Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat Israel angewiesen, die umstrittene Offensive in Rafah im Süden des Gazastreifens zu stoppen. Die humanitäre Lage im Gazastreifen habe sich weiter verschlechtert, erklärte das Gericht am Freitag. In Rafah sei sie inzwischen „katastrophal“. „Israel muss seine Militäroffensive sofort einstellen“, erklärte der Vorsitzende Richter Nawaf Salam. Den Antrag beim IGH hatte Südafrika eingebracht.
Israels Finanzminister Bezalel Smotrich erklärte in einer ersten Reaktion, wer Israel zum Ende des Krieges auffordere, fordere das Land zum Ende seiner Existenz auf. Dem werde Israel nicht zustimmen. Die Palästinenserbehörde begrüßte hingegen die Entscheidung des IGH. Das Urteil stehe für einen „internationalen Konsens“, dass der Krieg im Gazastreifen beendet werden müsse, sagt ein Sprecher der Behörde.
Auch die islamistische Hamas begrüßte das Urteil. Sie forderte in einer Mitteilung die internationale Gemeinschaft dazu auf, Druck auf Israel auszuüben. Auch „Kläger“ Südafrika begrüßte die Entscheidung. Man werde sich nun an den UNO-Sicherheitsrat wenden, kündigt das Außenministerium an. Die Anweisung des IGH sei bindend und müsse von Israel befolgt werden.
Entscheidungen des Weltgerichts sind bindend
Die Entscheidung des Gerichts fiel mit 13 zu zwei Stimmen. Dagegen stimmten neben dem Richter aus Israel selbst auch der aus Uganda. Das IGH wies Israel weiter an, den Grenzübergang von Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen für humanitäre Hilfe zu öffnen. Zudem müsse Ermittlern Zugang zu dem Küstenstreifen ermöglicht werden. Die Regierung in Jerusalem müsse darüber hinaus innerhalb eines Monats Bericht erstatten über die getroffenen Maßnahmen. Israel hatte bereits im Vorfeld erklärt, „keine Macht der Welt“ werde sie daran hindern, die eigenen Bürger zu schützen und gegen die Hamas im Gazastreifen vorzugehen.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu will sich israelischen Medienberichten zufolge mit einigen seiner wichtigsten Minister über die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs beraten. Unter Berufung auf Netanyahus Büro hieß es am Freitag, er werde unter anderem mit der Generalstaatsanwältin, dem Justizminister, dem Außenminister sowie dem Verteidigungsminister in einer Telefonkonferenz sprechen.
Der Antrag beim IGH war von Südafrika eingebracht worden. Er ist Teil einer umfassenderen Klage des Landes, in der Israel des Völkermords beschuldigt wird. Israel hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Der IGH ist das höchste Rechtsorgan der Vereinten Nationen (UNO). Seine Entscheidungen sind bindend. Allerdings besitzen die UNO-Richter keine Machtmittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen. Sie können aber den UNO-Sicherheitsrat aufrufen, in der Sache tätig zu werden. Alle Mitgliedstaaten des Gerichts sind verpflichtet, die Entscheidungen des Sicherheitsrats zu respektieren. Es scheint aber zumindest fraglich, ob die USA bei einer entsprechenden Resolution zum Rückzug Israels aus Rafah auf ihr Vetorecht verzichten würden.
Täglich suchen mehr Menschen in Rafah Schutz
Die israelische Armee stieß indes mit Panzern tiefer nach Rafah vor. Bewohner sprachen von Rauchwolken und Explosionen. Sanitäter berichten von schweren Kämpfen in Jabalia im Norden des palästinensischen Gebietes. Mindestens fünf Menschen seien beim Einsturz getroffener Häuser getötet worden, weitere würden unter den Trümmern vermutet. Anwohnern zufolge wurde der örtliche Markt zerstört. Planierraupen würden Geschäfte und andere Gebäude in der Stadt im Norden niederreißen, heißt es weiter.
Die Zahl der Menschen, die in Rafah Schutz suchen, steige täglich, betonte SOS-Kinderdorf am Freitag in einer Aussendung. Das SOS-Kinderdorf in Rafah sei aktuell der „einzige Ort in Gaza, der Kindern, die ihre Familien im Krieg verloren haben, rund um die Uhr Schutz und Betreuung biete“, so Christian Moser, Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf Österreich. 225 Menschen, darunter Kinder, die schon vor dem Krieg in Betreuung von SOS-Kinderdorf waren, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie Binnenflüchtlinge lebten derzeit im Kinderdorf an der israelisch-ägyptischen Grenze.