Migrationsforscher Gerald Knaus richtet angesichts der Flüchtlingsströme aus der Ukraine an die österreichische Regierung den dringenden Appell, umfassende Maßnahmen zu treffen. "Wir müssen davon ausgehen, dass in den nächsten zwei bis vier Wochen bis zu 200.000 Menschen nach Österreich kommen werden", sagte er gegenüber der APA. Österreich müsse sich jetzt darauf vorbereiten, "wenn wir nicht wollen, dass Zehntausende Mütter mit ihren Kindern auf der Straße schlafen".
"Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren", lautet Knaus' "dramatischer Weckruf" an die Regierung, denn: "Wir stehen am Beginn der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg." Die Erfahrung mit Putins bisherigen Kriegen und die Brutalität seiner Armee in der Ukraine zeigten, dass sich in wenigen Monaten bis zu zehn Millionen Menschen auf den Weg machen könnten.
Allein in den drei Wochen seit Kriegsausbruch seien mehr als doppelt so viele Menschen in die EU geflüchtet als im ganzen Jahr 2015, so Knaus. In Moldawien mit seinen 2,4 Mio. Einwohnern befänden sich bereits 100.000 Flüchtlinge, was mehr sei, als Österreich 2015 aufgenommen hat. In Warschau mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern seien es bereits 300.000.
Braucht europaweite Koordination
Alle Bundesländer müssten dafür jetzt umgehend Aufnahmeplätze und Großquartiere schaffen, rät der Migrationsforscher, denn: "Die Situation ist sehr ernst. Jeder Tag zählt." Parallel dazu brauche es auch ein gesamteuropäisches Vorgehen mit Tausenden Flügen in den kommenden Wochen, um eine Million neu ankommende Menschen aus Moldawien, Rumänien, Polen und anderen Nachbarn der Ukraine in Europa zu verteilen.
"Mitgefühl ist da – Organisation fehlt"
"Passiert das nicht sofort, könnten sogar noch mehr Menschen nach Österreich kommen", befürchtet Knaus, der einen Koordinator für eine europäische Luftbrücke wie 1948 für Berlin vorschlägt. "Das Mitgefühl ist in ganz Europa da. Nun fehlt die Logistik und Organisation."
Für NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper scheint es angesichts der Warnung, "als würde das Ausmaß dieser humanitären Krise von unserer Bundesregierung nach wie vor unterschätzt". Die Nachbarländer der Ukraine seien mittlerweile am Rande ihrer Möglichkeiten angelangt. "Bald wird es auch in Österreich so weit sein – trotz der enormen Hilfsbereitschaft vonseiten der Zivilgesellschaft, die im Moment für den viel zu langsam und träge agierenden Staat einspringt, wo es nur geht", so Krisper.