Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei einem Besuch der Hafenstadt Odessa den baldigen Start der Getreideexporte übers Schwarze Meer angekündigt. "Ich denke, dass es heute oder morgen beginnt", sagte der 44-Jährige am Freitag. Dann würde das erste Getreideschiff seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar ablegen.
UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths hatte bereits am Donnerstag angekündigt, dass die Exporte bald starten könnten. Es lägen einige schon beladene Frachter in den Häfen am Schwarzen Meer zur Abfahrt bereit, sagte er am Donnerstag in New York. "Und wir hatten darauf gewartet, dass das passiert, sogar heute oder morgen."
Getreidediebstahl durch Russen?
Ein Schiff mit Getreide aus besetzten Gebieten in der Ukraine ist unterdessen nach Angaben aus Kiew in den libanesischen Hafen Tripoli eingelaufen. Die geladene Gerste wurde demnach über den Hafen von Fedossija auf der von Russland annektierten Krim exportiert. Kiew vermutet Getreidediebstahl.
Der ukrainische Botschafter Igor Ostasch habe den libanesischen Präsidenten Michel Aoun am Donnerstag darum gebeten, den Fall aufzuklären, heißt es auf der Facebook-Seite der Botschaft. Demnach lief das aus Syrien stammende Schiff am Mittwoch dort ein.
Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat die EU aufgefordert, sich für alternative Exportrouten für ukrainisches Getreide einzusetzen. Auf das Getreideabkommen mit Russland sei kein Verlass, sagte Özdemir am Freitag den Fernsehsendern RTL und ntv. "Es gibt andere Möglichkeiten: Über die Donau, über die Schiene, über die Straße." Daran arbeite er mit seinem ukrainischen Amtskollegen und der EU-Kommission.
Gut 20 Millionen Tonnen Getreide
Am Freitag hatten die Kriegsgegner Ukraine und Russland mit den Vereinten Nationen und der Türkei ein Abkommen unterzeichnet, um von drei Schwarzmeerhäfen Getreideausfuhren aus der Ukraine zu ermöglichen. Von der Vorjahresernte warten ukrainischen Angaben zufolge noch über 20 Millionen Tonnen Getreide auf die Ausfuhr. Der Hafenbetrieb war nach der russischen Invasion Ende Februar aus Sicherheitsgründen eingestellt worden.
Moskau wurde eine Blockade des Getreides vorgeworfen. Die Ukraine hatte zudem ihre Küste zum Schutz vor russischen Landungseinsätzen vermint. Wegen ausbleibender Getreidelieferungen befürchtet die UNO zunehmend Hungerkrisen auf der Welt.