nach ähnlichen Problemen an einer Röhre bereits alle Marinebehörden der Ostsee-Anrainer informiert hatte, wurde im Verlauf des Montags die wahrscheinliche Ursache ausfindig gemacht: Südöstlich der Insel Bornholm sei ein Gasleck beobachtet worden, hieß es in einem Hinweis der zuständigen dänischen Behörde. Das Leck sei gefährlich für die Schifffahrt und das Fahren innerhalb eines Bereichs von fünf Seemeilen von der besagten Position verboten.
Polen hält Sabotage für möglich
Über die Hintergründe kann derzeit nur spekuliert werden. Polen hält es für möglich, dass hinter den Gaslecks eine russische Provokation steckt. Träfe das zu, würde dies bedeuten, dass Russland auch Ziele im Westen gezielt sabotiert. "Äußerst beunruhigt" zeigt sich auch der Kreml, der seinerseits keine Variante aus Auslöser des Druckabfalls ausschließen will. Die "absolut noch nie dagewesene Situation" bedürfe einer schnellen Aufklärung, heißt es.
Weiterer Vorfall nordöstlich von Bornholm
Später folgte ein weiterer Warnhinweis der dänischen Schifffahrtsbehörde, dieses Mal zu einem Gasleck nordöstlich von Bornholm. Auch hier wurde auf die Gefahr für den Schiffsverkehr hingewiesen und ein Fahrverbot für einen Radius von fünf Seemeilen ausgesprochen. Ob der zweite Hinweis im Zusammenhang mit Nord Stream 1 stand, war zunächst unklar.
Trotz des zweiten Vorfalls innerhalb kurzer Zeit sahen BMWK und Netzagentur am Abend keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit in Deutschland: "Es fließt seit dem russischen Stopp der Lieferungen Anfang September kein Gas mehr durch Nord Stream 1. Die Speicherstände steigen dennoch weiter kontinuierlich an. Sie liegen aktuell bei rund 91 Prozent."
Auch Umweltgefahren wegen des Lecks bei Bornholm drohen aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zumindest kurzfristig nicht. Der Organisation zufolge entspreche Erdgas dem Treibhausgas Methan, welches sich teilweise im Wasser löse und nicht giftig sei. Selbst im Falle einer Explosion unter Wasser gäbe es nur lokale Effekte, so ein Sprecher. Schädlich ist Methan vor allem für das Klima. Im schlimmsten Fall könnte eine große Menge an Gas austreten, vor allem falls auch der Druckabfall in der Nord-Stream-1-Leitung auf einen Schaden an der Leitung selbst zurückzuführen ist.
Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek befürchtet bereits, dass die mit 177 Millionen Kubikmeter Gas gefüllte Pipeline in den kommenden Tagen leerlaufen könnte. Zum Vergleich: Das Volumen der gesamten jährlichen Trinkwasserentnahme aus dem Bodensee entspricht laut der Bodensee-Wasserversorgung 130 Millionen Kubikmeter. Wäre der mit 48 Milliarden Kubikmeter Wasser gefüllte See ein Gassee, entspräche dies zudem ungefähr den 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas, das jährlich durch beide Röhren von Nord Stream 2 hätte fließen sollen.
Nord Stream 2 nie in Betrieb genommen
Während die Nord-Stream-2-Pipeline nach ihrer Fertigstellung aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nie in Betrieb genommen wurde, sondern nur einmalig mit Gas befüllt wurde, floss durch die Nord-Stream-1-Pipeline bis Anfang September Gas nach Deutschland. Nachdem der russische Staatskonzern Gazprom seine Lieferungen durch die Röhre bereits zuvor reduziert hatte, stoppte er diese mit dem Verweis auf einen Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja komplett.
Doch nicht nur der bisherige Gasfluss wird durch den Krieg in der Ukraine beeinflusst. Wegen der Sanktionen gegen Russland sieht die Nord-Stream-2-AG ihre Fähigkeiten zur Ursachenforschung eingeschränkt: Man stehe unter Sanktionen, verfüge kaum noch über Personal und Gelder seien eingefroren, sagte der Sprecher. "Die Behörden sind alle informiert." In Lubmin, dem Ort, in dem die Pipeline in Deutschland anlandet, ist nach Wissen Lisseks kein Personal der Nord-Stream-2-AG. Man könne auch keine Aufträge erteilen, da man diese nicht bezahlen könne, und müsse schauen, woher man nun Informationen erhalte, hieß es weiter.
Schon kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine hatten die USA Sanktionen gegen die Nord-Stream-2-AG verhängt und alle Geschäfte mit dem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz unmöglich gemacht. Erst kürzlich konnte ein drohender Konkurs erneut abgewendet werden.