Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat an US-Präsident Joe Biden und den chinesischen Staatschef Xi Jinping appelliert, an einem bevorstehenden Friedensgipfel in der Schweiz teilzunehmen. Sein Land kämpfe seit 27 Monaten darum, die unablässigen Angriffe Russlands abzuwehren, sagte Selenskyj in einem in der Stadt Charkiw aufgenommenen Video. Russische Truppen hatten die zweitgrößte ukrainische Stadt in den vergangenen Tagen verstärkt angegriffen.
Kiew hofft, dass das Treffen in der Schweiz Mitte Juni dazu beitragen wird, den internationalen Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu erhöhen. „Ich appelliere an die Staats- und Regierungschefs der Welt, die den globalen Bemühungen des Weltfriedensgipfels noch fernbleiben - an Präsident Biden, das Oberhaupt der Vereinigten Staaten, und an Präsident Xi, das Oberhaupt Chinas“, sagte er.
Scholz fordert zur Teilnahme auf
Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz setzte sich erneut dafür ein, dass möglichst viele Staaten an der Konferenz teilnehmen. Scholz sprach bei einem Bürgerdialog in Berlin zudem bereits auf Folgekonferenzen. „Das ist ein kleines Pflänzchen, von dem ich hoffe, dass daraus mehr wächst und deshalb pflegen wir das auch und versuchen, möglichst viele Länder dabei zu haben“, sagte der Kanzler. Dies gelte gerade für Staaten, „die ein bisschen weniger entschieden auf der Seite der Ukraine sind“. China, das ein enger Partner Russlands ist, erwähnte er dabei nicht namentlich. Russland ist zu der Konferenz nicht eingeladen.
24.000 russische Soldaten pro Monat
Selenskyjs Äußerungen kamen zwei Tage, nachdem russische Insider gegenüber Reuters erklärt hatten, Putin sei bereit, den Krieg in der Ukraine mit einem ausgehandelten Waffenstillstand zu beenden, der die derzeitigen Kampflinien anerkennt. Die Ukraine hatte dies bereits abgelehnt. Scholz wies darauf hin, dass Putin bereit sei, dass neben den vielen ukrainischen Opfern für seine „imperialistischen Träume“ pro Monat 24.000 russische Soldaten sterben oder schwer verwundet würden.
Die Zahl der Toten bei russischen Angriffen auf ein Einkaufszentrum in der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw ist auf zwölf gestiegen. 43 Menschen seien verletzt worden, teilte die örtliche Staatsanwaltschaft am Sonntag mit. Lediglich zwei Tote hätten bisher identifiziert werden können. Präsident Selenskyj bat Partnerländer erneut um weitere Ausrüstung, um die Bevölkerung zu schützen: „Die Ukraine braucht ausreichende Flugabwehr.“
Verheerender Angriff auf Baumarkt – zwölf Tote
Charkiws Bürgermeister Ihor Terechow bezeichnete die Angriffe vom Samstag als „Terrorismus“. Russland bestreitet zwar, zivile Ziele ins Visier zu nehmen, beschießt aber in dem vor mehr als zwei Jahren begonnenen Krieg regelmäßig Wohnhäuser und andere zivile Einrichtungen.
Rettungskräfte haben Sonntagfrüh den bei einem verheerenden russischen Luftangriff am Vortag ausgebrochenen Brand in einem Baumarkt in Charkiw gelöscht. Die Löscharbeiten hätten mehr als 16 Stunden in Anspruch genommen, teilte der ukrainische Innenminister Ihor Klymenko auf Telegram mit.
In dem Baumarkt wurden am Samstag zahlreiche Kunden und Mitarbeiter von einem Angriff durch zwei russische Gleitbomben überrascht, wie Bürgermeister Terechow und Regionalgouverneur Oleh Synjehubow mitteilten. Mindestens 120 Menschen hätten sich zum Zeitpunkt des Angriffs in dem Laden befunden, erklärte Terechow. 16 Personen würden vermisst, schrieb Klymenko auf Telegram.
Wohngebäude beschossen
Bei einem Raketeneinschlag in ein Wohngebäude im Stadtzentrum sind den Behörden zufolge 25 Menschen verletzt worden. In dem Gebäude hätten sich auch ein Postamt, ein Schönheitssalon und ein Cafe befunden. Präsident Selenskyj zufolge galt der Luftalarm in Charkiw über mehr als zwölf Stunden. 200 Rettungskräfte und 400 Polizisten seien im Einsatz.
Ein Mitarbeiter des Einkaufszentrums berichtete, beide Einschläge seien kurz nacheinander erfolgt. „Ich hörte den ersten Treffer, und mein Kollege und ich fielen zu Boden“, sagte der 26-jährige Dmytro Syrotenko, der im Gesicht verletzt wurde. „Es gab einen zweiten Einschlag und wir wurden mit Trümmern bedeckt.“ Ein Mitarbeiter der Rettungskräfte habe ihn sowie mehrere Kollegen und Kunden in Sicherheit gebracht. Nach Angaben der Einsatzkräfte bestand die Befürchtung, dass das russische Militär das Anwesen während des Rettungseinsatzes erneut angreift. Dies war bereits in der Vergangenheit vorgekommen.
„Imperialistischer Größenwahn“
Scholz sieht keinen Anlass für die Ausweitung des Einsatzgebiets westlicher Waffen im Ukrainekrieg. Bei einem „Bürgerdialog“ am Sonntag in Berlin wies der Kanzler Forderungen nach einem Einsatz der gelieferten Waffen auf russischem Staatsgebiet zurück. Das Ziel seiner Ukraine-Politik sei die „Verhinderung, dass da ein ganz großer Krieg draus wird“, ergänzte Scholz. Die Lieferung deutscher Waffen für die Selbstverteidigung der Ukraine diene auch dazu zu „verhindern, dass es zu einer Eskalation des Krieges, zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO kommt“.
Der deutsche Bundeskanzler warf Russlands Präsident Wladimir Putin vor, im Krieg gegen die Ukraine auch eine sehr hohe Zahl an russischen Soldaten zu opfern. „Es gibt eine Zahl, die sagt, an toten oder schwer verletzten russischen Soldaten pro Monat - 24.000“, sagt Scholz bei einem Bürgerdialog. „Alles für einen imperialistischen Größenwahn des russischen Präsidenten“, fügt Scholz hinzu. Putin sehe sowohl die Ukraine als auch Belarus als Teile Russlands und habe deshalb mit dem jahrzehntelang geltenden Prinzip gebrochen, keine Grenzen mehr zu verschieben. Putin sei auch für den Tod sehr vieler ukrainischer Zivilisten und ukrainischer Soldaten verantwortlich.