Raketen und Bomben auf Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen, in Schutt und Asche gelegte Wohnblöcke und Hunderte unschuldige Opfer: Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums von Donnerstagabend feuerte die russische Armee seit Beginn des Krieges 775 Raketen auf ukrainisches Staatsgebiet ab, mehr als 50 jeden Tag. Dabei treffen die russischen Streitkräfte scheinbar wenig Vorkehrungen, um zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden. Das liegt auch an ihrer Art der Kriegsführung und den eingesetzten Waffensystemen.
Dazu muss man wissen: Die russische Doktrin, Angriffe mit massivem Artilleriebeschuss einzuleiten, geht noch auf den Zweiten Weltkrieg zurück. Im Gegensatz zu den meisten hochgerüsteten westlichen Armeen überwiegt in den russischen Arsenalen billige, ungelenkte Munition. Viele schon veraltete Systeme wurden nicht ausgeschieden und kommen weiterhin zum Einsatz – parallel zu modernen und präziseren Waffen.
Im freien Fall
Bei einem der bisher verheerendsten Luftangriffen auf die Ukraine wurden am 3. März in Tschernihiw 47 Zivilisten getötet. Amnesty International (AI) beschuldigt Russland, dabei ballistische Freifallbomben abgeworfen zu haben. Man habe anhand von Aufnahmen "acht Munitionen knapp hintereinander und in einer Reihe" identifizieren können, was typisch für einen Bombenabwurf sei. "Das war ein gnadenloser, rücksichtsloser Angriff auf Menschen, die gerade ihr tägliches Leben in ihren Wohnungen, Straßen und Geschäften geführt haben", heißt es von der Menschenrechtsorganisation. Ein militärisch legitmiertes Ziel in der Nähe sei nicht erkennbar gewesen.
Zum Einsatz kamen dabei offenbar Bomben des Typs FAB-250 und FAB-500-M62, die im Wesentlichen Technologie aus dem Zweiten Weltkrieg verwenden. Drei nicht detonierte Freifallbomben wurden in der Umgebung von Tschernihiw gefunden – vermutlich stammen sie von einer Suchoi Su-25, die von der ukrainischen Flugabwehr vom Himmel geholt worden war.
Um solche Abschüsse zu verhindern, müssen die russischen Bomber in größeren Höhen operieren. "Dann kommt es auch auf den Wind und die Temperatur an, wie zielgenau die Bomben abgeworfen werden können", sagt ein Offizier der österreichischen Luftstreitkräfte. Er weist aber darauf hin, dass Russland auch über "smarte Bomben" verfügt, die mit Laser oder GPS-Technologie an ihr Ziel geleitet werden.
Streubomben: Die Gefahr bleibt
Mit dem "Oslo-Übereinkommen" aus dem Jahr 2010 international geächtet sind Clusterbomben, auch Streubomben genannt. Russland, das diese Vereinbarung nicht ratifiziert hat, dementiert deren Einsatz. Bilder aus der Ukraine deuten auf das Gegenteil hin. Die perfide Wirkung dieser Waffen: Es werden Hunderte kleinere Sprengkörper (Submunition bzw. "Bomblets") über dem Ziel gezündet. Ein hoher Anteil der Submunition detoniert aber nicht sofort und stellt damit für die Bevölkerung noch jahrelang eine versteckte Gefahr dar.
Raketen im Stakkato
Solche Clustermunition kann sowohl aus Flugzeugen abgeworfen als auch mit (Mehrfach-)Raketenwerfern abgefeuert werden. Diese zählen zu den wirkungsvollsten Waffensystemen im Ukraine-Krieg. Eigentlich dazu entwickelt, um auf feindliche Truppenkonzentrationen und militärisches Gerät gerichtet zu werden, legten sie bereits ganze Wohngegenden in Kharkiv und Mykolaiw in Schutt und Asche.
Die von der ukrainischen Bevölkerung wohl am meisten gefürchteten Waffen der Angreifer sind die Mehrfachraketenwerfer "Uragan" (Hurricane) und "Smerch" (Tornado). Letzterer kann Ziele bis zu einer Entfernung von 90 Kilometer erreichen und eine Fläche von drei Hektar binnen Sekunden zerstören. Noch häufger verbreitet ist das BM-21 "Grad" (Hagel), eine Entwicklung aus den frühen 1960er-Jahren. Der schwenkbare Raketenwerfer ist auf einem ungeschützten Lastwagen montiert und feuert seine ungelenkten Raketen bis zu 40 Kilometer weit. Den ukrainischen Verteidigern ist es bis dato gelungen, zumindest 16 dieser Waffen unschädlich zu machen.
Auch die Raketenwerfersysteme TOS-1 und TOS-1A ("Buratino") zählen nicht zu den Präzisionswaffen, haben aber durch die Bestückung mit thermobarischer Munition ("Vakuumbomben) die größte Zerstörungskraft im russischen Waffenarsenal. Noch ist aber kein Einsatz einer Buratino in der Ukraine bestätigt worden. Mehr zu dieser Höllenmaschine finden Sie hier.
Geht die Munition aus?
Zu Beginn ihrer Invasion auf die Ukraine setzte Putins Armee noch verstärkt auf ihre hochpräzisen Hightech-Systeme wie die Lenkwaffen "Iskander-K" (Kurzstrecken-Bodenraketen) und "Kalibr" (Luft-Boden-Marschflugkörper). Damit wurden vor allem strategische Ziele wie die die ukrainischen Luftwaffenstützpunkte beschossen. Militärexperten spekulieren darüber, ob der russischen Armee die Präzisionsmunition nach zwei verlustreichen Wochen langsam ausgeht.
Dass sie zu punktgenauen Bombenangriffen durchaus noch in der Lage ist, zeigte sich bei der Attacke auf eine Geburtenstation in der Hafenstadt Mariupol mit drei zivilen Todesopfern. Moskau behauptet, in dem Gebäude hätten sich Einheiten des ultraradikalen Asow-Bataillons aufgehalten.