14. März 17.30 Uhr
Die Situation der Journalisten ist schwierig – und zwar aus mehreren Gründen. Einerseits ist ein Vordringen in die Kriegsgebiete extrem risikoreich. Das hat man auch am Tod des US-Journalisten gesehen, der auch auf Leichtsinn zurückzuführen ist. Denn, wer ohne irgendwelche Regeln zu beachten auf einen russischen Kontrollpunkt zufährt, und sich auch nicht als Presse ausweist, der muss damit rechnen beschossen zu werden. Die Nervosität auf der ukrainischen Seite wird zudem immer größer. Auch wenn das Interesse hier größer ist, zu berichten. Das Misstrauen, die Angst, die Vorbehalte gegenüber Journalisten sind auch hier groß. Wenn man etwa zu drehen beginn, kommt bestimmt rasch eine Kontrolle. Meistens läuft das höflich ab und wenn man Glück hat, trifft man auf Polizisten, die auch ausgebildet sind. Aber ganz generell sieht man, unter welch enormer Spannung das Land steht und das schlägt sich natürlich auch auf die Arbeit von Journalisten nieder.
Anderseits ist dieser Konflikt auch ein Krieg, der medialen Charakter hat. Das haben wir in dieser Form noch nie so gesehen. Das betrifft den Kampf um die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und auch die Flut an Meldungen, die etwa auf Telegram-Kanälen ausgespielt wird. Der US-Journalist war noch keine Stunde tot, da hatten wir schon Videos mit Stellungnahmen von Polizisten vor Ort und seinem verletzten Kollegen. Das sind die Schattenseiten des heutigen Journalismus. Doch noch nie haben wir so viel in Echtzeit erfahren.
14. März 07.00 Uhr
Im Ö1-Morgenjournal spricht Christian Wehrschütz heute über den Angriff eines militärischen Ausbildungszentrums am Wochenende knapp an der Grenze zu Polen: "Der Angriff war natürlich auch eine Warnung an die NATO, aber man darf nicht vergessen, dass die Waffen aus dem Westen über dieses Ausbildungszentrum führen. Das war ein klarer Schlag gegen die Söldnerbewegung und den Waffennachschub für die Ukraine." Für Zivilisten in der Stadt Mariupol ist die Lage katastrophal - nach wie vor. Der ukrainische Präsident steckt in einem Dilemma: Gibt er die Stadt auf kann er womöglich Menschenleben retten, dies würde aber ein Vorrücken der Russen beschleunigen."
8. März, 17.30 Uhr
In Bila Zerkwa gibt es noch eine intakte Fleisch- und Wurstfabrik: Die übrigen Fabriken des Unternehmens sind nicht mehr in Betrieb. Hören Sie im Audio, unter welchem Umständen in der Ukraine noch gearbeitet werden kann um die Versorgung sicherzustellen.
8. März, 8 Uhr
Christian Wehrschütz gibt im Ö1-Morgenjournal ein Update aus der Krisenregion:
In der Ukraine ist der zynische Vorschlags Putins, die Flüchtlinge über Korridore nach Russland oder Belarus aus der Gefahrenzone zu bringen, negativ aufgenommen worden. Man befürchtet, dass es für antiukrainische Propaganda in Weißrussland und in Russland verwendet werden könnte – im Sinne von "Seht, die Ukrainer fliehen zu uns nach Weißrussland und Russland und nicht auf ihr eigenes Territorium". Die Hoffnung der Ukrainer ist unterdessen sehr gering, den Präsidenten auf diplomatischem Wege zum Einlenken zu bewegen und hier etwas Tiefgreifendes zu erreichen. Die russische Seite wäre ja nur zu einem Waffenstillstand bereit, wenn der Verlust der Krim sowie die Unabhängigkeit der Separatistengebiebte von Donezk und Luhansk anerkannt würden und es zu eine Entmilitarisierung der Ukraine käme. Die nächste Frage wäre: Was ist mit Kriegsentschädigungen? Russland hat Milliardenschäden in der Ukraine mit dem Bombardement angerichtet. Da muss man sich schon fragen, wie das weitergehen soll.
Das hochrangige Treffen zwischen dem ukrainischen Außenminister Kuleba und dem russischen Außenminister Lawrow, das für den 10. März unter der Vermittlung der Türkei geplant ist, ist natürlich ein gutes Zeichen. Das wäre ein Hoffnungsschimmer im Vergleich zu den Gesprächen, die wir bisher hatten.
7. März, 7.15 Uhr
Christian Wehrschütz berichtet im Ö1-Morgenjournal von der aktuellen Lage vor Ort:
Es war eigentlich nicht schwer, in die Stadt Kiew hineinzukommen. Wir hatten nur wahnsinnig viele Straßensperren und Kontrollposten, die Dokumente kontrolliert und Akkreditierungen überprüft haben. Rein- und Rauskommen in die Stadt war derzeit also nicht schwierig, wohlwissend, dass die russischen Truppen auch der südlichen Hauptverbindungslinie von Kiew immer näher kommen. Wer für das Scheitern der humanitären Korridore am Wochenende verantwortlich ist, ist unterdessen schwer zu beantworten. Ich habe nur meine Zweifel, ob ein großes Interesse an einem derartigen humanitären Korridor insgesamt besteht, weil das bedeutet, dass ich Staatsbürger verliere, wenn die Städte erobert sind. Und wenn auf der anderen Seite in den Städten nur mehr die bleiben, die kämpfen wollen, dann würde das auch dem Angreifer die Lage erleichtern.
Wehrschütz zur Lieferung von Kriegsgerät in die Ukraine:
Die Lieferung an sich ist nicht so schwierig, was panzerbrechende Waffen und Luftabwehrraketen betrifft. Aber es ist etwas anderes, mit Flugzeugen zu operieren, die ja von irgendwo starten müssen. In dem Augenblick, wo ein solches Kampfflugzeug mit einem ukrainischen Piloten zum Beispiel in Polen startet, bedeutet das eine klare Teilnahme am kriegerischen Konflikt. Das wäre eine massive Bedrohung für Polen, daher schreckt das Land davor auch zurück. Aber das große Problem der ukrainischen Verteidiger ist die klare Unterlegenheit in der Luft.
6. März
Kiew bereitet sich immer mehr auf den russischen Angriff vor, das ist klar sichtbar, wenn man in die Stadt hineinfährt, so wie wir das heute getan haben. An den Einfahrtsrouten gibt es überall Straßensperren, Panzerigel, Sandsäcke, Betonblöcke – man kann nur sehr langsam fahren.
Am zentralen Platz von Kiew, dem Maidan, befüllen Freiwillige Sandsäcke, um die Eingänge in die U-Bahn-Schächte damit zu sperren. Ansonsten ist die Gegend weitgehend menschenleer, Geschäfte verwaist, Banken geschlossen, die Atmosphäre ist gespenstisch.
Wir haben mit Leuten gesprochen, die hier bleiben. Das sind unter anderen jene, die damit rechnen, dass die ukrainische Armee diesen Kampf gewinnen wird, aber auch Personen, die einfach nicht rauskomme, der Sohn oder die Tochter behindert sind oder Verwandte alt sind. Manche leben in Tiefgaragen im zweiten Untergeschoss. Dort sind ein paar Sessel und Heizstrahler aufgestellt, man hat sich einigermaßen eingerichtet und kann hier sicher noch eine Zeit lang aushalten.
Generell ist klar, die Stadt bereitet sich auf den Kampf vor. Ob, wann und wie der stattfindet, ist derzeit offen. Besonders schwierig ist die Versorgungslage mit Medikamenten, vor allem Menschen mit chronischen Erkrankungen.
5. März
In der Ukraine nehmen die Flüchtlingsströme immer weiter zu, je näher die Front Richtung Kiew rückt. Wir sind heute von Bila Zerkwa nach Süden gefahren, weil wir ein Auto treffen wollten, das uns von Wien Ausrüstung des ORFs mitgebracht hat. Wir haben unzählige Autos gesehen, mit der Aufschrift "Kinder" – eine Bitte nicht angegriffen zu werden. Ganze Familien fliehen, wir haben endlose Kolonnen gesehen.
4. März, 17.30 Uhr:
Die Kämpfe gehen auch am Tag neun weiter – besonders in Mariupol. Dort haben die prorussischen Separatisten und die russischen Truppen die größten Erfolge erzielt, weil man eine Linie herstellen konnte, von der Halbinsel Krim bis zu ehemaligen Kontaktlinie.
Derzeit bleiben wir auf jeden Fall in der Ukraine und auch an unserem Standort in Bila Zerkwa, zu Deutsch Weißkirchen. Wir sehen keinen Grund, den Ort zu verlassen. Man hat zwar den Eindruck, dass die russischen Streitkräfte auch in Richtung Süden abzielen. Es könnte sehr bald sein, dass Odessa ein richtiger Kriegsschauplatz wird. Im Norden wird versucht, von Charkiw aus weiter vorzudringen, um den Druck auf Kiew zu erhöhen. Was nicht wirklich gelungen ist, ist näher an die Hauptstadt heranzurücken. Auch der Konvoi scheint noch nicht weitergekommen zu sein. Es gibt offenbar die Bereitschaft, nach Süden hin einen Korridor offenzulassen, damit die Menschen fliehen können. Aber irgendwann wird auch dieser Korridor zugehen und dann wird ein großer Angriff erfolgen.
Ich bin natürlich nicht in Saporischschja, aber die Vorfälle dort waren auch für uns erschreckend. Ob das ein gezielter Angriff war, bleibt fraglich. Aber ich glaube nicht, dass die russische Artillerie so präzise ist. Außerdem glaube ich noch weniger, dass russische Kompanie-Kommandanten Selbstmörder sind. Wenn Strahlung austritt, würde es die russischen Truppen sogar in ihrem Vormarsch behindern. Was hätte also Russland davon? Der Horror ist eigentlich, dass bei den Kämpfen derartige Kraftwerke getroffen werden können. Laut der ukrainischen Atombehörde sei die Gefahr, einen Reaktor durch Artillerie-Beschuss zu zerstören, gering. Aber wer von uns kann das wirklich überprüfen?
In der Ukraine hofft man weiterhin auf Unterstützung aus dem Westen. Aber ich kenne keinen Nato-Staat, in dem eine Mutter bereit wäre, dass ihr Sohn für diese Sache fällt. Abgesehen von allen Konsequenzen, die eine direkte Beteiligung mit sich bringen würde, weil dann wären wir an der Schwelle zu einem Konflikt zwischen Russland und den USA.
4. März, 7 Uhr:
Im Ö1-Morgenjournal berichtet Christian Wehrschütz über die Lage in der Nacht:
"Bei uns war die Lage in der Nacht ruhig, es gab einmal Fliegeralarm. Bila Zerkwa ist derzeit nicht direkt im Fokus der Kämpfe und des Vormarsches. In der Stadt selbst herrschte eine Ausgangssperre und es ist mucksmäuschenstill. Da gibt es kein irgendwie geartetes Leben mehr. Aber das kann sich hier rasch ändern, wenn die russischen Angreifer tatsächlich Kiew einschließen werden, müssen sie den Sack auch im Süden zumachen und da ist Bila Zerkwa ein Vorposten auf dem Weg nach Kiew und man sagt von militärischer Seite immer, hier könnte dann der Ort eine Luftlandung sein. Strom, Wasser, Internet gibt es, es gibt auch Essen. Kritischer ist die Versorgungslage bei Medikamenten, aber die Basisversorgung ist hier noch gegeben.
Wir haben gute Bekannte in Mariupol, dort hast du einfach keinen direkten Kontakt mehr, weil keine Kommunikation funktioniert. Die letzte Information, die ich habe, ist von gestern, etwa 17 Uhr. Da ist es noch gegangen. Die sitzen so weit es geht alle in den Luftschutzkellern, es gibt kein Wasser mehr, keinen Strom mehr, man kann praktisch nicht mehr das Haus verlassen, der Beschuss soll massiv sein und es ist ein riesiges Problem beispielsweise auch Verwundete rauszubringen. Gerade deswegen wäre auch der Wunsch nach diesem humanitären Korridor so stark, damit man wenigstens irgendetwas tun kann für die Zivilbevölkerung, die zwischen den Fronten ist.
Beim AKW Saporischschja bin ich der Meinung, dass das wirklich ein Unglücksfall war. Das macht die Bedrohungslage nicht besser. Aber kein Angreifer ist so dumm, dass er sein eigenes Territorium, dass er besetzen und durch das er durchmarschieren will, verseucht und dann deshalb ein AKW beschießt. Generell ist es zweifellos so, dass die russische Seite, je schwieriger der Vormarsch ist, umso weniger Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nimmt. Man hat auch hier teilweise das Gefühl, da geht es gar nicht mehr nur um eine Eroberung, sondern um eine Kriegsführung, die mit Emotionen, mit Hass teilweise geführt wird. Weil, warum schieße ich Schulen zusammen? Warum schieße ich so viel Infrastruktur zusammen? Eigentlich muss ich das irgendwann wieder aufbauen. Will ich hier nur verbrannte Erde erzeugen oder was ist eigentlich jetzt, nachdem der erste Angriffsplan Putins gescheitert ist, rasch Kiew und die Umgebung zu erobern, der Plan?"
3. März:
"In Bila Zerkwa in der Region Kiew, wo wir nun stationiert sind, dient das Gelände einer alten Fabrik den Freiwilligen der Stadt als Übungsplatz. Hier testet Mikola ein neues Rezept für Molotow-Cocktails, mit dem russische Panzer bekämpft werden sollen. Während die zwei Männer die Sprengsätze werfen, sind im Hintergrund Salven von Kalaschnikows zu hören. Sie stammen von der Schießausbildung der Territorialverteidigung, die jedoch nicht gefilmt werden darf.
Die Halle einer anderen verfallenen Fabrik wird ebenfalls genutzt, um die Verteidiger von Bila Zerkwa besser auszurüsten: Gebaut werden hier Katapulte, die Molotow-Cocktails bis zu 50 Meter weit schleudern sollen. Außerdem schweißt ein weiterer Ukrainer kleine Panzerigel zusammen, die rasch über die Straße gezogen werden können und Fahrzeuge aufhalten sollen. Die Einsatzbereitschaft der Freiwilligen ist enorm. Das zeigt sich im Stadtzentrum, wo die Molotow-Cocktails gebastelt werden. Der Name Molotow stammt vom sowjetischen Außenminister – Mikola bevorzugt eine andere Bezeichnung: "Das sind 'Bandera-Smoothies', benannt nach dem Kämpfer gegen die Sowjets im Zweiten Weltkrieg. 1200 bis 1500 Stück stellen wir hier pro Tag her und verteilen sie an die Straßensperren." Ein Teil der Produktion erfolgt im Keller, wo auch Frauen Hand anlegen. Dieser diente ursprünglich als Raum für die Requisiten des Stadttheaters, nun dient er auch als Luftschutzkeller, Küche und Raum für die Versorgung der Freiwilligen.
Olexander führt uns durch seine Zentrale: In einem Raum erhalten neue Freiwillige einen Schnellsiedekurs bei Feuerwaffen. In einem anderen Raum packen zwei Irina und Svetlana die kärglichen Medikamente zusammen, die vor allem die Männer verteilt werden, die an den Straßensperren stehen: "Das ist ein sehr wichtiger südlicher Vorposten von Kiew. Darin liegt seine Bedeutung. Daher organisieren wir hier die Verteidigung, die natürlich vor allem von den Streitkräften und der Polizei geführt wird, und an der verschiedenen Freiwilligenverbänden teilnehmen. Wir haben viel zu wenige Waffen, doch wir nützen die Möglichkeiten, die wir haben."