Es ist der Schrottplatz des Krieges, der Friedhof der Rüstungsindustrie über die letzten Jahrzehnte: Neben den Tausenden Soldaten und Zivilisten, die in den ersten zwölf Tagen der russischen Invasion auf die Ukraine bereits getötet oder verletzt worden sind, erinnert auch der hohe Verschleiß an militärischem Gerät an längst vergangen geglaubte Zeiten der Panzerschlachten.
Auf dem Internetbog Oryxspioenkop versucht der niederländische Journalist Stijn Mitzer mit seinen Kollegen diese Verluste an Waffensystemen auf beiden Seiten so gut wie möglich zu dokumentieren. Dabei werden seit Kriegsbeginn Videos und Fotos in sozialen Medien und anderen öffentlichen Kanälen gesichtet und analysiert. Die Liste umfasst nur alle durch Zerstörung, Zurücklassen oder in Feindeshand geratenen Gerätschaften, die auch bildlich festgehalten wurden. Die tatsächliche Zahl dürfte viel höher sein, räumen die Journalisten ein.
Bis Dienstag zählte man auf russischer Seite über 900 Geräte und Fahrzeuge, darunter 143 Panzer, 89 Kampffahrzeuge, 131 Fahrzeuge der Infanterie, 19 Mehrfachraketenwerfer (darunter eine berüchtigte TOS-1A), 24 Boden-Luft-Raketensysteme. Bei den ukrainischen Streitkräften sind hingegen nur 272 verlorene Fahrzeuge bzw. Waffensysteme aufgelistet.
Angaben der ukrainischen Behörden zufolge betragen die Verluste aufseiten der russischen Streitkräfte ein Vielfaches. 474 Fahrzeuge, 303 Panzer, 80 Hubschrauber und weitere 48 Luftfahrzeuge sollen eliminiert worden sein. 12.000 russische Soldaten seien gefallen.
Dem stehen die Angaben des russischen Verteidigungsministeriums gegenüber, das am Dienstag über die ukrainischen Verluste bilanziert: 866 Panzer und andere bewaffnete Kampffahrzeuge, 91 Mehrfachraketenwerfer, 317 Artilleriegeschütze, 634 Spezialfahrzeuge, 81 Drohnen, 124 Luftabwehr-Raketensysteme und 79 Radarstationen seien demnach zerstört worden.
Falsche Gewichtung
Internationale Experten warnen angesichts solcher Zahlenaufstellungen von einer falschen Darstellung der wahren Verhältnisse. Das Bildmaterial lasse die russische Armee schwach und erfolglos aussehen. Sinnbildlich dafür ist der ukrainische Traktor, der den russischen Panzer aus dem Morast zieht. Videos davon kursieren zahlreich im Netz:
Dazu kommen immer wieder Berichte von einem chaotischen Vorgehen russischer Streitkräfte, schlecht ausgerüsteten Soldaten und extremen Nachschubproblemen. "Sie überdecken das Bild der langsam, aber stetig fortschreitenden Armee", schreibt ein deutscher Militäranalyst. Es sei zwar richtig, dass die russischen Streitkräfte viel an Material verloren habe, im Vergleich zur Ukraine sei es aber nur ein geringer Prozentsatz des vorhandenen Waffenarsenals. Auch Militärexperte Franz-Stefan Gady verweist auf Twitter darauf, dass das von der Ukraine ausgehende Narrativ (der heldenhaften Verteidigung des Heimatlandes, Anm.) den Informationsraum dominiere.