Die Erwartungen waren von Beginn an bescheiden: Einem Machthaber, der massiver denn je die Ukraine von seinen Truppen attackieren lässt, ins Gewissen zu reden, scheint mäßige Erfolgsaussichten zu haben. Der Vorstoß bzw. Besuch von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei Wladimir Putin stieß in der EU entsprechend auf unterschiedliche Reaktionen. Der Grundtenor war eher verhalten.
Lapidar kommentiere die EU-Spitze die umstrittene Visite Nehammers: "Grundsätzlich ist für uns jeder Versuch, der Ukraine Frieden zu bringen, nützlich". Darüber hinaus gebe es allerdings "keinen weiteren Kommentar zu möglichen Auswirkungen einer solchen Reise", hieß es seitens der EU-Kommission. Man betonte, dass die Reise des österreichischen Bundeskanzlers vorab besprochen worden war.
Was Deutschlands Kanzler Olaf Scholz (SPD) über eine Sprecherin verlauten ließ, war noch eher eine der positiven Rückmeldungen: Man befürworte "jegliche diplomatischen Bemühungen, die darauf abzielen, ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine zu erreichen" und die zu Verhandlungen zwischen Ukraine und Russland führen könnten, hieß es. Scholz selbst habe derzeit keinerlei Absicht, im Kreml vorstellig zu werden: "In dieser Richtung sehe ich jetzt im Moment keinerlei Pläne.“
Das offizielle Litauen, das selbst den langen Arm Russlands fürchtet, stellte die ehrliche Gesprächsbereitschaft Putins stark in Frage - und sah somit auch keinen Nutzen im Besuch des österreichischen Bundeskanzlers: "Ich glaube nicht, dass Putin ansprechbar ist", sagte der Außenminister von Litauen, Gabrielius Landsbergis. Westliche Politiker sollten lieber in die Ukraine reisen und ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj besuchen – was sie als Zeichen der Solidarität in den letzten allerdings auch mehrfach taten.
"Die Reise bezieht sich vor allem auf die Friedensbemühungen und auf die humanitäre Situation. Natürlich ist es wichtig, dass die Kontakte aufrecht bleiben, aber sehr hohe Erwartungen scheint Österreich nicht zu haben", stellte Finnlands Außenminister Pekka Haavisto bereits vor dem 75-minütigen und letztlich fruchtlosen Gespräch zwischen Nehammer und Putin realistische Einschätzungen an.
Wassyl Chymynez, ukrainischer Botschafter in Österreich, äußerte sich bei einem Pressegespräch in Klagenfurt vorab zurückhaltend. Er wollte auf Resultate warten, die es dann am Ende nicht gab. Kaum verwunderlich, denn Putin sei sehr stark auf die russische Offensive in der Ostukraine fokussiert. Sehr wichtig sei es gewesen, dass Nehammer in der Ukraine mit eigenen Augen das Wüten der russischen Armee gesehen habe.
Peter R. Neumann, Journalist und Professor für Sicherheitsstudien am King's College London hielt vorab fest, was sich wahrscheinlich viele dachten: "Dialog ergibt nur Sinn, wenn es etwas zu besprechen gibt. Und um Mediator zu sein, muss man von beiden Seiten ernst genommen werden. Kurz gesagt, dies ist eine Friedensmission, bei der ich zu 100 Prozent sicher bin, dass sie scheitern wird."
Die russische Propaganda verdrehte indes den Ansatz der Nehammer-Reise auf dreiste Art: "Warum Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer nach Russland ging", titelt die russische Nachrichten-Webseite pravda.ru und behauptet: "Beobachtern in der russischen Hauptstadt zufolge ist Karl Nehammer nicht nach Russland gekommen, um Friedensstifter zu werden. Der österreichische Bundeskanzler war überhaupt nicht besorgt über die Ukraine, nicht über den russischen Militäreinsatz in diesem Land. Nehammer dachte an sein Land. Tatsache ist, dass Österreich zu 80 Prozent von russischen Gaslieferungen abhängig ist."