"Wenn ich jetzt sehe, wie sehr die ukrainische Zivilgesellschaft jetzt wieder leidet, dann stimmt mich das sehr traurig", sagte der ehemalige OSZE-Sondergesandte, Martin Sajdik, am Samstag im Ö1-"Journal zu Gast" über den russischen Krieg gegen die Ukraine. Eine diplomatische Lösung müsse im Nachhinein immer kommen, betonte der österreichische Diplomat. Er zeigte sich aber ratlos, wie es in der Ukraine auch nach einem etwaigen militärischen Sieg Russlands weitergehen könnte.
Er habe an die Möglichkeit eines solchen Kriegs gegen die Ukraine nicht geglaubt, da er von einer richtigen russischen Einschätzung der ukrainischen Armee ausgegangen sei, gestand Sajdik. Er habe sich zudem die Frage gestellt, was selbst nach einem etwaigen militärischen Sieg Russlands kommen könnte. Ein Land mit 600.000 Quadratkilometern zu befrieden und zu kontrollieren, sei wirklich schwierig. "Die Bevölkerung der Ukraine wird eine russische Dominanz und eine ferngesteuerte Regierung nicht akzeptieren", sagte er.
"Gefangener der eigenen Rhetorik"
Die für ihn überraschende Entscheidung Russlands, in den Krieg gegen die Ukraine zu ziehen, begründete Sajdik damit, dass man in Moskau Gefangener der eigenen Rhetorik geworden sei. Man glaube das, was man immer von sich gebe. "In Österreich würde man sagen: Es gibt die Autoinfektion am eigenen Schmäh", schilderte er. Die Argumente von Wladimir Putin in Bezug auf die Ukraine stimmten natürlich nicht, der ukrainische Präsident Woldymyr Selenskyj sei 2019 in völlig demokratischen Wahlen gewählt worden.
Sajdik betonte gleichzeitig, dass sich der Kreml bereits 2014 beim Maidan verkalkuliert habe. Es sei nicht antizipiert worden, in welche Richtung die ukrainische Bevölkerung denke. Vorwürfe erhob er gegen den ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, der 2013/2014 sein Land mit offenen Augen an die Wand gefahren habe. Dass die Lage in der Ostukraine seit damals nicht gelöst worden sei, habe damit zu tun, dass das von Russland so gewollt wurde. Die Spitzen der selbst ernannten "Volksrepubliken" hätten das getan, was ihnen (von Moskau, Anm.) gesagt worden sei. "In der Sowjettradition war das Leid der Durchschnittsgesellschaft nie eine Kategorie, die Politiker abgeschreckt hat", erläuterte er.
Dieser aktuelle Krieg werde jedenfalls viel nachhaltige Bitterkeit zurücklassen, deren Länge man nicht abschätzen könne, sowie eine tiefe Enttäuschung. Sie führe auch zu einer Isolation Russlands, die nicht nur Putin und die Mächtigen, sondern auch das Volk betreffe. Russen würden in nächsten Jahren und Jahrzehnten im Ausland stets mit diesbezüglichen Fragen konfrontiert werden, prognostizierte er: "Wie war denn das möglich? Was hat dazu geführt, dass am 24. 2. 2022 dieser Angriff stattfand? Was habt ihr euch damals vorgestellt?"
Obwohl nun das internationale Vertrauen "pulverisiert" worden sei, sei es dennoch von Bedeutung, bestehende Institutionen zu erhalten. "Wichtig ist, dass es Plattformen wie die OSZE gibt. Wir werden sie noch später noch brauchen und nutzen müssen", sagte er.