Das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA) steht nach Angaben seines Chefs Philippe Lazzarini vor dem Kollaps. „Die Agentur schwebt in Lebensgefahr, sie riskiert die Auflösung“, sagte der schweizerisch-italienische Diplomat dem Schweizer Sender „RTS“. Damit stehe das Schicksal der Palästinenser im Gazastreifen auf dem Spiel. Er sei jedoch vorsichtig optimistisch, dass einige Geber das Hilfswerk in den nächsten Wochen wieder finanzieren würden.
Mehrere Länder, darunter Israels engster Verbündeter USA, aber auch Österreich und Deutschland, hatten ihre Zahlungen an das UNRWA eingestellt, nachdem die israelische Regierung im Jänner den Vorwurf erhoben hatte, etwa ein Dutzend der 13.000 Mitarbeiter der Organisation im Gazastreifen seien an dem Angriff der Hamas am 7. Oktober beteiligt gewesen. UNO-Generalsekretär António Guterres nannte die Vorwürfe in der Vergangenheit glaubwürdig und versprach umfassende Aufklärung - zwei verschiedene Untersuchungen laufen. Die Zusammenarbeit mit mehreren Angestellten sei sofort beendet worden.
Schweden und Kanada zahlen wieder
Unter der Leitung der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna wurde eine unabhängige Überprüfung eingeleitet. „Ich bin vorsichtig optimistisch, dass in den nächsten Wochen und nach der Veröffentlichung des Berichts von Catherine Colonna einige Geber zurückkehren werden“, sagte Lazzarini in einem am Samstag ausgestrahlten Interview mit dem Schweizer Fernsehsender. „Was auf dem Spiel steht, ist das kurzfristige Schicksal der Palästinenser im Gazastreifen, die eine noch nie dagewesene humanitäre Krise durchmachen.“
Das UNRWA betreibt Schulen, Kliniken und andere soziale Einrichtungen in Gaza und verteilt humanitäre Hilfe. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind immer noch rund 3.000 Mitarbeiter mit der Bereitstellung von Hilfsgütern im Gazastreifen beschäftigt, in dem nach ihren Angaben 576.000 Menschen - ein Viertel der Bevölkerung - kurz vor einer Hungersnot stehen.
Mehrere Länder nahmen ihre Zahlungen trotz der Untersuchung wieder auf, zuletzt erklärten sich Schweden und Kanada dazu bereit. Der Grund für die Wiederaufnahme von Zahlungen an das Hilfswerk sei unter anderem die „katastrophale humanitäre Lage in Gaza“, sagte der kanadische Entwicklungsminister Ahmed Hussen am Freitag (Ortszeit) laut einer Mitteilung. „Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist verheerend und die Bedürfnisse sind akut“, teilte der schwedische Minister für internationale Entwicklungszusammenarbeit, Johan Forssell, am Samstag mit.
Übten Israels Behörden Druck aus?
Die Nachrichtenagentur Reuters vermeldete am Samstag bereits Einsicht in den UNRWA-Bericht vom Februar 2024 genommen zu haben. Darin steht geschrieben, dass Israels Regierung Druck auf Mitarbeiter der UNRWA ausgeübt haben soll. Dem Bericht zufolge sollen die Häftlinge gezwungen worden sein, Verbindungen zur Hamas zuzugeben, obwohl dies gar nicht gestimmt haben soll.
Nicht identifizierte Palästinenser, darunter mehrere Mitarbeiter des Hilfswerks, berichten detailliert über Misshandlungen in israelischer Haft. Sie erzählten von heftigen Schlägen, Waterboarding und der die Androhung von Schaden für Familienmitglieder. Abschriften der Befragungen wurden Reuters von UNRWA allerdings nicht zur Verfügung gestellt.