Russland hat eine Feuerpause in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine verkündet und die Einrichtung von humanitären Korridoren aus fünf belagerten Großstädten bekanntgegeben. Die russischen Kräfte hätten das Feuer um 8.00 Uhr MEZ eingestellt, teilte das Verteidigungsministerium des Aggressorstaates nach Angaben der Agentur Interfax mit. Russland habe zudem Korridore für Zivilisten aus den Kiew, Tschernihiw, Sumy, Charkiw und Mariupol eingerichtet.
Zuvor hatte sich die Lage für die Bevölkerung weiter zugespitzt. Bei Luftangriffen auf die nordostukrainische Großstadt Sumy wurden den lokalen Behörden zufolge mehr als zehn Menschen getötet, darunter auch Kinder. Laut der Regierung in Kiew sollte um 9.00 Uhr ein Fluchtkorridor für Zivilisten aus Sumy geöffnet werden. Zuvor waren mehrere Versuche zur Einrichtung von Fluchtwegen aus umkämpften Städten gescheitert.
Selenskyi will in Kiew bleiben
Präsident Wolodymir Selenskyj versprach in einer am Montagabend veröffentlichten Videobotschaft, die Hauptstadt Kiew trotz der Kämpfe nicht zu verlassen. "Ich bleibe in Kiew", sagte Selenskyj. Er verstecke sich nicht und habe vor niemandem Angst, erklärte der Präsident des angegriffenen Landes. Man werde weiter mit Russland sprechen. "Wir werden auf Verhandlungen bestehen, bis wir einen Weg finden, unseren Menschen zu sagen: So kommen wir zum Frieden." Jeder Tag des Kampfes schaffe "bessere Bedingungen" für die Ukraine. "Eine starke Position. Um unsere Zukunft zu sichern. Nach diesem Krieg", sagte der ukrainische Präsident.
Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates
Im Rahmen einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates rangen Russland und die Ukraine um die Bedingungen für die "humanitären Korridore". Die ukrainische Botschafterin wies das ursprüngliche Angebot zurück, weil es nur Routen über Russland und Belarusumfasse. Obwohl man sich mit Moskau und auch dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes auf eine Route über die zentralukrainische Stadt Poltawa geeinigt habe, habe Moskau per Brief neue Routen nur über Russland und Belarus angekündigt. Die Botschafterin forderte "die russische Seite auf, zu den zuvor vereinbarten Routen zurückzukehren, um ukrainischen und ausländischen Bürgern die Ausreise nach Europa zu ermöglichen".
Russland legte daraufhin ein neues Angebot mit Wegen auch in Richtung westukrainischer Städte vor. UN-Botschafter Wassili Nebensja betonte, dass Flüchtlinge nicht unbedingt nach Russland geschickt würden, "es wird auch eine Evakuierung in Richtung ukrainischer Städte westlich von Kiew angeboten". Die Nachrichtenagentur Interfax berichtete von einer Erklärung des zuständigen russischen Komitees. Demnach hätten Menschen, die die Städte Sumy und Mariupol verlassen möchten, die Wahl, nach Russland oder in die ukrainischen Städte Poltawa oder Saporischja zu fliehen.
Verzweifeltes Warten auf Hilfe
Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths forderte Sicherheitskorridore für humanitäre Hilfslieferungen in die Ukraine. Zivilisten in Städten wie Mariupol, Charkiw, Melitopol und in anderen Orten warteten verzweifelt auf Hilfe und seien insbesondere auf "lebenswichtige medizinische Versorgung" angewiesen.
Am Montag hatten sich Russland und die Ukraine zu einer rund dreistündigen dritten Verhandlungsrundegetroffen - und danach die Absicht zur Schaffung humanitärer Korridore in den umkämpften Gebieten bekräftigt. Die belarussische Staatsagentur Belta hatte im Nachrichtenkanal Telegram ein Bild der Delegationen an einem Tisch veröffentlicht.
Beide Seiten hatten sich zwar bereits bei ihrem zweiten Treffen am vergangenen Donnerstag auf Fluchtkorridore verständigt. Am Wochenende waren aber gleich zwei Anläufe für Evakuierungen von Bewohnern der von Russland belagerten Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine gescheitert. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, gegen eine vereinbarte Feuerpause verstoßen zu haben. Auch am Montag kam eine geplante Rettung von Zivilisten aus umkämpften Städten nicht voran.
Bedingungen Russlands
Als Bedingung für eine Einstellung der Gefechte fordert Russland, die Ukraine müsse sich in ihrer Verfassung für neutral erklären. Zudem müsse Kiew die annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisch sowie die Separatistengebiete als unabhängig anerkennen.
Russland geht einem Unterhändler zufolge davon aus, dass die nächste Gesprächsrunde in naher Zukunft stattfinden wird. Die vierte Runde werde dabei in Belarus abgehalten, sagte Leonid Slutski im Staats-Fernsehen. "Ich werde das genaue Datum noch nicht nennen." Es werde vielleicht am Dienstag festgelegt.