Frauen mit Neugeborenen in Luftschutzkellern, Babys auf dem Arm von Soldaten bei der Evakuierung, stillende Mütter auf der Flucht: Die Bilder aus Kiew und anderen ukrainischen Städten und aus dem Grenzgebiet erschüttern. Um ihre Kinder bangen nach Kriegsausbruch nicht nur Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern auch Hunderte sogenannte Wunsch-Eltern weltweit, denn die Ukraine gilt als ein Zentrum der kommerziellen Leihmutterschaft.
Genaue Zahl unklar
Wie viele Babys von Leihmüttern derzeit in der Ukraine zur Welt kommen und nicht abgeholt werden können, ist nicht bekannt. Wie die Leihmütter-Agentur VittoriaVita am 3. März mitteilte, befinden sich die meisten ihrer Leihmütter "in sicheren Regionen des Landes" und werden medizinisch und psychologisch betreut.
Die Reproduktionsklinik Biotexcom informiert ihre Kundschaft aus
dem Ausland auch per Youtube-Videos und Facebook-Posts. Die Klinik
gewährleiste weiterhin die Sicherheit der Babys, heißt es auf ihrer Internetseite. Der Chefarzt hole die Neugeborenen „eigenhändig“ nach der Entbindung ab und bringe sie an einen sicheren Ort, wo sie von Babysitterinnen rund um die Uhr betreut würden – zum Beweis dafür gibt es ein Video. Bereits am 28. Februar warnte die Firma Wunsch-Eltern davor, Leihmütter wegen des Krieges für die Geburt ins Ausland zu holen. Dies sei nicht legal. In solchen Fällen würde die Leihmutter rechtlich als Mutter gelten.
Verboten
In Österreich ist Leihmutterschaft verboten. Auch österreichische Paare sind Kunden der ukrainischen Reproduktionskliniken und Leihmütter-Agenturen. Zahlen dazu gibt es keine. Im November 2019 hat ein Tiroler Bezirksgericht erstmals in Österreich die rechtliche Elternschaft eines Paares anerkannt, dessen Kind durch eine Leihmutter in der Ukraine auf die Welt kam. Das Baby wurde nach der Geburt – gemäß ukrainischem Recht – als Kind des Ehepaares im Geburtenregister eingetragen. Andere Bezirksgerichte trafen gleichlautende Entscheidungen.
Erst vergangene Woche ist ein burgenländisches Paar mit seiner von einer Leihmutter in der Ukraine geborenen Tochter nach Österreich zurückgekommen. Mitte Februar war das Paar in die Ukraine gereist und musste tagelang in einem Keller ausharren. Nach Ausbruch des Kriegs kam die Tochter zur Welt.
Nicht verwandt
Die Leihmütter in der Ukraine sind mit dem Kind, das sie austragen, nicht genetisch verwandt – ihnen werden ein Embryo oder mehrere Embryonen eingesetzt, die durch künstliche Befruchtung erzeugt wurden. Die Spermien beziehungsweise Eizellen können von den Wunsch-Eltern stammen, das Baby kann aber auch ganz andere biologische Eltern haben. Die Auftraggeber haben die Möglichkeit, eine Eizellspenderin beziehungsweise einen Samenspender über Datenbanken auszusuchen.
Die Kulturgeografin Carolin Schurr von der Universität Bern beschäftigt sich seit Jahren mit dem transnationalen Markt für Leihmutterschaft und den geopolitischen Rahmenbedingungen, die Länder zu Hotspots werden lassen. Sie fordert ein internationales Abkommen, vergleichbar mit der 1993 verabschiedeten Haager Konvention zur Regulierung internationaler Adoptionen. "Nationale Regelungen greifen zu kurz", sagt die Professorin. Notwendig seien internationale Standards, etwa wie Leihmütter im Fall von gesundheitlichen Schäden abgesichert werden.
Leihmütter in Krisenregionen
"Die transnationale Leihmutterschaft in der Ukraine findet im Rahmen eines globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems statt, das von der billigen Verfügbarkeit der reproduktiven Arbeit der Leihmütter in Krisenregionen wie dem Donbass profitiert", sagt die Wissenschaftlerin. Ein Komplettpaket mit einem von einer Leihmutter ausgetragenen Baby wird in der Ukraine für rund 40.000 Euro angeboten. Die Leihmütter erhalten nach Recherchen von Schurr ein Drittel bis ein Viertel davon.
In der jetzigen Situation müssten nicht nur die Wunsch-Eltern, die um ihre Babys bangen, in den Blick genommen werden, betont die Forscherin. Vielmehr sollte das Leben der Leihmütter und deren eigener Familien im Vordergrund stehen.