Sowohl der deutsche Kanzler Olaf Scholz als auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonen, dass die Ukraine bei ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angreifer auch Ziele in Russland angreifen darf. Der russische Präsident Wladimir Putin drohte mit ernsten Konsequenzen, sollte der Westen der Ukraine grünes Licht für den Einsatz seiner Waffen gegen Ziele in Russland geben. „Diese ständige Eskalation kann zu ernsten Konsequenzen führen“, sagte Putin am Dienstag.
Putin droht mit Konsequenzen
„In Europa, besonders in den kleinen Staaten, sollten sie sich bewusst machen, womit sie da spielen“, so Putin bei einem Besuch in Usbekistan. Macron und Scholz schlossen indes nicht aus, dass die Ukraine dabei auch vom Westen gelieferte Waffen verwendet darf, um Stellungen anzugreifen, von denen aus die Ukraine angegriffen wird. „Wir müssen ihnen erlauben, militärische Stützpunkte zu neutralisieren, von denen aus Raketen abgeschossen werden“, sagte Macron am Dienstag in Meseberg. Die Ukraine werde von Stützpunkten in Russland angegriffen, betonte er. „Wir sollten ihnen jedoch nicht erlauben, andere Ziele in Russland anzugreifen, vor allem keine zivilen Einrichtungen“, fügte er hinzu.
Scholz erklärte dazu, dass es für den Einsatz der in die Ukraine gelieferten Waffen Regelungen gebe, dass sich dieser „immer im Rahmen des Völkerrechts bewegen muss“. Dies habe bisher gut funktioniert, sagte er. Er verwies zudem darauf, dass Deutschland und Frankreich „unterschiedliche Waffen zur Verfügung gestellt haben“.
Macron präsentierte eine Karte, auf der eingezeichnet war, von wo aus die Ukraine angegriffen wird, teilweise von Stellungen weit in Russland. Wenn man sich an die bisherigen Regeln halte, sei die Ukraine nicht in der Lage, diese Basen zu treffen. „Was wir uns wünschen, ist die Möglichkeit zu haben, diese Raketenabschussanlagen treffen zu können. Ich glaube nicht, dass das zu einer Eskalation beitragen würde“, sagte er. Dies wäre aber mit den von Deutschland gelieferten Waffen kaum möglich - anders als bei den Marschflugkörpern, die Frankreich und Großbritannien geliefert haben.
Die EU wird unterdessen vorerst keine Militärausbilder in die Ukraine entsenden. Darüber gebe es bisher „keinen Konsens“ unter den Mitgliedsländern, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Dienstag nach einem Verteidigungsministertreffen in Brüssel. Bisher bilden die Europäer ukrainische Soldaten auf EU-Gebiet aus. Borrell sagte, die Minister hätten zwar über Forderungen diskutiert, „einen Teil der Ausbildung in der Ukraine zu absolvieren.“ Dazu gebe es vorerst allerdings „keine gemeinsame europäische Haltung“. Die Dinge könnten sich allerdings noch ändern. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte die Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine im Februar nicht ausgeschlossen und damit eine breite Diskussion entfacht.
Österreich liefert keine Waffen
Österreich liefert als neutraler Staat keine Waffen an die Ukraine. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) machte am Dienstag klar, dass sich die Frage der Entsendung von Soldaten in die Ukraine für Österreich nicht stelle. „Es gilt, eine Eskalation des Krieges zu verhindern“, hieß es gegenüber der APA aus dem Verteidigungsministerium. Die Bundesregierung hatte bereits die von Macron ausgelöste Debatte über die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine kritisiert.
Zur Frage einer möglichen Entsendung französischer Militärausbilder in die von Russland angegriffene Ukraine will Macron in der kommenden Woche einen Plan vorlegen. Dies wolle er beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Normandie zum Gedenken an die Landung der Alliierten im Zweiten Weltkrieg tun. Er werde sich zu diesem Zeitpunkt „sehr genau äußern, um anzukündigen, was wir tun werden“. Zuvor habe es zu den Militärausbildern eine „unkoordinierte und unglückliche Kommunikation“ gegeben, sagte Macron.
Stoltenberg löste Diskussion aus
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte die Diskussion über die Nutzung westlicher Waffen für Angriffe auf militärische Ziele in Russland ausgelöst. Bei einem Verteidigungsministertreffen der EU in Brüssel erneuerte der Norweger am Dienstag Forderungen nach einer Aufhebung bestehender Beschränkungen für ukrainische Angriffe.
Für die Ukrainer werde es insbesondere in der Region Charkiw sehr schwer und hart sein, sich zu verteidigen, wenn sie Ziele wie Artilleriestellungen oder Flugplätze auf der anderen Seite der Grenze nicht treffen könne, erklärte Stoltenberg am Rande der Beratungen. Die Kämpfe in der Region fänden teilweise direkt an der Grenze statt.
Stoltenberg und auch Verteidigungsminister östlicher NATO-Staaten betonten am Dienstag in Brüssel, dass sie kein großes Eskalationsrisiko sehen. Stoltenberg verwies zum Beispiel darauf, dass der Ukraine gespendete Waffen nach der Übergabe ukrainische Waffen seien und ein Teil der NATO-Staaten der Ukraine schon seit jeher Waffen ohne Auflagen liefere. Zudem betonte er, dass der Einsatz von Waffen gegen militärische Ziele durch das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine gedeckt sei.
„Nach dem Kriegsrecht durchaus möglich“
Auch EU-Außenbeauftragter Josep Borrell sprach sich am Rande des EU-Verteidigungsministertreffens für den Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele in Russland aus. Das sei „nach dem Kriegsrecht durchaus möglich und kein Widerspruch“. Das Aufheben nationaler Beschränkungen werde immer wichtiger.
Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur erklärte, auch vor Entscheidungen zur Lieferung von Kampfpanzern oder Kampfjets oder weitreichenden Marschflugkörpern durch Frankreich und Großbritannien sei vor Eskalationsrisiken gewarnt worden – letztlich sei aber in keinem der Fälle etwas passiert. „Russland nutzt natürlich jede Möglichkeit, um zu sagen, dass es eine Eskalation ist, wenn man etwas Neues schickt.“
Die tschechische Regierung reagierte ebenfalls zustimmend. „Als angegriffenes Land hat die Ukraine mit Sicherheit alles Recht, alle Möglichkeiten zu ihrer Verteidigung zu nutzen“, sagte der liberalkonservative Ministerpräsident Petr Fiala am Dienstag in Prag. Er halte das „schlicht für logisch“. Die Ukraine wehre sich gegen die russische Aggression und versuche, ihr Territorium und ihre Zivilbevölkerung zu schützen, betonte der 59-Jährige.
Mit den Äußerungen setzt Stoltenberg Deutschland und andere Staaten unter Druck, die die Abgabe von Waffen an die Ukraine an strenge Auflagen für deren Nutzung gekoppelt haben. Diese sehen zum Beispiel vor, dass mit ihnen keine Angriffe auf Ziele in Russland ausgeführt werden dürfen. Hintergrund ist die Befürchtung, dass die NATO zur Kriegspartei werden könnte.
Die USA und ihre Verbündeten sind unterdessen nach Angaben der Regierung in Washington bereit, ihre Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. Entsprechende Schritte und Exportkontrollen könnten Handel zwischen Russland und China verhindern, der vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs eine Bedrohung für die Sicherheit darstelle, sagt Daleep Singh, stellvertretender nationaler US-Sicherheitsberater. Man könne es für die Regierung in Moskau teurer machen, eine Schattenflotte zur Umgehung der Ölpreisobergrenze zu nutzen, erklärt er bei einer Veranstaltung der Brookings Institution weiter.