Für Valery Gergiev wird es eng. Nachdem vergangene Woche die Wiener Philharmoniker und die Carnegie Hall eine geplante Konzertserie in New York ohne ihn abgehalten hatten, kündigte am Montag die MailänderScala an, dem Maestro nach Verstreichen eines Ultimatums das Dirigat der "Pique Dame" zu entziehen. Zuvor hatte auch das Schweizer Lucerne Festival angekündigt, im Sommer auf geplante Konzerte des putinfreundlichen Dirigenten zu verzichten. Offen ist noch die Reaktion aus München.
"Gergiev hat uns nicht geantwortet, wir können daher ausschließen, dass er am Samstag am Pult stehen wird", sagte der Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala, Präsident der Stiftung, welche die Scala verwaltet. Er hatte am Freitag gemeinsam mit Scala-Intendant Dominique Meyer vom 68-jährigen Maestro eine klare Positionierung gegen den Ukrainekrieg gefordert. "Wir haben keine Antwort erhalten. Wir hatten ihn aufgefordert, sich ebenfalls eindeutig von dem Angriffskrieg zu distanzieren", sagte Sala am Montag in Mailand.
Warten auf Gergievs Bekenntnis
Angesichts der völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen Russlands setzte auch das Lucerne Festival ein "klares Zeichen der Solidarität" für die Menschen in der Ukraine, erklärte Festivalintendant Michael Haefliger die Absage an Gergiev. Dieser hätte das von ihm geleitete St. Petersburger Mariinsky Orchester im KKL Luzern leiten sollen.
Ausständig ist noch die Reaktion von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, der dem Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker ebenfalls mit Rauswurf drohte, wobei er ein Ultimatum bis heute Mitternacht setzte: "Ich habe gegenüber Valery Gergiev meine Haltung klargemacht und ihn aufgefordert, sich ebenfalls eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt. [...] Sollte sich Valery Gergiev hier bis Montag nicht klar positioniert haben, kann er nicht länger Chefdirigent unserer Philharmoniker bleiben." Der Russe steht dem Orchester seit 2015 vor.
Die Münchner Künstleragentur Gergievs hat sich indessen bereits von dem Künstler getrennt. "Vor dem Hintergrund des verbrecherischen Krieges, den das russische Regime gegen die demokratische und unabhängige Nation der Ukraine und gegen die gesamte offene europäische Gesellschaft führt, ist es uns unmöglich und unlieb geworden, die Interessen von Maestro Gergiev zu vertreten", so Agenturchef Marcus Felsner. Gergiev sei einer der größten Dirigenten unserer Zeit, "ein visionärer Künstler, den viele von uns lieben und bewundern", der aber "seine seit Langem ausgedrückte Unterstützung für ein Regime, das inzwischen Verbrechen begeht, nicht öffentlich beenden wird oder kann".
Forderungen nach einer Positionierung des mit der russischen Elite eng verflochtenen Dirigenten kamen auch vom österreichischen Intendanten der Hamburger Elbphilharmonie, Christoph Lieben-Seutter, der für die Osterwoche geplante Konzerte des Mariinsky-Orchesters wackeln sieht. Und auch das Festspielhaus Baden-Baden meldete sich in Form seines Intendanten Benedikt Stampa zu Wort, der zwei im Juli angesetzte Konzerte mit dem Maestro und im Dezember ein neues Festival unter dem Titel "Russischer Winter" zur Disposition stellte.
Gergiev ist Russlands mächtigste Stimme im Kulturbetrieb
Die Auftritte des 68-jährigen Gergievs sind angesichts der Invasion Russlands in der Ukraine in die Kritik geraten, gilt der Dirigent doch seit Langem als dezidierter Unterstützer von Russlands Präsident Wladimir Putin. Er war in Wahlwerbespots für den Kreml-Herrscher aufgetreten oder hatte 2014 einen offenen Brief unterzeichnet, der die Annexion der Krim befürwortete. Auch gilt der aus einer nordossetischen Familie stammende Gergiev als mächtigste Figur im russischen Kulturbetrieb, steht er doch seit 1996 dem St. Petersburger Mariinsky-Theater vor.