Die NATO provoziert den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit neuen Schätzungen zu Moskaus Verlusten und Spekulationen über die Hintergründe der Entsendung nordkoreanischer Soldaten in die Grenzregion Kursk. Generalsekretär Mark Rutte bezifferte die Zahl der im Ukraine-Krieg getöteten und verletzten russischen Soldaten auf mehr als 600.000.

Dazu ergänzte er mit Blick auf Putin: „Er ist nicht in der Lage, seinen Angriff auf die Ukraine ohne ausländische Unterstützung aufrechtzuerhalten.“ Die Stationierung nordkoreanischer Truppen in Kursk sei „ein Zeichen für die wachsende Verzweiflung“.

Offizieller Besuch in Russland

Unterdessen ist Nordkoreas Außenministerin Choe Son Hui zu einem offiziellen Besuch nach Russland aufgebrochen. Dies berichtete die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA in der Nacht auf Dienstag ohne weitere Details. Dies nährt ebenfalls die internationale Besorgnis über eine militärische Zusammenarbeit zwischen Nordkorea und Russland - und eine mögliche Eskalation des Konflikts in der Ukraine.

Sollten die NATO-Schätzungen stimmen, könnte sich die Opferzahl auf russischer Seite innerhalb eines Jahres rund verdoppelt haben. Wie viele der russischen Opfer nach Einschätzung der NATO Tote sind, sagte Rutte allerdings nicht. Auch zu den ukrainischen Verlusten äußerte er sich nicht. Opferzahlen in solchen Konflikten lassen sich in der Regel nicht unabhängig verifizieren.

Schätzung der US-Regierung: 10.000 Soldaten aus Nordkorea

Die US-Regierung schätzte die Zahl der von Nordkorea nach Russland geschickten Soldaten auf 10.000. Rutte nannte die militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea „eine Bedrohung für die indo-pazifische und euro-atlantische Sicherheit“. Dass Russland angesichts hoher Verluste gegen die Ukraine auf Soldaten aus Nordkorea zurückgreifen müsse, zeige zugleich die „Verzweiflung“ von Kreml-Chef Wladimir Putin, betonte der Niederländer.

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich besorgt. Von der Leyen sprach von einer „schweren Eskalation“ im russischen Angriffskrieg und einer „Gefahr für den Weltfrieden“. Die EU werde zusammen mit Südkorea und anderen gleichgesinnten Partnern auf die Bedrohung reagieren, kündigte sie nach einem Telefonat mit dem südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol an.

Eine Delegation aus Südkorea hatte den in Brüssel tagenden NATO-Rat über die Lage informiert und kam laut Diplomaten auch mit EU-Verteidigungsexperten zusammen. Südkorea hatte Mitte Oktober mitgeteilt, das verfeindete Nordkorea habe 1500 Soldaten nach Russland verlegt. Die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap berichtete zudem unter Berufung auf den Geheimdienst, Pjöngjang wolle insgesamt „vier Brigaden mit 12.000 Soldaten, unter ihnen auch Spezialkräfte“ an die ukrainische Front schicken.

Diese Zahl nannte auch der ukrainische Präsident Selenskyj. Etwa 3.000 nordkoreanische Soldaten und Offiziere befänden sich „bereits auf russischem Territorium“, sagte Selenskyj Montagabend bei einer Pressekonferenz in Island, wo er mit den Staats- und Regierungschefs der nordischen Länder zusammentrifft. Moskau werde diese „auf unserem Territorium einsetzen“. „Wir denken, dass sie bald 12.000 Soldaten auf russischem Territorium haben werden“, fügte er hinzu und prangerte erneut eine mögliche „Eskalation“ an.

Soldaten seien bereits am letzten Mittwoch angekommen

Bereits vergangene Woche hatte Selenskyj unter Berufung auf ukrainische und westliche Geheimdienstberichte erklärt, dass er einen Einsatz nordkoreanischer Soldaten in Russland gegen die Ukraine für Sonntag erwarte. Er drängte die internationale Gemeinschaft daraufhin, „fühlbaren Druck“ auf Pjöngjang auszuüben.

Der ukrainische Militärgeheimdienst hatte am Donnerstag mitgeteilt, die ersten Einheiten der nordkoreanischen Armee seien bereits am Mittwoch in der russischen Grenzregion Kursk eingetroffen, wo die Ukraine im August eine Gegenoffensive gestartet hatte.

Die US-Regierung schätzte die Zahl der von Nordkorea nach Russland geschickten Soldaten am Montag auf 10.000. „Wir glauben, dass Nordkorea rund 10.000 Soldaten geschickt hat, damit sie im Osten Russlands trainieren“, sagte die stellvertretende Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums, Sabrina Singh, am Montag in Washington.

Diese würden „wahrscheinlich in den kommenden Wochen die russischen Streitkräfte in der Nähe der Ukraine verstärken“. US-Präsident Joe Biden nannte die Entwicklung „sehr gefährlich“.

Ukraines Präsident Selenskyj forderte eine internationale Reaktion

Russland und Nordkorea weisen die Absicht eines Kampfeinsatzes im russisch-ukrainischen Krieg bisher als Spekulation zurück. Putin hatte lange allerdings auch Pläne für einen Krieg gegen die Ukraine abgestritten. Der russische Angriffskrieg dauert nun schon seit mehr als zweieinhalb Jahren an.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte zuletzt angesichts eines möglichen Einsatzes nordkoreanischer Soldaten auf der Seite Russlands eine internationale Reaktion. „Die Ukraine wird faktisch gezwungen sein, in Europa gegen Nordkorea zu kämpfen“, konstatierte der Staatschef. Ohne entschlossene Schritte der Verbündeten werde Russlands Präsident Wladimir Putin nur zu weiterem „Terror“ ermutigt, warnte er.

Der Handlungsspielraum von Partnern wie der EU und NATO ist allerdings begrenzt. Wegen Nordkoreas Streben nach Atomwaffen und der schon erfolgten Unterstützung des russischen Angriffskriegs wurden bereits in der Vergangenheit zahlreiche Sanktionen verhängt. Eine signifikante Verschärfung ist kaum mehr möglich. Es bliebe damit vor allem noch die Option, im Gegenzug die militärische Unterstützung für die Ukraine deutlich auszubauen

.Rutte stellte am Montag genau das in Aussicht, ohne allerdings Details zu nennen. Man habe über die Notwendigkeit gesprochen, die militärische Unterstützung für die Ukraine weiter zu verstärken, sagte er nach den Beratungen.