Am Mittwoch hat Russlands Staatschef Wladimir Putin eine Teilmobilmachung verkündet – heute schreitet man offenbar zur Tat: Im Internet kursieren die ersten Videos, die zeigen, wie sich Männer von ihren Familien verabschieden. Zugleich wurde angekündigt, dass jene jungen Leute, die den Mut hatten, gegen den Krieg und die Einberufung zu protestieren, nicht nur inhaftiert, sondern als erste an die Front geschickt werden sollen.

Das Bürgerrechtsportal OVD-Info zählte am Mittwochabend mehr als 1350 Festnahmen in 38 Städten des Landes. Allein in St. Petersburg wurden diesen Angaben nach 556 Demonstranten in Gewahrsam genommen, in der Hauptstadt Moskau waren es ebenfalls mehr als 500. 

In Moskau riefen die Menschen "Nein zum Krieg!" oder forderten ein "Russland ohne Putin". Fotos und Videos zeigen, wie Polizisten die meist jungen Demonstranten grob ergriffen und in Busse schleppten. Von dort wurden die Festgenommenen in Polizeistationen gebracht. "Warum dienen Sie Putin? Ein Mann, der seit 20 Jahren auf seinem Thron sitzt", rief ein Demonstrant in St. Petersburg den Polizisten zu. "Ich habe Angst um mich selbst und um meinen Bruder, der 25 Jahre alt ist und seinen Militärdienst abgeleistet hat", sagte eine Demonstrantin gegenüber AFP-Journalisten, "er kann eingezogen werden."

Reingefallen

Unterdessen stellt sich die Frage, wer tatsächlich eingezogen werden wird. Zwar rief Russlands Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin auch die Abgeordneten der Staatsduma dazu auf, am Krieg in der Ukraine teilzunehmen. Zugleich könnten einige in Versuchung sein, ihre Beziehungen spielen zu lassen, um der Einberufung zu entgehen. Der Sohn von Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow, Nikolaj Peskow, scheint darauf zu setzen, dass ihn sein Vater vor der Einberufung bewahren werde. Als ehemaliger Wehrpflichtiger der russischen Atomraketenstreitkräfte wäre Nikolai einer der Kandidaten für die Mobilisierung. Dieser fiel nun offenbar – live auf Youtube übertragen – auf einen Telefonstreich rein. Als ein vermeintlicher Rekrutierungsoffizier den 32-Jährigen auf seine Einberufung aufmerksam machte, zeigte Nikolai Peskow sich überzeugt, nicht in den Krieg zu müssen.

"Wir haben Ihnen, Herr Peskow, heute auch auf elektronischem Wege eine Einberufung geschickt, aber Sie haben noch nicht geantwortet", sagte Dmitrij Nisowzew, ein Vertrauter des inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny, während des Livestreams des Youtube-Kanals "Popular Politics". Und weiter: "Wir warten auf Sie – morgen um zehn Uhr."

"Natürlich werde ich nicht um 10 Uhr da sein"

Die Antwort von Peskow: "Natürlich werde ich um zehn Uhr nicht da sein. Sie müssen verstehen, dass ich Herr Peskow bin." Bei der Einberufung gebe es doch "politische Nuancen", fuhr er fort. Peskow erwähnte nicht, wessen Sohn er ist, sagte aber: "Wenn Sie es nicht verstehen, werde ich dieses Thema auf einer anderen Ebene ansprechen."

Großbritannien zweifelt an Russlands Fähigkeiten zur angeordneten Teilmobilisierung von 300.000 Reservisten für den Krieg gegen die Ukraine. "Russland wird wahrscheinlich mit logistischen und administrativen Herausforderungen zu kämpfen haben, die 300.000 Soldaten auch nur zu mustern", teilte das Verteidigungsministerium in London am Donnerstag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit.

Am Mittwochmorgen hatte Präsident Putin in einer Ansprache im Fernsehen die Teilmobilmachung befohlen. Insgesamt 300.000 Reservisten sollen zum Kampf gegen die Ukraine eingezogen werden. Das sei aber keine "einmalige" Aktion, erklärte Verteidigungsminister Schoigu. Sie diene jetzt dazu, die "Kontaktlinie", also die Front, "zu festigen" – und die dahinter liegenden Gebiete "zu kontrollieren".