Als erste westliche Spitzenpolitikerin hat sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Bekanntwerden von Kriegsverbrechen im Kiewer Vorort Butscha ein Bild von der Lage gemacht. Die deutsche Politikerin sah sich dort am Freitag unter anderem 20 exhumierte Leichen aus einem Massengrab an und entzündete in einer Kirche Kerzen für die Opfer der Gräueltaten. Nach dem Abzug russischer Truppen aus Butscha war am Wochenende ein Massaker an Zivilisten bekannt geworden.
"Wir haben das grausame Gesicht von Putins Armee gesehen, wir haben die Rücksichtslosigkeit und die Kaltherzigkeit gesehen, mit der sie die Stadt besetzt hat", sagte die deutsche Politikerin am Freitag in Butscha. "Hier in Butscha haben wir gesehen, wie unsere Menschlichkeit zertrümmert wurde, und die ganze Welt trauert mit den Menschen in Butscha", sagte von der Leyen.
"Ein deutliches Zeichen"
Gemeinsam mit dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal, dem EU-Außenbeauftragen Josep Borrell und dem slowakischen Ministerpräsidenten Eduard Heger legte sie Kerzen für die Opfer nieder. Der Besuch in Butscha solle ein "deutliches Zeichen" an das tapfere ukrainische Volk sein, dass man an seiner Seite stehe und es wo immer möglich unterstütze, sagte von der Leyen. Die Ukrainer kämpften für die gemeinsamen Werte und dafür, dass die Demokratie über die Autokratie siegen werde.
Zuvor hatte die deutsche Politikerin am Freitagmittag nach langer Zugfahrt mit ihrer Delegation die ukrainische Hauptstadt Kiew erreicht. Dort wollte sie unter anderem den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen. Die Reise sei ein "deutliches Zeichen der Unterstützung für die Ukrainer", sagte von der Leyen auf dem Weg nach Kiew. Das Land brauche dringend Hilfe.
Russische Truppen waren am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert. Am Wochenende hatten vor allem Bilder von teils gefesselten Leichen auf den Straßen von Butscha Entsetzen ausgelöst. Die Ukraine macht russische Truppen für die Gräueltaten an Hunderten Bewohnern verantwortlich. Moskau bestreitet das und spricht von einer Inszenierung, aber ohne Beweise vorzulegen.
Als Reaktion auf das Massaker hatte von der Leyen ein fünftes Sanktionspaket gegen Russland vorgeschlagen, das mittlerweile von den EU-Staaten beschlossen wurde. Es enthält unter anderem ein Importverbot für Kohle aus Russland, aber auch weitere Beschränkungen für den Handel mit Russland und ein weitgehendes Einlaufverbot für Schiffe unter russischer Flagge in EU-Häfen. Der ukrainische Präsident Selenskyj forderte jedoch sogleich härtere Maßnahmen.
Von der Leyen wird von einer Delegation begleitet, der auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der slowakische Ministerpräsident Eduard Heger und mehrere EU-Parlamentarier angehören. Für die nächsten Tage hat auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) einen Besuch in Kiew angekündigt. "Diese Reise ist ein deutliches Zeichen der Unterstützung für die Ukrainer", sagte von der Leyen auf dem Weg nach Kiew.
Von der Leyen war am späten Donnerstagabend mit einem Sonderzug in der nur 13 Kilometer von der Grenze entfernten südpolnischen Kleinstadt Przemyśl aufgebrochen. Dort kommen immer noch jeden Tag Tausende Flüchtlinge in der Europäischen Union an, zu Hochzeiten waren es teils mehr als 100.000 pro Tag.
Über sechs Wochen Krieg
Gut sechs Wochen nach Beginn des Krieges in der Ukraine wird die Vertretung der Europäischen Union in Kiew am Freitag wiedereröffnet, kündigte der EU-Außenbeauftragte Borrell auf der Zugfahrt an. Das Land sei noch immer unter der Kontrolle der Ukrainer, sagte Borrell. Mit Blick auf die Zugfahrt durch das Land sagte der Spanier: "Man hat nicht das Gefühl, im Krieg zu sein."
Borrell kündigte zudem an, 7,5 Millionen Euro für die Ermittlungen zur Verfügung zu stellen, die die Ukraine nach den Kriegsverbrechen in dem Kiewer Vorort Butscha und an anderen Orten durchführt.
Bei dem Besuch in Kiew soll Borrell zufolge auch darüber beraten werden, wie vor allem die militärische EU-Unterstützung für die Ukraine im Kampf gegen Russland besser gesteuert werden könne. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die EU-Staaten seinem Vorschlag in den kommenden Tagen zustimmen, der Ukraine zusätzliche 500 Millionen Euro zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte in ihrem Kampf gegen die russische Armee bereitzustellen. Damit würden sich die zur Verfügung stehenden Mittel auf 1,5 Milliarden Euro erhöhen.