Wer lange genug Propaganda verbreitet, glaubt nach einer Weile offenbar selbst daran. Über Jahre ließ Russlands Präsident Wladimir Putin die Botschaft verkünden, die Ukraine sei kein eigener Staat, die Bevölkerung gehöre eigentlich zu Russland. Jetzt führt ihm sein brutaler Angriffskrieg gegen den Nachbarstaat vor Augen: Er liegt falsch. Die Ukrainer wehren sich gegen Moskaus Knute.

Das hat zunächst einmal militärische Folgen. Die "Blitzkrieg"-Strategie, mit der dieser Krieg gestartet wurde, ist gescheitert. Die Grundannahme, dass die ukrainische Bevölkerung die russische Armee freudig willkommen heißen würde, war vollkommen von der Realität entkoppelt. Der massive und offenbar erfolgreiche Widerstand der Ukrainer hat den Vormarsch der russischen Armee ins Stocken gebracht. Durch die Fehlkalkulation, in wenigen Tagen das Land erobert zu haben, gerieten die Russen Militäranalysten zufolge auch in logistische Probleme – stellenweise geht sogar der Sprit aus.

Jetzt scheint Moskau auf die nächste Eskalationsstufe zu setzen; rund drei Viertel der massiven Truppen, die an den Grenzen der Ukraine stationiert waren, wurden laut Erkenntnissen der USA nun in Bewegung gesetzt. In vielen Städten der Ukraine erfolgen Luftangriffe – auch auf Wohnviertel. Und auf Kiew rücken massive Militärkonvois vor. Das Schlimmste ist zu befürchten.

Neben dem skrupellosen Versuch, die Bevölkerung der Ukraine massiv einzuschüchtern, scheint Putin sein oberstes Ziel weiterzuverfolgen: Der Kreml-Chef will den demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten Selenskyj entmachten und stattdessen eine kremltreue Marionetten-Regierung in Kiew einsetzen. Die Ukrainer beten, dass ihr Präsident diesen Versuch übersteht und überlebt.

Doch selbst wenn Putin mit seinen Angriffen Kiew oder Teile der Ukraine militärisch erobern sollte: Was wäre damit gewonnen? Was ist eine Herrschaft wert, für die so viele Menschen leiden müssen? Was will der Kreml-Chef anfangen mit einem Land, das ihn niemals akzeptieren wird – vor dieser Attacke nicht und jetzt schon gar nicht mehr? Die Ukraine ist der größte Flächenstaat Europas. Militärisch ließe sich dieses Land nur unter enormem Aufwand und enormen Kosten dauerhaft besetzen – ein Krieg ohne Ende. Auch Plan B – dass Putin seine Statthalter in Kiew einsetzt und dann seine Truppen wieder zurückzieht – ist vollkommen aussichtslos: Wer würde deren Order umsetzen? Nach wenigen Tagen wären sie wieder abgesetzt.

Militärisch kann Putin sein Ziel einer willfährigen Ukraine, die mitmacht bei seiner Vision eines auferstandenen russischen Großreichs unter Moskauer Führung, nicht erreichen. Nicht-militärisch auch nicht. Weil die Ukrainer nicht wollen. Für diesen völlig sinnlosen Plan sterben jetzt Tag für Tag Ukrainer und Russen.

Putin muss das Töten auf der Stelle einstellen.