Für Tschechiens Ex-Außenminister Karel (Karl) Schwarzenberg gleicht die Argumentation von Russlands Präsidenten Wladimir Putin für den Ukraine-Krieg jener des nationalsozialistischen Diktators Adolf Hitler zum "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich 1938. Das erklärte er im APA-Interview. Zudem sei die Entwicklung ähnlich wie in den 30er-Jahren auch diesmal keineswegs überraschend gekommen, meinte Schwarzenberg. Wie Hitler sei auch Putin "nicht ernst" genommen worden.
"Gerade die Österreicher sollten sich erinnern", sagte der Erbe eines der berühmtesten Adelshäuser der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie, der einen Schweizer und einer tschechischen Pass besitzt: "Die Argumentation ist dieselbe, wie weiland die 'unseres Führers' gegenüber Österreich: 'Das ist keine selbstständige Nation, das ist ein Teil unserer Nation, sie haben kein Recht, eine selbstständige Politik zu machen.'"
"Schauen Sie sich die Rede noch einmal genau an", empfahl der 84-Jährige in einem Telefonat mit der APA allen Interessierten eine genaue Analyse der Putinschen Rhetorik, "und schauen Sie sich dann Zitate aus den 30er-Jahren an. Sie werden erstaunt sein, wie parallel die sind." Eine weitere Parallele sei, dass die internationale Politik von den Entwicklungen wieder überrascht worden sei, obwohl sie in den vergangenen Jahren nur genauer aufpassen hätte müssen, insinuierte Schwarzenberg. "So wie seinerzeit manche Politiker Hitlers 'Mein Kampf' gelesen haben, aber nicht geglaubt haben, dass das einer so ernst meint, so haben sie jetzt auch nicht geglaubt, dass es Putin ernst meint."
Anzeichen vor langer Zeit
Dabei habe es schon vor durchaus langer Zeit Anzeichen gegeben, erinnerte Schwarzenberg an einen Auftritt Putins bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2007. Wenige Wochen davor hatte er das Amt des Außenministers der Tschechischen Republik angetreten. Putin sorgte damals mit einer aggressiv-vorwurfsvollen Rede gegen die US-Politik und die Osterweiterung der NATO für Aufsehen. Er sei unmittelbar danach am Rednerpult gestanden, erinnerte sich Schwarzenberg im APA-Gespräch, und habe umgehend "alle Argumente geliefert", dass genau deshalb die mittel- und osteuropäischen Länder der NATO beitreten mussten. Als Reaktion auf seine Ansprache habe es aber auch viel Kritik von westlicher Seite gegeben: "Die Deutschen waren wütend, empört und beschimpften mich deswegen."
Der Ukraine-Krieg habe sich aber schon "überraschend" entwickelt, erklärte Schwarzenberg weiter. "Die Ukraine leistet viel stärkeren heldenhaften Widerstand, als wir alle geglaubt haben. Wir hatten eher geglaubt, die Ukraine wird relativ rasch überrannt. Das ist aber nicht der Fall." Die weitere Entwicklung sei noch offen, meinte der ehemalige Außenminister: "Ich weiß es nicht, ich bin kein Prophet. Ich bin schon sehr gespannt. Zusammen mit den Wirtschaftssanktionen glaube ich aber nicht, dass Russland den Krieg sehr lange führen kann. Wenn die Ukraine noch zwei Monate aushält, dann könnte sie es geschafft haben."
Erwartet keine Ausweitung
Eine Ausweitung der kriegerischen Auseinandersetzung auf umliegende Länder, wie die baltischen Staaten oder Polen, die der NATO angehören, erwartet Schwarzenberg indes sicher nicht. Das nordatlantische Verteidigungsbündnis sei "nicht gefährdet", so die Analyse angesichts der Entwicklung des Ukraine-Kriegs. "Weil schon dieses Nicht-NATO-Land ist eine harte Erfahrung für die Russen."
Bezüglich der Frage, wie groß der Rückhalt für das Vorgehen Putins in der Bevölkerung Russlands sei, wagte Schwarzenberg keine genaue Einschätzung. Ihm würden einfach die Informationen fehlen. "Keine Ahnung. Ich bin nicht Mitglied der Kremlmannschaft."
Allerdings könnte es sogar in der russischen Führung Diskrepanzen geben, mutmaßte Schwarzenberg sinngemäß. Ihm sei etwa aufgefallen, wie emotional Putin bei seiner Rede, mit der er den Angriff auf die Ukraine rechtfertigte, gewesen sei. "Ein Mann, der sonst einen ruhigen und kühl-überlegten Eindruck macht." Gleichzeitig habe der "Chef des Geheimdienstes" seiner Beobachtung nach "sehr unglücklich" ausgesehen. "Als würde er schon genau wissen, dass die Sache nicht so gehen wird, wie es sich Putin vorstellt."
"Putin ist weder ein Narr noch blöd. Er geht nicht in so einen großen Konflikt, der die russische Wirtschaft so negativ beeinflusst und Russland isoliert, wegen der veralteten Industrie in Donezk oder ein paar ukrainischen Dörfern (...) Es geht darum, das ganze Land zu unterjochen", sagte Schwarzenberg beispielsweise im April 2015 im tschechischen Parlament.
Den am 24. Februar tatsächlich erfolgten Angriff Russlands auf die Ukraine hatte Schwarzenberg indes noch kurz davor nicht für wahrscheinlich gehalten. "Es wird keinen Krieg geben", wurde er drei Tage vorher in "Falter.morgen", dem Newsletter der Wochenzeitung "Der Falter" zitiert. "Was wir jetzt erleben, ist ein perfides Spiel Putins. Wer hat die stärkeren Nerven? Putin beherrscht dieses Spiel perfekt."
Russlands Machthaber probiere dies an US-Präsident Joe Biden und Europa aus, meinte er damals. "Aber weder Russland noch die USA könnten ein Interesse an einem Krieg haben, es gehe um eine Machtfrage, um am Verhandlungstisch bessere Karten zu haben. "Wobei Ukraine da nur ein Nebenschauplatz ist, um den Anspruch Russlands als globale Supermacht vorzuführen." Gegenüber dem Falter prognostizierte Schwarzenberg letztlich folgendes Szenario: "Ein Protektorat Ukraine, von den USA und Russland kontrolliert. Was sicher nicht sein kann, ist, dass die Ukraine der NATO beitritt, aber das war ja von vornherein klar."