Die Zahl der Todesopfer beim Angriff auf die nordostukrainische Region Charkiw ist dem dortigen Gouverneur zufolge auf zehn gestiegen. Am Nachmittag seien im Bezirk Kupjansk fünf weitere Zivilisten getötet und neun verletzt worden, teilt Oleh Synjehubow auf Telegram mit. Die russischen Streitkräfte hätten in dem Bezirk zwei Dörfer angegriffen. Zuvor wurden aus der Stadt Charkiw fünf Tote und 16 Verletzte gemeldet.
Dort griff das russische Militär dem Bürgermeister von Charkiw, Ihor Terechow, zufolge ein Erholungsheim am Stadtrand an. Ukrainische Medien veröffentlichten Fotos von unkenntlich gemachten Körpern auf dem Boden. Die Menschen sollen den Sonntag zur Erholung dort genutzt haben, als die Raketen einschlugen. Die Behörden weisen immer wieder auf die Lebensgefahr im Kriegsgebiet hin. Bei Angriffen ertönt Luftalarm, bei dem sich Menschen in Sicherheit bringen sollen.
Selenskyj bittet um Patriot-Flugabwehr
Der ukrainische Generalstab meldete am Sonntag eine Intensivierung der Kampfhandlungen in der Region Charkiw. Demnach verstärkte Russland seine Angriffe deutlich. Medien berichteten, dass Tausende Menschen bei Evakuierungsaktionen in Sicherheit gebracht worden seien. Bürgermeister Terechow rief die Menschen auf, vorsichtig zu sein.
Angesichts immer neuer russischer Angriffe auf Charkiw bat Präsident Wolodymyr Selenskyj die Weltgemeinschaft um zwei Patriot-Flugabwehrsysteme zum Schutz der dort lebenden Bevölkerung. „Die Welt kann den russischen Terror stoppen, doch dazu muss der mangelnde politische Wille der führenden Politiker überwunden werden“, schrieb Selenskyj am Sonntag auf der Plattform Telegram. „Zwei Patriots für Charkiw würden die Lage grundlegend ändern“, so Selenskyj.
Erst vor einem Monat hatte die NATO angekündigt, die Flugabwehr der Ukraine zu stärken. Die Mitglieder des Bündnisses wollten die Ukraine entweder direkt mit Flugabwehr-Systemen unterstützen oder Beschaffungskosten beisteuern. Selenskyj hatte damals vorgerechnet, dass die Ukraine mindestens sieben Patriot-Systeme oder gleichwertige Waffen benötige, um das Land ausreichend vor russischen Angriffen zu schützen.
In seiner allabendlichen Videoansprache sagte Selenskyj, dass Moskau mit seiner jüngsten Offensive in der Nordostukraine sein Ziel verfehlt habe. „Tatsächlich erreicht der Besatzer nicht sein Ziel, unsere Kräfte zu überdehnen und damit die Ukraine auf breiter Front von Charkiw bis zur Region Donezk zu schwächen.“ Nach Darstellung der ukrainischen Militärführung ist die russische Offensive in der Region Charkiw nach anfänglichen Gebietseroberungen inzwischen zum Stillstand gekommen. Auch weiter südlich, bei Tschassiw Jar in der Region Donezk, seien schwere Angriffe der russischen Truppen abgeschlagen worden.
Allerdings lagen Charkiw und andere ukrainische Orte weiter unter russischem Beschuss. „Der brutale russische Beschuss und die täglichen Raketen- und Gleitbombenangriffe gehen weiter“, sagte Selenskyj. Das ukrainische Militär hat bisher keine Mittel zur Abwehr der Gleitbomben gefunden, die von russischen Kampfflugzeugen aus weiter Entfernung auf ihre Ziele abgeworfen und ferngelenkt werden.
Im südrussischen Belgorod sollen 13 Menschen verletzt worden sein
In der südrussischen Region Belgorod wurden indes durch ukrainischen Beschuss mindestens 13 Menschen verletzt und Wohngebäude beschädigt, teilt Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow mit. Im Kurznachrichtendienst Telegram schrieb er, die Stadt Schtschekino sei mit Mehrfachraketenwerfern angegriffen worden. Dabei seien elf Menschen, darunter drei Kinder, verletzt worden. Im nahe gelegenen Dorf Rschewka seien weitere zwei Personen verletzt worden.
Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als zwei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg. Russland hatte zuletzt seine Angriffe besonders auch auf die Region Charkiw ausgedehnt. Nach Angaben von Kremlchef Wladimir Putin, der die Invasion am 24. Februar 2022 begonnen hatte, plant Moskau in dem Gebiet die Einrichtung einer Pufferzone, um die Angriffe aus der Region Charkiw auf russisches Gebiet zu unterbinden. Die russischen Grenzregionen werden von ukrainischer Seite ebenfalls seit Monaten verstärkt angegriffen - Kiew will mit diesem Verteidigungskampf die Nachschubwege des Feindes zerstören.